Neues

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Drastische Bewusstseinsveränderung

Zweifel an der eigenen Kompetenz

Richtige Ausdrucksweise

Aber nun holte mich die Wirklichkeit jäh ein. Von draußen hörte ich die erregte Stimme von Terry, immer ungehaltener werdend. Noch völlig erfüllt von meinem beseligten Gefühl trat ich nach draußen und wurde von einem kaum zu bändigenden Terry überfallen. Was mir einfalle, brüllte er mich an, ein Notfallflugzeug anzufordern, woraufhin er seine geplanten Flüge über den Haufen geworfen habe, hergeflogen sei ohne Ladung – und das alles umsonst! Ich versuchte, ihm den Fall zu erklären, war aber noch zu erfüllt von dem Erlebten, um meine Worte richtig zum Ausdruck bringen zu können. Terry machte auf dem Absatz kehrt, ich kehrte ratlos und bedeppert ins Haus zurück und beendete aufgewühlt meine Arbeit.


Zu Hause fand ich Michael im workshop, wo er wieder einmal dabei war, den Generator zu reparieren. Flehendlich bat ich ihn, mit mir ins Haus zu kommen, weil ich dringend jemanden brauchte, mit dem ich reden konnte. Im Haus setzte ich erst einmal Kaffee auf, und wir setzten uns zusammen. Ich habe, glaube ich, lange gebraucht, bis aus meinen Worten etwas Sinnvolles entstand. Wieder und wieder versuchte ich, beim Rekapitulieren zu begreifen, was abgelaufen war. Ich fühlte mich noch wochenlang wie eine Versagerin und konnte keine Erklärung für mein, wie ich meinte, Fehlverhalten finden. Dieses Erlebnis hätte mich fast aus der Bahn geworfen, so sehr fing ich dadurch an, mein Beurteilungsvermögen anzuzweifeln. Erst Monate später habe ich mich bei einem Besuch in Madang mit einem Arzt unterhalten, ihm diese Begebenheit geschildert und dabei großen Trost erfahren. Er meinte nämlich, es sei durchaus möglich, dass meine Diagnose der Querlage richtig gewesen sei, das Kind sich aber bei einer der letzten Wehen noch gedreht habe.


Auch bei meiner ersten Spritze habe ich mich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Ein Pastor aus einem entfernten Dorf war zu Besuch bei Pastor Aisaip. Er hatte ein tropisches Geschwür, dem nach meinem damaligen Wissensstand nur mit Penicillin beizukommen war. Ganz nervös sah ich mich vor die Situation gestellt, mein in Yagaum erlerntes Wissen umzusetzen. Ich setzte die Nadel in meiner Angst viel zu langsam, was sicher schmerzhaft war, und ich setzte sie auch noch viel zu flach. Der arme Mann hatte tagelang eine regelrechte Beule am Oberschenkel. Das war natürlich für Pastor Aisaip ein gefundenes Fressen. Noch nach Wochen zog er mich mit dem buk, das ich gespritzt hatte, auf. Später habe ich solche offenen Geschwüre mit Traubenzucker behandelt und war damit mindestens so erfolgreich wie mit Penicillin. Von einer deutschen Krankenschwester, die lange Jahre in der Altenpflege mit offen gelegenen Patienten gearbeitet hat, habe ich diesen Rat erhalten und umgesetzt. Nach dem Auftragen von Traubenzucker war allerdings in den Tropen sehr darauf zu achten, dass die Fliegen keine Möglichkeit erhielten, mit der Wunde in Berührung zu kommen.


Am Beginn der Krankenversorgung stellte ich den Einheimischen die „falschen“ Fragen, wenn ich ein Bild von ihrer Krankheit gewinnen wollte. So fragte ich zum Beispiel „was hast du?“ und meinte, nun eine Beschreibung der Krankheit zu erhalten. Es kam aber nichts, niemand konnte mir auf diese Frage seine Krankheitssymptome schildern. Nachdem ich dazu übergegangen war, zu fragen „wo fühlst du den Schmerz?“ oder „wo sitzt dein Problem?“, erhielt ich auf einmal recht detaillierte Beschreibungen der jeweiligen Krankheit. Anfangs vermied ich das Spritzen, als handle es sich um eine Krankheit. Aber es ließ sich einfach auf Dauer nicht vermeiden. Da waren all die Kleinkinder und Säuglinge, die im Falle einer Malariaerkrankung das Chloroquin nicht schlucken konnten oder es wegen des bitteren Geschmacks wieder ausspieen. Hatte ich, von Yagaum zurückkehrend, meiner Freundin Elke in Deutschland euphorisch geschrieben „… so habe ich in zwei Wochen in Yagaum gelernt, wozu Minderbegabte drei Jahre brauchen“, so berichtete ich nun: „Ich hasse das Spritzen! Neun kleinen, schreienden Kinder habe ich heute Spritzen gesetzt – meine Hände zitterten zum Schluss wie die einer Gewohnheitssäuferin!“ Vor allem, wenn ich eine magere, alte, faltige Frau spritzen sollte, hatte ich mit heftiger Angst zu kämpfen, weil ich nicht wusste, wo die Nadel anzusetzen war. Aber irgendwann war diese Angst überwunden und Routine kehrte ein.


Entbindungen wurden mir zum liebsten Teil der Krankenversorgung, vor allem die problemlosen lösten ein tiefes Glücksgefühl in mir aus. Nun gehörte ich dazu, war ein Mitglied in der Reihe der Mamas, die eine der Gebärenden begleitete. Jedes Neugeborene schien mir wie ein kleines Wunder. Die Atmosphäre bei den Entbindungen war eine ganz besondere. Wir saßen bei einer Tasse Tee zusammen, die Gebärende war eine von uns; wir kümmerten uns gemeinsam um sie. Durch Mama Butut lernte ich verstehen, warum die einheimischen Frauen lieber hockend als liegend entbinden. Sie erzählte mir, dass sie vier ihrer sechs Kinder alleine im Garten geboren hätte. Sie hatte immer ein Loch in die Erde gegraben, es mit Bananenblättern ausgelegt und darüber hockend ihr Kind herausgepresst. „So wie ihr das macht“ schnaubte sie, „so braucht man ja viel zu viel Kraft!“ Das schien mir durchaus Sinn zu machen. Wann mit der Geburt zu rechnen war, erkannte man an der Lautstärke, mit der die Gebärende ihren Schmerz herausschrie.


Bei einer meiner ersten Entbindungen meinte ich, jetzt müsse es bald so weit sein. Aber Mama Butut erklärte mir: „Das dauert noch lange – sie schreit doch noch gar nicht laut genug!“ Sie bestand darauf, die Nabelschnur mit einer Rasierklinge zu durchtrennen, o.k. wenn ich unbedingt meinte, sie müsse desinfiziert werden, damit würde sie auch leben können. Ich durfte die Nabelschnur auch mit meinen Zangen abklemmen, aber dann kam sie mit ihrer Rasierklinge und achtete bei männlichen Neugeborenen peinlich darauf, beim Durchtrennen von oben nach unten zu schneiden – denn umgekehrt würde sich der Junge ja angeblich mal ins Gesicht pinkeln! Die Frauen entbanden immer über dem Fußboden hockend. Das mag vielleicht unhygienisch klingen, schien mir in der Umgebung aber nur natürlich. In den Buschhäusern bestand der Fußboden aus Limbum, weichen Holzlatten mit Lücken dazwischen. Nach einer Entbindung wurde die Frau mit Wasser gesäubert und alles Blut gleich mit durch die Ritzen im Fußboden gespült. Wenn Mutter und Kind versorgt waren, hoben wir Frauen unter dem Haus ein tiefes Loch aus und vergruben die Nachgeburt. Nach mancher Entbindung erhielt eine Tochter meinen Namen, und so könnte es sein, dass heute in Begesin noch einige Gabis existieren.