Beanspruchung

Body: 

Neue Entschlossenheit

Fassungslosigkeit in der Nachbarschaft

Erweiterung des allabendlichen Zu-Bett-Bringens

Von Anfang an beanspruchte Janna ihren Platz vehement in der Familie, schon als Säugling stand sie in ihrer Wippe bei unseren Mahlzeiten auf dem Esstisch. Als sie noch nicht gehen konnte, schleppte ich sie – meine Mutter nannte es, „wie eine Katze ihr Junges“ – überallhin mit mir herum. Durch sie wurde unser Programm des Zubettbringens erheblich erweitert; eine Geschichte zu erzählen genügte nicht, sie wollte gestreichelt werden und singen, vor allem singen. Janna wurde als Kleinkind in dem Bauernhof gleich neben dem Pfarrhaus für die kinderlose Bäuerin quasi Ersatz für ein eigenes Kind und mauserte sich, wie mir die Bäuerin versicherte, zu einer echten Hilfe. Wenn eine Sau geferkelt hatte, rieb sie die Ferkel mit Stroh trocken, sie verbrachte ganze Tage in dem Haus und in den Ställen nebenan. Am Abend mussten ihre nach Kuh- und Schweinestall riechenden Haare erst einmal gewaschen werden – sie erlebte aber durch diese Nachbarschaft, meine ich, überaus natürliche, glückliche erste Lebensjahre.


Ich kann nicht benennen, was der Auslöser zu unserem Entschluss war, erneut nach Niugini auszureisen. War es ein am offenen Kamin mit Gesprächen verbrachter Abend mit Marina und Gunnar, war es eine Verklärung der Jahre in Niugini? Es kam der Zeitpunkt, da Michael und ich uns offen in die Augen schauten, und sagten: "Das kann es nicht gewesen sein, wir müssen noch einmal dorthin, wir haben da etwas nicht zu Ende gelebt". Auch Marina und Gunnar schlossen sich unserer Entscheidung an und so fanden wir uns gemeinsam beim Bayerischen Missionswerk ein, um zu fragen, wo wir gebraucht werden könnten. Für uns Frauen stand lediglich fest, dass ein erneuter Einsatz auf einer Außenstation nicht mehr in Frage käme. Das Missionswerk bot Michael eine Stelle als Lehrer in der Evangelistenausbildung in Amron an, während Gunnar als Stadtpfarrer in Lae arbeiten sollte. Amron, wie klein doch die Welt ist, dachte ich beglückt. Vor fast acht Jahren hatte ich in einem Haus dort oben auf dem Hügel nördlich von Madang durch striktes Liegen Jannas Leben erhalten. Nun sollten wir als Familie an diesen schönen Ort zurückkehren.


Bei unseren Kindern rannten wir offene Türen ein. Allzu oft hatten wir ihnen von den Jahren in Niugini erzählt, und als wir nun begannen, sie auf eine Ausreise dorthin einzustimmen, keimte bei allen sechs Kindern Abenteuerstimmung auf. Marina und Gunnar hatten inzwischen vier Töchter, wir lebten fast wie eine Großfamilie zusammen und teilten alle wichtigen Fragen miteinander. Michael und ich entdeckten eine uralte Singleplatte mit einem Lied voller Schwung und Leichtigkeit in Hiri Motu, der Sprache um Port Moresby, und ich sehe Janna und Amos noch zu der Musik im Wohnzimmer begeistert herumtanzen.


Für die Dorfleute war der Gedanke, dass wir „in die Wildnis“ zurückkehren wollten, nicht nachzuvollziehen. Die Bauersfrau, die Jannas Ersatzmutter geworden war, empörte sich beim Milchholen bei mir: „Das können Sie nicht machen, dieses kleine Mädchen aus seiner gewohnten Umgebung herausreißen!“ Ich erklärte ihr, wir würden gar nicht in die Wildnis gehen, wir kämen auf eine Station mit Straßenanbindung, und Janna könne weiter die Schule besuchen, nur die Sprache würde sich ändern. Wochenlang haderte sie mit mir über das Unrecht, das wir ihrem kleinen Mädchen antaten, dann – gänzlich unerwartet – war sie so weit: „Ich habe mir das überlegt“, meinte sie, „ich glaube, Sie können das Kind doch mitnehmen. Sie lernt ja dabei auch etwas, und für ein Kind ist es sowieso die Hauptsache, bei seiner Familie zu sein.“ Noch heute hat Janna Kontakt zu der inzwischen alt gewordenen Bäuerin, schreibt ihr regelmäßig, besucht sie zu Geburtstagen, und bekommt jedes Jahr in der Adventszeit ein Päckchen mit selbstgebackenen Plätzchen.