Veränderung

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Geordnete Arbeitsteilung

Heftige Debatten mit dem Zauberer

Eindeutiges Zeichen für Besuch: Husten

Unsere erste Regenzeit in Begesin begann und setzte dem gemeinsamen Waschen und Baden ein Ende. Wir schwelgten im Reichtum des Regenwassers, duschten wieder mit Wonne, so dass das ritualhafte Baden und Wäschewaschen im Ujapan in Vergessenheit geriet. An einem Morgen kam der doktaboi, der Krankenpfleger der Station, zu uns und erklärte uns, er sei es Leid, die Begesinleute medizinisch zu versorgen. Er kam von Buka Island, einer Insel, deren Menschen besonders schwarz sind. Die Einheimischen nannten sie deshalb skin diwai, Baumhaut, was sich auf einen bestimmten Baum mit schwarzer Rinde bezog. Resigniert erzählte er, wie oft er den Begesinleuten gesagt hatte, sie müssten seine Frau bei der Gartenarbeit tatkräftiger unterstützen. Schließlich war er mit der Krankenversorgung beschäftigt und konnte den Anteil der Gartenarbeit, der von den Männern getragen wurde, nicht wahrnehmen. Sie hatten ihm immer wieder Besserung gelobt, aber nie war wirklich etwas geschehen. Auch sein Vorschlag, dann wenigstens seine Arbeit mehr mit Gartenfrüchten zu honorieren, hatte nichts genützt! „Den Zauberer müssen sie doch auch bezahlen“, empörte er sich, „nur ich, der eine Familie zu ernähren hat, soll umsonst für sie arbeiten!“ Ratlos hörten wir ihn an. Sicherlich hatte das wieder etwas mit dem allgegenwärtigen Stammesdenken zu tun. Er war eben kein Begesin, er war skin diwai, ein Mann von der Insel Buka. Sie nahmen zwar seine Dienste in Anspruch, aber einer der Ihren konnte er nie werden. Es gab keinen Grund, zu versuchen, diesen Mann umzustimmen. Im Gegenteil, sollten die Begesins ruhig einmal merken, was ihr Verhalten bewirkte. Wir verabschiedeten uns von dem verbitterten Mann, nicht ahnend, was durch diesen Abschied auf uns zukam.

An einem der nächsten Sonntage, wie immer hatten die garamuts, die Baumtrommeln, zum Gottesdienst gerufen, kam, was kommen musste. Am Ende des Gottesdienstes – wir wollten gerade aufbrechen – trat einer der Dorfältesten von Konogul, dem Dorf jenseits des Ujapans nach vorne. „So kann es nicht weitergehen!“ donnerte er. „Unsere Frauen können ihre kranken Kinder nur noch zu Orkap, dem Zauberer, bringen. Sicher, er hilft ihnen, wo er kann. Aber er gewinnt wieder viel mehr Einfluss auf die Menschen in Konogul, als er vorher hatte.“ Eine der endlosen Debatten, die wir schon kannten, begann. Jeder gab seinen Standpunkt zur Sachlage ausführlich zum Besten, der Nachredner wiederholte das Gehörte und fügte seine eigene Ansicht hinzu. Es gab viele, die etwas zu sagen hatten, wie immer. Butut hielt den Dorfältesten die Säumigkeit ihrer eigenen Dorfleute vor, die ihre Lage durch ihr Verhalten selbst verschuldet hätten. Aber die verteidigten erbittert ihren Standpunkt, dass etwas zu geschehen habe, schließlich lebten sie in einem Dorf gleich neben der Missionsstation. Ihre Aufgabe war es, die Christen und auch die Ungetauften in ihrem Dorf anzuleiten. Die Debatte hatte sich mindestens eineinhalb Stunden hingezogen, als Pastor Aisaip erklärte, er habe da einen guten Gedanken. Jetzt sollten alle erst einmal nach Hause gehen, er müsse den Gedanken noch „in seinem Bauch herumdrehen“, dann würde er handeln. Und das tat er.


Am Nachmittag, wir hatten gerade Kaffee getrunken, hustete jemand vor der Tür. Sofort war uns klar – das konnte nur Aisaip sein. Noch nie hatte er an unsere Tür geklopft, stets hatte er sich wie ein abendlicher Besucher durch Husten bemerkbar gemacht. Bedächtig nahm er Platz, sprach über die begonnene Regenzeit, nahm Amos liebevoll auf den Schoß, wollte gerne auch eine Tasse Kaffee trinken. Mann, dachte ich genervt, spuck es schon aus! Und langsam entwickelte er vor uns das, was er „in seinem Bauch umgedreht“ hatte. Ich, seine Schwester, sei doch eine anerkannte Frau auf der Station. Zu meinem Hygieneunterricht und meinen Nähstunden würden die Frauen gerne kommen, sogar aus Konogul nähmen jetzt viel mehr Frauen als früher teil. Und da ich Frau eines Missionars sei, sei ich sicher auch in der Lage, die Versorgung der Kranken zu übernehmen … Mein erstes Gefühl war spontane Abwehr. Wie sollte ich, jung und unerfahren, ohne entsprechende Ausbildung eine solche Aufgabe übernehmen? Aber der listige alte Fuchs wusste, wie er vorzugehen hatte. Würde diese Arbeit nicht die Mission den Menschen ein ganzes Stück näher, sie zum Nachdenken über das Christentum bringen? Sogar über das „Wie“ seines Plans hatte er schon nachgedacht. Ich könnte doch ins Missionshospital nach Yagaum gehen und mich dort entsprechend schulen lassen. Ich brauchte mich noch nicht zu entscheiden, nein, aber wir sollten doch einmal in aller Ruhe darüber nachdenken …


Alles in mir war in Aufruhr nach seinem Weggehen. Ich – arbeiten wie eine Krankenschwester? Wie sollte das gut gehen, war das überhaupt zu verantworten? Lauter Fragezeichen stellten sich mir. Wundversorgung konnte ich mir vorstellen, ja, aber Spritzen geben und Entbindungen? Ich doch nicht! Und was war mit all den Leprakranken, die ich immer vor der dispensary gesehen hatte? Würde ich mit meinen Ekelgefühlen umgehen können? Im Gespräch mit Michael tastete ich mich an die sich in mir auftürmenden Fragen heran. Irgendwann war ich so weit – es könnte tatsächlich machbar sein. Dieses und jenes „Aber“ musste noch gesprächsweise ausgeräumt werden, dann war ich bereit. Entschlossen hob ich meinen Kopf und sagte: „Ich will es versuchen!“