Aufruf

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Deutsches Denken, falsches Denken

Andere Mentalität in Papua-Neuguinea

Underschiedliche Ansichten und Lebensweisen

Die Tage in Begesin flossen träge dahin, unsere Einstellung zur Zeit begann sich zu ändern. Michael rief die Pastoren des Begesin-Bezirks zu einem bung, einem Treffen, über Radio Madang zusammen. Am Freitag um vier Uhr nachmittags sollte es beginnen. Er bereitete sich vor, überlegte, welche Punkte zu besprechen waren. Am Freitag um vier Uhr war er pünktlich in dem Schulhaus, das auch als Kirche genutzt wurde. Kein Mensch war da, noch nicht einmal Pastor Aisaip von der Station. Manfred ging zum Haus des Pastors, um zu fragen, wo denn nur alle seien. Der schlug sich lachend auf die Oberschenkel. „Hast du wirklich gedacht, es könne schon einer da sein?“ fragte er. „Die Leute kommen aus den Dörfern, manche leben fünf Tagesmärsche von der Station entfernt. Wenn die ersten heute Abend ankommen, dann würde mich das wundern!“ Michael kam zurück und beantwortete meinen erstaunten Blick: „Was sind wir doch noch ‚deutsch‘ in unserem Denken! Da setze ich ein bung an und denke auch noch, die Leute müssten pünktlich ankommen!“ Natürlich, erklärten wir uns selbst, die Teilnehmer von weit außerhalb mussten nach ihrem Tagesmarsch in einem der Dörfer übernachten. Danach hatten sie wieder einen oder gar zwei Tage zu marschieren – und wir mit unserer deutschen Zeitvorstellung erwarteten Pünktlichkeit. Wir haben später noch oft gelacht, wenn wir uns an dieses Anfangserlebnis erinnerten. Mit der Zeit lernten wir, diese ganz andere Einstellung zu Zeit sogar zu mögen – und besonders mochten wir sie, als wir wieder in Deutschland waren und unter Zeit-Druck standen. Tatsächlich begann das bung am Sonntagabend und noch am Montag trafen letzte Teilnehmer ein. Manchmal kehrte Michael ziemlich genervt von diesem bung zurück. Die Art der Gesprächsführung war wohl etwas für unser deutsches Denken ungewöhnlich Anstrengendes. Er jammerte: „Immer, wenn ich meine, einen Punkt abgearbeitet zu haben, steht wieder einer auf, rollt das Thema von vorne auf, bringt neue Gesichtspunkte“. Es war wie bei dem Abschiedsessen für Heiner und Hetta. Jeder musste seinen Teil beitragen, von allen wurde akzeptiert, wenn jemand ein Thema noch nicht für abschließend erörtert hielt. Erbost stöhnte Michael: „Da denke ich, jetzt etwas genügend zur Diskussion gestellt zu haben und will zur Abstimmung übergehen. Und schon steht wieder einer da und fängt bei Punkt A an!“ Die Art der Abstimmung beschrieb er mir so anschaulich, dass ich zutiefst belustigt ins Bett sank, während er sich noch auf der Kirchenbank durch lange Diskussionen quälte. „Also, da steht einer auf und sagt yumi redi long vot, wir sind fertig zur Abstimmung. Ein anderer hebt die Hand und sagt mi pes, ich bin der Erste. Dann wieder einer mi seken, ich stimme zu. Abstimmung gelaufen, denke ich. Mitnichten, ausgerechnet der Mann, der vorher zur Abstimmung aufgefordert hat, steht plötzlich da und sagt: ‚Brüder, aber diesen Punkt haben wir noch nicht bedacht‘, und das Ganze geht von vorne los!“


Ich setzte das beim Wiederfinden meiner guten Stimmung begonnene Ritual fort und besuchte fast jeden Nachmittag mit Amos die Mamas auf einen Tee. Auch Yagamar und Sisies nahmen Amos häufig mit zu den Frauen auf der Station, wobei er offensichtlich viel Spaß hatte und Dinge erlebte, von denen ich nichts wusste. Einmal saßen wir bei unseren nachmittäglichen Treffen bei Mama Butut zusammen und Amos kletterte auf ihren Schoß. Mit großer Selbstverständlichkeit schob er ihre Bluse hoch und bettelte: „Mama Butut, susu plis, Brust (oder Milch) bitte“. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit nahm sie eine Brust in die Hand und spritzte Milch quer durch den Raum! Beim Abendessen erzählte ich Michael von dieser Begebenheit und Amos hörte aufmerksam zu. Sehr bestimmt fuhr er fort: „Das ist nicht nur die Brust von Benny, das ist auch meine, und ich habe auch schon davon getrinkt!“ Benny war Mama Bututs Sohn, den sie mit drei Jahren noch stillte, und Amos sagte wörtlich nicht „getrinkt“, sondern, nach Art der Begesinleute, denen R oder L gleich galt, „Blust“ und „getlinkt“.