Gemäuer
Besuchswert in Ribera
Wie gesagt, war der »carrer Montcada« im 14. Jh. die vornehmste Straße der Stadt im aufsteigenden, mächtigen »Ribera«-Viertel und ausschließlich von reichen Händlern und vom Geldadel bewohnt. Alle Häuser dieser Straße stammen aus dem Mittelalter, aber viele erfuhren im Verlaufe der Jahrhunderte leichte Veränderungen. Die wertvollsten sind jene, die sich seit dem 14. Jh. fast unverändert erhalten haben und heute oft Museen oder Kunstgalerien beherbergen. Meist besteht die Fassade in ihrer ursprünglichen Gestalt aus einem höheren Turm, einem großen, bogenförmigen Tor, einer Reihe Dreipaßfenster im Obergeschoß und darüber einer säulengetragenen Galerie. Dahinter öffnet sich ein Innenhof mit einer bogenüberführten katalanischen Treppe in zwei Abschnitten zum Obergeschoß hin. Alle Häuser in dieser Straße sind von geschichtlichem Wert, die wichtigsten unter ihnen sind aber nachstehende. Nachdem wir den »carrer Princesa« überquert haben, gelangen wir zum »Palau Aguilar«, der zusammen mit dem »Palau Castellet« das Picasso-Museum beherbergt. Bei der Vergrößerung vor einigen Jahren schloß man den angrenzenden »Palau Meca« an die beiden anderen Paläste an. Ein Besuch in diesem Museum verbindet die Besichtigung der Picasso-Sammlungen mit jener der gotischen Stadtpalais.
Der große »Palau dels Marquesos de Llió« gegenüber gehörte einst dem Marquis von Lyon und birgt heute das »Rocamora«-Textilmuseum. Auch ohne Absicht, das Museum zu besuchen, darf man hier eintreten und den Innenhof mit seiner schönen Treppe und die Galerie im Obergeschoß bewundern oder auch im angenehmen Museumscafé eine Tasse Kaffee oder einen kleinen Happen genießen. Betreiber des Cafés sind die Inhaber des »Museu Marés«-Freiluftcafés. Heraldische und symbolische Skulpturen und Reliefs in einer Mischung aus gotischen und Renaissance-Stilelementen schmücken Fassade, Bögen und Fenster des Innenhofes. Weiter unten auf der anderen Straßenseite, mit der Hausnummer 25, die »Casa Cervelló«, beispielhaft für die katalanische Quattrocento-Architektur. Der Innenhof dieses ehemaligen Palastes der Adelsfamilie Cervelló zeigt die typische Struktur des katalanischen Herrschaftshofes und weist trotz der »Modernisierungen« des 16. Jhs noch einige gotische Fenster auf. Er ist wie das übrige Haus auf beiden Stockwerken zu besichtigen, da heute die »Galerie Maeght« diesen wunderbaren Bau einnimmt. Genau gegenüber erhebt sich der »Palau Dalmases«, ein Stadtpalast aus dem 17. Jh., der schon späte Barockverzierungen mit den klassischen Linien katalanischer Gotik verbindet. Die ganze Fassade überzieht typisches Seicento-Dekor: von salomonischen Säulen mit »Putti« bis zu mythologischen Motiven.
Gemäuer, Plätze, Paläste
An ihrem Ende weitet sich die Straße zur »Placeta Montcada«, genauso wie auf der entgegengesetzten Seite bei der »Placeta d´en Marcús«. Dies sollte Prozessionen das Wenden ermöglichen. Nach einem kurzen Abstecher über den »carrer de les Mosques«, der angeblich engsten Straße Barcelonas, läßt sich hier die »Seca«, die alte Münze besichtigen, die heute einen baskischen Gastronomenklub beherbergt. Nun weiter auf den breiten, aber kurzen »Passeig del Born«, ein länglicher Platz und für die Barcelonesen von besonderer Bedeutung, da er zwischen dem 13. und dem 17. Jh. Schauplatz vieler Stadtfeste, Ritterkämpfe, Prozessionen und Karnevalsfeste sowie Silber- und Glasmärkte war. Am Ende des »Born« erblickt man das Metallgerippe der ausgedienten »Born«-Markthalle von 1874.
Um diese herum, in den ersten Nebenstraßen des »Passeig del Born«, ist ein neues stilvolles Galerienviertel entstanden. Auf der Meeresseite des »Born« findet man dagegen immer noch wohlriechende und kuriose Kolonialwaren- und Gewürzläden, die genauso aussehen wie im letzten Jahrhundert. Zwischen diesen Geschäften gehen mittelalterliche, bogenüberdachte Straßen vom »Born« in ein kleines, primitives Straßenlabyrinth ab. Wenn wir dem »carrer Montcada« den Rücken kehren, erblicken wir zu unserer rechten den hinteren Teil und die Apsis der »Sta. Maria del Mar«-Kirche, die wir jetzt umrunden. An der Stelle, wo eine Überführung den »carrer Sta. María« überquert, liegt auf der Meeresseite der »Fossar de les Moreres«, wo jene Katalanen begraben liegen, die im Erbfolgekrieg zwischen Habsburgern und Bourbonen bei der brutalen Belagerung 1714 durch Philipp V. fielen. Die Brücke wurde 1700 in Anlehnung an den Gang zwischen »Pitti«-Palast und »Galleria degli Uffici« in Florenz vom damaligen Vizekönig und Prinzen von Darmstadt erbaut und verband dessen Palast mit der Kirche.
Sta. María del Mar
Etwas weiter ragt plötzlich die mächtige Fassade der großen »Sta. María del Mar« empor, eine der schönsten Kirchen Barcelonas und wundervolles Exempel katalanischer Gotik. An dieser Stelle, fast am Meer, existierte schon im 10. Jh. eine Gemeinde mit ihrem Gotteshaus. Als dieses Viertel als Schiffsbauer-, Seefahrer- und Handelszentrum an Bedeutung gewann, mußte auch ein größerer Tempel errichtet werden. Diese Kirche war eng mit der Überseeexpansion Kataloniens verbunden. Die Grundsteinlegung fiel mit der Besetzung Sardiniens zusammen, die das fast bis nach Konstantinopel reichende katalanische Mittelmeerreich sicherte. »Santa María!« war auch einer der Schlachtrufe der katalanischen Seeleute und Krieger. »Santa María del Mar« war also die Kathedrale der Eroberer und Mittelpunkt eines großen Handelsreiches. Der Bau wurde 1329 in Angriff genommen und in einer für ein Monument dieser Größenordnung im Mittelalter ungewöhnlich kurzen Zeitspanne von fünfzig Jahren abgeschlossen. Vielleicht liegt hier der Grund für seine außergewöhnliche stilistische Einheit. Diese Kirche ist die einzige im puren katalanischen Gotikstil vollendete. Dieser sticht gegenüber der kontinentalen oder europäischen Gotik durch den Vorrang der horizontalen Linie gegenüber der senkrechten, der vollen Flächen vor den leeren, durch das flache Dach, die massiven, bogenlosen Trägerstrukturen und die achtseitigen Türme mit flachem Dach hervor, alles hier vorhandene Merkmale.
Innen zeichnet sich »Sta. María del Mar« durch ihr einheitliches Raumgefühl und die Vereinfachung der Formen aus. Dies wird durch die fast gleiche Höhe der drei Schiffe und die Reduzierung der tragenden Elemente auf ein Mindestmaß, wegen der Benutzung nackter achteckiger Säulen ohne Kreuzrippen, erreicht. Auf diese Weise treten die ohnehin schon weit auseinanderstehenden Säulen in den Hintergrund, und der Innenraum erscheint wie eine einzige Halle ohne Trennungen. Außerdem hat der Architekt Berenguer de Montagut Maße, Flächen- und Distanzverhältnisse gut aufeinander abgestimmt. Rosette und Farbglasfenster sind heute teilweise noch in ihrer ursprünglichen Gestalt aus dem 15. Jh. erhalten.
Abends ist die Kirche von innen und außen eindrucksvoll beleuchtet. Vor dem Haupteingang zur »Sta. María del Mar« liegt der kleine, urtümliche »Sta. María«-Platz, der noch einige typische Elemente aufweist, wie die mittelalterlichen Eisenleuchter an beiden Ecken der Kirchenfassade oder den gotischen Brunnen von 1402 auf der anderen Seite. Gegenüber der Fassade eine Gruppe malerischer Häuser mit alten Bogengängen. Unter den der Kirche zugewandten Häusern liegt eine schmutzige Bar, die mit ausgetrockneten Schweineköpfen ausstaffiert ist. Die Meeresseite des Platzes nimmt ein uralter Textilladen ein, dessen Wahlspruch in Form eines Schiffsmodells an der Fassade noch an die hohe Zeit dieses Seefahrerviertels erinnert. Von hier aus erreichen wir jetzt über die von der Vorderseite der Kirche links abbiegende »Espasería« den »Pla de Palau«, auf dessen rechter Seite sich die »Llotja« erhebt.
Es handelt sich um ein schönes, gotisches Gebäude, die einstige mittelalterliche Gilde, die Vertretungen in den wichtigsten Häfen des katalanischen Seehandelsimperiums unterhielt. Im späten 18. Jh., nach der Bourbonen-Besetzung, bekam das Gebäude eine klassische, ionische Fassade, doch das wertvolle gotische Innere aus dem Jahr 1352 blieb zum Glück unversehrt. Es besteht aus drei breiten, gewölbegestützten Schiffen und bildet eine florentinische »Loggia« nach. Führungen montags bis freitags. Im 19. Jh., als Handels- und Seefahrtskammer hier auszogen, übernahm das Gebäude die nach ihrem neuen Standort benannte Kunsthochschule »Llotja«, die fünfzig Jahre lang die größten katalanischen Künstler hervorbrachte, darunter Pablo Picasso, dessen Vater hier lehrte. Gegenüber der »Llotja«, auf der anderen Seite des »Pg. de Colom«, erblickt man die Arkaden des famosen »Porxos d´en Xifré«-Gebäudes, in dem unter anderem das nach diesen Bögen benannte Edel-Restaurant »Set Portes« untergebracht ist. Dieser ganze Häuserblock wurde vom vermögenden »indiano«, wie die in Amerika zu großen Reichtümern gekommenen Katalanen hießen, Josep Xifré errichtet, und so zieren denn auch Seefahrts- Amerika- und Entdeckungsmotive die Arkaden.
An diesem Punkt endet unser Rundgang. Von hier kommt man leicht zum »Passeig Nacional«, der weiter in das Fischerviertel »Barceloneta« führt, wo es sich vor allem für Fischfreunde vortrefflich schlemmen läßt, oder über den »Moll de la Fusta« wieder zurück zu den »Ramblas«.