Ribera
Handwerkerviertel Barcelonas
»Ribera« heißt soviel wie Meeresufer. Dieses Handwerkerviertel, dessen Straßen noch die Namen der alten Berufsverbände tragen, entstand im 13. Jh. zur Blütezeit der katalanischen Mittelmeerexpansion und des Seehandels außerhalb der Mauern. Auf der Fläche zwischen Mauern und Meer, entlang der Straße vom Nordstadttor, dem heutigen »carrer Argentería«, siedelten sich Seeleute, Händler und Handwerker an. Als dieses Seefahrerviertel mit dem darüber gelegenen »St. Pere«-Handelszentrum zusammenwuchs, erreichte das gesamte »Ribera«-Viertel, das mittlerweile innerhalb des neuen Mauerrings lag, seine Blüte. Die Straße »Montcada«, damals die breiteste in ganz Barcelona, wurde als Verbindungsweg angelegt und geriet rasch zur Hauptachse dieses neuen Stadtteils. Hier ließen die reichsten Handelsfamilien ihre Adelspaläste errichten, die zum Glück bis heute erhalten blieben.
Im 18. Jahrhundert bewirkte der Rückgang des Mittelmeerhandels zugunsten des Amerikahandels das Ende dieser Glanzzeit und den langsamen Niedergang der Ribera. Ferner fiel im Jahre 1714, nach dem Sieg von Philipps V. über Barcelona, das halbe Viertel dem Bau der Zitadelle zum Opfer. Als die Katalanen 1768 ihr Recht zum Überseehandel wiederergewannen, hatten sich Hafen und Hafenviertel nach Osten zum heutigen »Moll de la Fusta« verlagert. Der »carrer Ample« entwickelte sich zur neuen Stadtmitte, und die Paläste am »carrer Montcada« wurden allmählich aufgegeben. Dem mangelnden Interesse der Stadtplaner und Bauspekulanten des 19. Jahrhunderts an diesem verarmten Viertel ist das Überleben der heutigen Prachtbauten, die vorübergehend sogar als Warenlager benutzt wurden, zu verdanken.
Startpunkt des Rundgangs
Wir beginnen unseren Rundgang bei der per Metro I erreichbaren »Plaça Urquinaona« und marschieren dann die »Via Layetana« hinab. An der ersten Ecke auf der linken Seite erhebt sich das neugotische Gebäude des ehemaligen Zentralsitzes der »La Caixa«-Sparkasse, heute an der »Diagonal« in den beiden schwarzen Türmen neben dem »Corte Inglés« im neuen Finanzviertel Barcelonas. Etwas unterhalb dieses eindrucksvollen Gebäudes des Jugendstil-Architekten Enric Sagnier biegen wir an der ersten Ecke links in den »carrer de Sant Pere mes Alt« ein und gelangen an den »Palau de la Musica«. Dieser Jugendstil-Bau ist einer der prächtigsten der Stadt. Lluís Domenech i Muntaner schwelgte hier in den typischen Materialien dieses Stils wie Schmiedeeisen, farbige Keramik, Ziegelstein und Glas, und überlud den Konzertsaal mit Skulpturen, Reliefs und Mosaiken. Der »Palau de la Musica« steht leider in den engen Straßen der Altstadt, was die Perspektiven auf die Haupt- und Seitenfassaden beeinträchtigt.
Am »carrer Amadeu Vives«, an dem ein Seiteneingang liegt, können wir nun die postmoderne Erweiterung bewundern oder kritisieren. Doch wer diesen Konzertsaal in seinem ganzen Reichtum betrachten will, muß eines der vielen Konzerte besuchen~ auch Jazz, New Age oder Flamenco. Typisch für das Dekor des »Palau« sind die je zur Hälfte aus Mosaik und Relief zusammengesetzten Figuren, die riesige, tropfenförmige Farbglasrosette an der Decke, die Skulpturengruppen, welche die Bühne einrahmen, oder die überall vorhandenen und bis ins letzte Detail gearbeiteten, blumigen Keramikverzierungen. Nachdem wir uns am »Palau« sattgesehen haben, folgen wir den »carrer de Sant Pere mes Alt« weiter in dieselbe Richtung. In dieser Straße spürt man noch das Flair des einstigen Handels- und Textilzentrums, das dieses Viertel bis zum letzten Jahrhundert war. Am Ende erreichen wir einen schönen Platz mit einer gotischen Kirchenfassade, dem romanischen Kloster »Sant Pere de les Puelles« aus dem 10. Jh. Trotz mehrmaliger Zerstörung durch die Mauren, des Wiederaufbaus und schließlich der furchtbaren Restaurierungen des 19. Jhs. blieb es in einem unpersönlichen Mischstil auf wundersame Weise erhalten.
Von diesem Platz mit seinen Anleihen an italienische Vorbilder wie Siena oder Florenz richten wir uns über »Basses de St. Pere« nach Süden. Die seltsame Straße auf zwei Ebenen nahm früher ein kleiner Teich ein, der eine Mühle antrieb. Hier standen noch vor nicht allzulanger Zeit mehrere große Becken, letzte Überbleibsel der mittelalterlichen Textilindustrie. Der »carrer Basses de St. Pere«, dessen Name noch an jene Becken erinnert, mündet in den ruhigen, an das provinzlerische Barcelona von 1840 erinnernde, »St. Agustí Vell«-Platz mit einem Haus aus dem 14. Jh. am unteren Ende.
Von hier gelangen wir über »Carders«, Zentrum der Färber und Wollverarbeiter, zur alten romanischen »Capella de Marcús«. Sie stammt aus dem 12. Jh. als rundherum nur Felder lagen sowie ein von jenem mysteriösen »Marcús« gestifteter Armenfriedhof. Die heutige Straße »Carders« ersetzte die frühere »carretera de Roma«, die Verbindungsstraße nach Mitteleuropa. Die der Schutzpatronin aller Reisenden gewidmete Kapelle war Anfangspunkt der Post- und Kutschendienste, die Barcelona mit Europa verbanden. In der Umgebung befanden sich auch viele »Fondas«, Rasthöfe für Reisende, und Warenlager. Genau an der Ecke der »Capella de Marcús« beginnt der »carrer Montcada«, der mit seinen gotischen Adelspalästen heutzutage eines der wichtigsten historischen Gefüge der Stadt darstellt.