Tormento

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Auf dem Rücken der Pferde liegt das Glück der Erde …

Oben am Orca der Inkas

Tormento spricht die Zukunft

Tormento heißt auf Spanisch Sturm und kann dementsprechend mächtig abgehen. Was für eine Kombination also, wenn der Schreiber dieser nichtigen Zeilen das erste Mal Freundschaft auf dem Rücken eines Pferdes schließt und dieses den eindeutigen Namen Tormento trägt. Erstmal streicheln und gut zuflüstern, und dann ganz langsam die Steinberge am Rande des Titikakasees erklimmen ...

Tormento war das ruhigste und liebste Wesen, dass sich ein Wirbelwind vorstellen kann, voller Sanftmut und mit spannenden Geschichten obendrein, ich ritt weniger als dass ich glitt, zuckersüße Bewegung, und die Ohren immer schön gespitzt, was Tormento?

Da oben am Hügel, der Orca der Inkas, ein Steintorbogen, der zu Jahresbeginn, am 21. Juni, die Sonne durchlässt und hinten im Rücken der natürlich gewachsene Pfeil der Inkas, ein in dieser Gegend häufig anzutreffendes Phänomen, sieht irrwitzig aus, als hätte die Natur ihren Bergen die wildesten Irokesenschnitte verpasst.

Tormento berichtet mir, dass die meisten Menschen hier am See immer noch Aymara sprechen, die alte Eingeborenensprache und die Bauern genau so hanebüchen mit Spanisch daherkommen wie ich, und dass sie nach alter kolonialer Sitte immer noch weniger wert sind, als die Spanisch sprechenden Stadtmenschen Copacabanas, viel schwieriger an Arbeit und Reputation kommen, so wie Türken bei Euch in Deutschland, oder nich? Ich beug mich ganz weit nach vorne, um ihm ins Ohr zu flüstern, dass Tiere wie du Ich noch ganz andere Sprachen sprechen und anstatt mir wiehernd zuzustimmen, bleibt er kurz stehen und kackt pferdegleich solche Mengen, dass ich Wochen auf dem Klo zubringen müsste.

Aber irgendwie angenehm, das ganze mal von oben zu betrachten ...

Dann zum Hausberg, der schon von weitem aufgrund seiner zahlreichen Kreuze erkannt werden kann. Es ist eine Art Pilgerweg, bestückt von Aufgang bis zur Spitze mit über 20 alten Steinkreuzen auf meterhohen Sockeln; ganz oben dann statt Leidensdruck eine herrliche Aussicht auf Zaubersee und Ufersteine. Tormento genehmigt sich, ganz namensgleich, ne feurige Coke, ich bleib bei Wasser, wir kauen Erdnüsse und beobachten die Wolken, wie sie sanft mit dem Wasser spielen.

Beim Abstieg fallen mir deutlich die vielen Steine auf, die auf jedem Kreuzsockel liegen. Jeder einheimische Wanderer, der hier hinauf steigt, bleibt an jedem Kreuz kurz stehen, bekreuzigt sich (nomen est omen), betet und wirft Steine auf den Sockel. Der typische Komplementär-Animismus der Indios, sag ich zu Tormento, der kurz die Augen schließt und mir stillschweigend Recht gibt.

Wie lange wird das noch so weitergehen, christlich hier, ursprünglich da? Drei Möglichkeiten, behauptet Tormento: Erstens, die Steine werden verschwinden, die Gebete und Kreuze bleiben, allerdings eher unwahrscheinlich. Die zweite Möglichkeit, die Kreuze verschwinden, die Steine bleiben, Mutter Erdes Wahrheit darf wieder öffentlich und voller Innbrunst ausgesprochen werden, wahrscheinlicher.

Wieso wahrscheinlicher?, frag ich widersprechend. Sieht doch alles nach der dritten Möglichkeit aus, dass nämlich beides verschwinden wird, guck dich doch um, nur Handys, säkularisierte Wirtschaftswelt, wo die Singlewohnung zur Kirche wird und die Textmessage zum täglichen Gebet.

Da haste zwar Recht, wiehert Tormento, aber hier in Bolivien regiert seit einiger Zeit zum ersten Mal ein Indio, der 187. Präsident dieses Landes und das erste Mal kein dickbäuchiger weißer Mestize, sondern ein moderner Robin Hood, der die Indio-Wahrheit an die Menschen zurückgeben wird, zumindest versuchen sie das hier in Bolivien, und blick Du dich doch um, schau dir den See an, Wolken, Blumen, Vögel, da vorne die Frau, schüttet grad einen kleine Schluck ihres Wassers auf den Boden, zum Dank, du weißt an wen ...

Tormento bringt mich sicher zum Strand, ich war beileibe kein feuriger Reiter, sondern ein vorsichtiger Flüsterer, ihr Pferde seid groß, muskulös, mächtig, da dank ich dann herzlich, dass ich zuhören durfte.