Potosi
Silber!!! Es ist echtes Silber!!!
Cerro Ricco - der reiche Berg
Die Silber- und Zinnminen von Potosi sind weltberühmt, sogar in die spanische Sprache eingegangen, der Grund ist ganz einfach: Sie sind reich, zumindest waren sie es einmal: sehr, sehr reich.
Die spanischen Konquistadoren haben diesen Kontinent nicht bereichert, nicht verstanden und auch nicht gefördert, sie haben ihn ganz einfach ausgebeutet, und am Stärksten und Offensichtlichsten ist das hier in Potosi in Kraft getreten. Es gibt hier einen Berg, gut 4500 Meter hoch, der heute nur noch Cerro Rico (der reiche Berg) heißt, in dem schon die alten Indianer Silber entdeckten und für ihre heiligen Zwecke verwendeten. Natürlich fiel das den Kolonialherren und Eroberern schnell auf, und das Ganze wurde systematisch angefangen, mit Sklaven, weißen Herren und totaler Rohstofferschöpfung. Auf die Erschöpfung konnte man aber lange warten, die Spanier, bzw. die Fronarbeiter, holten von 1550 bis 1650 aus diesem Berg die unglaubliche Menge von 16 Millionen Kilogramm reinstem Silber heraus. Ja, 16 Millionen Kilogramm, das war dreimal so viel wie es zu diesem Zeitpunkt im ganzen Kontinent Europa gab. Dreimal so viel in einem Berg wie in ganz Europa! Die Folgen hätten augenscheinlicher nicht sein können.
In der Mitte des 17. Jahrhunderts also war Potosi mit fast 300.000 Einwohnern die größte und, muss man nicht erwähnen, reichste Stadt der ganzen Welt. Berlin gab´s noch gar nicht, London und Paris hauten sich mit Kriegen die Köpfe ein und dezimierten ihre Einwohnerzahl, Potosi war die Blüte, das Leben, 36 Kirchen, 36 Kasinos, Besuch von Staatsmännern, Wissenschaftlern, edle Häuser, edle Damen, edle Stoffe, edles Silber, alles logischerweise in den Säcken der weißen Ausbeuter. Reger Handel wurde betrieben, Spanien, England, Holland (auch aufgrund berühmter Piraten wie Francis Drake oder "dem schwatten Piet") wurden reich und legten den Grundstein für das Industriekapital Europas. In der spanischen Sprache ging der Ausspruch "vale un potosi" ein, was so viel heißt wie: Das ist ein Vermögen wert.
Heute steht der Cerro Rico immer noch, doch das Silber gibt´s nur noch ganz selten, stattdessen wird Zinn abgebaut, ein Rohstoff, den man prima in der chemische Industrie gebrauchen kann, der aber natürlich lange nicht so wertvoll wie Silber ist. Die teuren Vorrate waren bereits zu Anfang des 18. Jahrhunderts erschöpft, Potosi wurde das, was es heute ist, eine 100.000 Einwohner-Stadt, ärmlich, einfach, wo jeder dritte Mann in den Minen arbeiten geht, um mit dem bisschen Zinn sein Leben zu machen. Wenn er ganz glücklich ist, findet er noch mal nen großen Klumpen Silber und kann diese Arbeit aufgeben, was nach einer persönlichen Erfahrung mehr als erstrebenswert ist.
Qual der Mienenarbeiter
Touritour in den reichen Berg gemacht, mit Gummistiefeln, Helm, Taschenlampe, Schutzkleidung und Wasserflaschen. Kokablätter, Zigaretten und Alkohol als Geschenk für die Arbeiter im Gepäck. Was anders als diese drei Stoffe zu benutzen, sich damit dem Trübsinn wegzublasen, bleibt den Arbeitern auch nicht übrig, denn diese Minen und deren Arbeitsbedingungen gehören wohl zu den härtesten, die es auf der Welt gibt. Wir sind fast zwei Stunden durch die Stollen gerobbt, auf allen Vieren, schwitzend, keuchend, Kopf anstoßend, einfach nicht zu fassen, was Menschen im Jahre 2007 tun, und das, im Gegensatz zu uns, mit zig Kilos auf dem Rücken.
Der durchschnittliche Minenarbeiter stirbt mit 43 Jahren, es gibt einen berühmten, besonders alten Arbeiter, der ist heuer 57 Jahre alt geworden. Täglich stirbt ein Mensch aufgrund dieser Mine, 40 pro Jahr in der Mine, weil das Dynamit zu schnell zündet oder irgendwas herunterfällt, die anderen 230 an Lungenkrankheiten.
Das Eintrittsalter, mit dem man zu arbeiten beginnt, liegt bei neun Jahren, geschätzte 700 Kinder arbeiten in der Mine, obwohl staatlich das Arbeiten dort erst ab 18 erlaubt ist. Um staatliche Verordnungen kümmert sich hier keiner, 90 % der Minenarbeiter geben an, dass sie keine andere Wahl haben als dort zu arbeiten, es gibt nichts anderes zu tun, und vielleicht, ganz vielleicht, machen sie ja doch noch das große Silber-Glück. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie nur dicke Gesteinsbrocken auf kleinen Waggons nach draußen zerren (zwei Mann schieben, zwei Mann drücken, die zweieinhalb Tonnen-Wagen). Das Mineral-Müll-Gemisch wird dann an die entsprechenden Kompanien verkauft, die es säubern und extrahieren, und an europäische oder amerikanische Firmen weiterverkaufen. Für 100 Tonnen Gestein mit bisschen Zinn und Silber gibt´s durchschnittlich 100 Dollar, wer viel arbeitet, bringt´s auf 200 bis 400 Dollar im Monat, dafür sind dann aber auch 24-Stunden-Schichten zu tun.
Was bringt Menschen dazu, ihr Leben zu ruinieren, 96%-starken Alkohol täglich in sich reinzuschütten (Ja, 96%er-Stoff!)? Fehlende Bildung, fehlendes Selbstbewusstsein, Gier nach Silber?
Sie tun es jedenfalls weiterhin, täglich, und nur wenige, wie unsere Führer, die ehemalige Arbeiter waren, Englisch gelernt haben und jetzt als Touristenguides deutlich besser zu leben wissen, kommen hier lebend wieder raus. Sie sind vielleicht nicht reicher, aber dafür gesünder, der Rest geht beim Vater als kleiner Junge in die Lehre, macht bis zum 13. Lebensjahr die kleinen Hol-mal-dies-halt-mal-das-Arbeiten, und legt dann mit 14 Jahren los, Tonnen zu schleppen, Dynamit in die Stollen zu stecken, zu schwitzen und sich ne Staublunge anzuatmen.
In jedem Stollen sitzt irgendwo eine kleine Pappfigur, der heilige Tio, der Onkel der Minenarbeiter, ein Geist, den sie alle fürchten und schätzen, jeden Freitag, am Wochenende, kriegt er Zigaretten oder andere Spenden auf seinen improvisierten Altar gelegt, damit er sie weiterhin beschützt und dafür sorgt, dass die Jungs Mineralien finden werden. Jeder Minenarbeiter glaubt an den heiligen Geist des Tios, der durch diese Berge steift, und der doch nichts ändern kann am Schicksal der Verlorenen.
Einmal haben wir alle unsere Lampen ausgeknipst, die ganze Gruppe interessierter Besucher plus Guide, und die Dunkelheit des Stollens, den Abgrund der Schwärze gespürt. Dann geht nichts mehr und nichts wird mehr ...