Heiliger Zirkel

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Kinder der Erde

Friedenspfeife in La Paz

Zu Besuch bei einer Indianerversammlung

In Bolivien hatte ich das unverschämte Glück, den holden Flaum der Erfüllung, als ich unversehens eingeladen wurde, dem Treffen eines heiligen Zirkels weiser Menschen aus ganz Südamerika beizuwohnen. Was ich da erlebt habe, gab´s für mich vorher nur im Film und in der Sehnsucht.

Bevor ich nach Südamerika aufbrach, habe ich das beabsichtigt und mir vorgestellt, in einem Bergdorf mit Indianern die Friedenspfeife zu rauchen, um "sehen" zu lernen. Dass ich dann im Wohnzimmer eines grün getünchten La Pazer Wohnhauses landete, tat nichts zur Sache, dass der Fernseher in der Ecke stand und die Menschen, wenn ihr Handy klingelte, kurz aufstanden, auch nicht. Alles ein Teil des mir dann so vertraut gewordenen Omnianimismus, der Fähigkeit des sowohl als auch, statt des entweder oder.

Manche der Energiewesen waren richtig alt, hatten weiße Rauschebärte, traditionelle Kleidung, Federschmuck im Haar, manche trugen Amulette, manche sahen auch ganz normal aus, wenn man mal von den Augen absieht, die Stroh zum Brennen gebracht hätten. Tatsächlich hielten sie eine vorbereitende (für ein Treffen mit dem Präsidenten) Sitzung mit einem Mitglied der bolivianischen Regierung, reichten dabei eine Art Medizinstab an denjenigen Redner herum, der an der Reihe war, redeten sich beständig mit meine Brüder und meine Schwestern an, kauten Koka, räucherten den Raum mit Heiligkeiten und waren weise, waren heilig, waren das, was ich nach vielen Wochen des Suchens in den Anden, nicht mehr für möglich gehalten hätte. Coca-Cola, Internet und Simpsons kennt jeder, aber Sonnenwenden, den alten Glauben, Pachamama? Alles da, in diesem einem Moment, ich zitterte so vor mich hin, ließ die Kokablätter unauffällig an mir vorbeiziehen (später lernte ich sie "ordnungsgemäß" zu benutzen) und staunte mit den Augen eines Achtjährigen.

Übrigens, nicht dass dort nur Männer anwesend gewesen wären, Frauen saßen scheinbar teilnahmslos als Protokollantinnen in der Runde, kauten doppelt so viel Koka und redeten nicht viel. Eine der ihrigen war besonders auffällig, sie war die Schwester des Zeremonienmeisters und hatte so dermaßen rote Augen und ein weggetretenes Gesicht, dass ich mir beinahe ernsthaft Sorgen machen wollte. Sie saß halbschlafend, halbtrancened in der Ecke, die Beine unter ihrem bunten Bolivnao-Rock versteckt, die heilige Mesa, die Zaubergegenstände auf ihrem Tuch vor sich ausgebreitet, immer beständig Koka am Kauen, gelbe Zähne wie Spongebob die Haut, hui, von Anfang an kam mir die ein bisschen seltsam vor.

Während ich dann mehr als eine Stunde den Männer beim Debattieren, beim Singen, beim Funkeln zugehört (oder besser zugeehrt) hatte und die Schwester sich bis dahin kein einziges Mal zu Wort gemeldet hatte, stand sie plötzlich unvermittelt auf, packte ihre Siebensachen in ihr Tuch, band sich das - ganz wie es sich andinisch gehört - auf den Rücken und setzte zur Rede an: Hei, hei, hei, und was für eine Rede. Als ob alle nur auf sie gewartet hätten, schärfte sie jedem ihren gemeinsamen Traum ein, die unmissverständliche Botschaft der Freiheit und der Gleichheit und alle, selbst der Älteste mit den ruhigen Augen , dem langen weißen Bart und dem weiten Trachtengewand, der Miraculix in nichts nachstand, war gebannt, lauschte ehrfürchtig und nickte beständig.

Für die Kraft solch einer Hexe lohnt es sich durch Wüsten zu gehen, ein echter Alptraum, ein wachrüttelnder!!

Der heilige Zirkel, dem ich beiwohnte, hat einen Traum, einen "sueño", nämlich die Gleichberechtigung der Indianer, die längst verloren geglaubte Fortsetzung ihrer uralten Kultur, das Verständnis, dass Mutter Erde die größte und heiligste Kraft ist, die wir ehren und schätzen können, wenn wir nur den Mut und die Bewusstheit aufbringen. Sie kamen aus Chile, aus Argentinien, aus Peru und aus Bolivien, die weisen Männer und Frauen, und ich saß da mitten drin wie ein kleines Glühwürmchen, und ihre Botschaft lautete dass es keine Länder gibt, nur Kinder der Erde, die durch die Sonne strahlen. In 15, 20, vielleicht 25 Jahren, so der Zirkel zu mir gewandt, hat sich die Wirklichkeit dieser Welt erneut gedreht. Dawning-of-acuarius-mäßig wird das Herz der Indianer so stark und schnell schlagen, dass die seit 1000 Jahren herrschenden Kräfte unserer Zeit, nämlich die der Wissenschaft, des Verstandes und der Pariachen, ihre Spitzenposition verlieren und ein neuer Zyklus wie Wind durch unsere Herzen fegt.

Diese Menschen glaubten und wussten das, nicht so billig wie "am 31.12.2012 passiert das und das", sondern echt und tiefgründig.

Ich weiß nur, dass Veränderungen viel schneller eintreffen, als wir uns das selbst glauben machen wollen. Was es sein wird, weiß ich nicht, ob es so sein wird, wie Hermano, der Hexer aus Chile sagte, dass nämlich der Luxus der Westländer und deren Bequemlichkeit sich ins Gegenteil verkehren wird und wir wieder lernen werden mit Schweinen und Eseln, ohne Strom und Wasser, zu leben, zeigt sich, zeigt uns der Jeist, wenn Crunchtime kommt, bestimmt.

Ich habe an diesem Tag mein "Fe", meinen Glauben gefunden und erlebt, dass die Indianer noch nicht tot sind, und dass die Handys sie auch nicht totkriegen können, denn sie werden einfach mitbenutzt.

Als ich aus dem Haus ging, war ich erst mal mächtig aufgewühlt und hab ne Zigarette geraucht, ganz ohne Pudel und Sonnenschirm, nur die braunen Fäden in Papier gedreht ...