Christiania
Sehenswertes in Kopenhagen
CHRISTIANIA
Christiania steht für ein wagemutiges Experiment in einem Land, das sich nicht scheut, gesellschaftspolitisch neue Wege einzuschlagen. Vor über zwei Jahrzehnten wurde Christiania geboren, und es existiert immer noch. Auch wenn das ursprüngliche Konzept ein wenig abgewandelt wurde, läuft das Experiment weiter ...
Aber erzählen wir die Geschichte von vorn: 1971 räumte die dänische Armee eine Kaserne in Christianshavn. Ein Gelände, 22 ha groß, Gebäude, Schuppen, Straßen, alles hübsch von einem Mäuerchen umgeben, mitten in der Hauptstadt: die Gelegenheit war einfach zu günstig.
Bald darauf kommt es zu Hausbesetzungen, und einige Hunderte Jugendlicher (»Squatter«) nehmen das Gelände in Besitz, renovieren die Gebäude, errichten Werkstätten und Läden kurz: sie schaffen sich auf diese Weise eine Art alternativer Lebensform. Die Behörden lassen es geschehen und gehen sogar so weit, die »freie Stadt Christiania« als gesellschaftliches Experiment für drei Jahre anzuerkennen. Nach ein paar ermutigenden Jahren durchlebt Christiania seine erste Krise, als die Regierung angesichts des wachsenden Drogenproblems das Experiment von heute auf morgen stoppen und allen Bewohnern »kündigen« möchte. Daraufhin bildet sich ein derart hartnäckiger Widerstand, in einer Demonstration von 30.000 Menschen vor dem Parlament gipfelnd, dass der Beschluß zunächst wieder aufgehoben wird. Parallel zum Aufstand hatten die Bewohner Christianias einen Prozeß gegen die Räumungsbeschlüsse angestrengt.
Die Demokratie in Christiania funktioniert vor allem auf Werkstatts- oder Bezirksebene. Eine Zentralverwaltung im eigentlichen Sinne fehlt. Jeder Bewohner kommt für seine Miete auf. Die Hälfte davon fließt der Gemeinde für die Allgemeinkosten zu. Zahlreiche Bewohner gehen außerhalb einer Arbeit nach, Christiania beschäftigt aber selbst an die hundert Menschen. Hier gilt Nutzungsrecht vor Eigentumsrecht. Niemand kann sein Haus verkaufen oder es länger als sechs Monate verlassen. Kürzlich hat Christiania zwei Prozesse, die gegen den Räumungsbescheid angestrengt worden waren, verloren; aber der nun schon einige Jahre andauernde juristische Kleinkrieg hat ein ausgewogenes Kräfteverhältnis zustandekommen lassen, und die Obrigkeit spricht nicht mehr von Räumung. Auch wenn Christiania keine Utopie mehr ist, sind die Bewohner nichtdestotrotz fest entschlossen, ihre privilegierte Lebensweise zu verteidigen. Was die harten Drogen betrifft, bleibt anzumerken, dass die Mehrheit der »Christianer« gegen die Dealer und für deren Verschwinden kämpft.
»Koks« ist also aus Christiania verbannt worden, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten. Grundsätzlich wird das Experiment weitergeführt, auch wenn ein offensichtlicher Schlendrian, oder positiv ausgedrückt, eine gewisse Ungezwungenheit, innerhalb der umfriedeten Stadt in der Stadt herrscht. Einige Restaurants sind auf polizeiliche Anordnung hin geschlossen worden, die Konzerthalle ebenso. Eine neue Diskussionsphase hat begonnen, in der Bewohner und Behörden eine Basis für eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung finden wollen, ohne dabei den alternativen Charakter des Projekts aufzugeben. Alle warten also gespannt. Wir nehmen hier an einer regelrechten Lektion in Sachen Demokratie und Anerkennung des Andersartigen teil.
Wer sich nach Christiania begibt, rutscht natürlich unwillkürlich in die etwas unangenehme Rolle des neugierigen Beobachters. Es empfiehlt sich, die Örtlichkeiten nicht mit »Zoo-Mentalität« zu besichtigen, sondern vielleicht erst mal zu probieren, Kontakt zu dem einen oder anderen Bewohner aufzunehmen. Zelten oder wohnen kann man dort allerdings nicht. Christiania verfügt nicht über die notwendigen technischen oder sanitären Anlagen, um die Tausenden von Besuchern jeden Sommer zu beherbergen, dies muß ganz deutlich gesagt werden. Auch wenn die Christianer die Welt nicht neu erschaffen können, so wollen sie doch ihre Lebensweise bewahren, was ja normal ist. Vielleicht gelingt es dem einen oder anderen bei den verschiedenen Beschäftigungsmöglichkeiten in Christiania, eine interessante Bekanntschaft zu schließen, was für sich schon überaus wichtig wäre. Die Fotografen unter uns müssen allerdings ihre Kamera im Quartier lassen. Allerorten mahnen Schilder, nicht zu fotografieren. Wir legen jedem Besucher an Herz, diesen Wunsch zu respektieren, oder aber ausdrücklich um Erlaubnis zu bitten.