Der Beginn

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Anspannung liegt in der Luft

Geheimnisvolle Stimmung breitet sich aus

Plötzliches Auftauchen mysteriöser Gestalten

Der Tag des Singsings war gekommen. Michael war beschäftigt, mit Butut und Aisaip Kabel zu verlegen, und zwar vom workshop aus quer über die Station zu dem Grasplatz, auf dem das Singsing stattfinden sollte. An die Kabelenden wurden starke Lampen angeschlossen, damit Michael in deren Licht das Singsing in der Nacht filmen und fotografieren konnte. Orkap kam herüber, um sich alles anzusehen. Er hatte sich etwas ganz Besonderes ausgedacht, um meine Reserviertheit ihm gegenüber zu durchbrechen. Ich hatte immer noch Schwierigkeiten, diesem Mann natürlich und freundlich zu begegnen. Meine Gefühle ihm gegenüber waren eher zwiespältiger Natur, ich sah in ihm so etwas wie einen Freundfeind. Und das obwohl – oder vielleicht auch weil – ich ihm erst vor wenigen Tagen eine Katze geschenkt hatte. Diese große gelbe Katze und ich, wir hatten uns auf Anhieb nicht gemocht. Den von unseren Vorgängern überlassenen Hund Kalap hatte ich flugs ins Herz geschlossen, während die Katze und mich dagegen von Anfang an ein Gefühl tiefer Abneigung verband. Orkap hatte bei einem seiner seltenen Besuche in der Krankenstation diese Katze hochgelobt, so dass ich sie ihm kurzentschlossen geschenkt hatte, worüber sie anscheinend auch heilfroh war. Heute wollte er mir eine Freude bereiten und schenkte Amos einen Lendenschurz, den er ihm auch gleich unter meinen wachsamen Augen anlegte. Noch immer war mir das Gefühl der Unbefangenheit Orkap gegenüber verwehrt, ich hielt es für höchst angebracht, ihn genau zu beobachten. Stolz und glücklich hüpfte unser weißes Kind in seinem Lendenschurz herum und wollte immer wieder damit fotografiert werden.


Am Abend in der Dämmerung kam die Singsing-Gruppe, allen voran Orkap. Die Männer trugen mannshohe, mit Kakadufedern geschmückte und reich bemalte Holzschilde herbei. Dann begannen sie auf dem Grasplatz, sich gegenseitig zu schminken, wobei sie mit verhaltener Stimme rituelle Lieder sangen. Eine geheimnisvolle Stimmung breitete sich auf dem Platz aus. Ich saß mit Amos bei den Mamas auf einer Schilfmatte und wollte mir nichts entgehen lassen. Michael löste sich aus einer Männergruppe. Zu ihr gehörten, wie ich etwas beruhigt bemerkt hatte, auch Aisaip und Butut. Er setzte sich neben mich und meinte: „Siehst du, es läuft alles ganz friedlich ab; es gibt überhaupt keinen Grund zur Beunruhigung“. Wie immer wurde es rasch dunkel, so dass Michael zum workshop ging, um den Generator anzuwerfen. Im Licht der starken Lampen löste sich die geheimnisvolle Stimmung zunächst ein wenig. Aber der rituelle Gesang der Männer ließ sie fix zurückkehren. Beklommen überlegte ich, wie unglaublich interessant es doch sei, ein solches Geschehen, das bisher nur ein einziger Weißer gesehen hatte, miterleben zu dürfen.

Plötzlich geschah etwas völlig Unerwartetes. Aufmerksam wurden wir durch die aufschauenden Männer der sich gegenseitig schminkenden Singsing-Gruppe. Sie blickten auf etwas, das außerhalb des Scheins der starken Lampen lag. Gebannt schauten wir alle in ihre Blickrichtung – und sahen eine fertig geschmückte Reihe von Männern, die aus dem Nichts zu kommen schien. Wir tauschten ratlose Blicke aus. Ich sah, wie Aisaip sich aus seiner Gruppe löste und auf die Ankömmlinge zumarschierte. Knisternde Spannung erfüllte die Luft, mir schien die Luft fast nicht mehr zu atmen zu sein. Ich sah Orkap ebenfalls hinzutreten, dann Butut, gleich danach Michael. Sie redeten erregt miteinander. Die geheimnisvolle Atmosphäre war einer angespannten gewichen, minutenlang sprachen die Männer miteinander. Endlich kehrten sie mit gesenkten Köpfen zu ihrer jeweiligen Gruppe zurück, während die Neuankömmlinge neben den Männern von Orkap Aufstellung nahmen. Die bestellte Singsing-Gruppe setzte ihre unterbrochenen Vorbereitungen fort, beendete das Schminken, während die neu hinzugekommene Gruppe ihre Schilde in das Gras steckte und sich setzte. Diese Männer verströmten etwas überaus Bedrohliches. Es schien, als wollten sie uns eine andere Wirklichkeit aufzeigen. Ein eigenartiger Geruch umgab sie, denn Blattwedel an den Oberarmen sonderten bei jeder Bewegung einen starken, süßlichen Duft ab. Die Frauen erklärten mir, das sei lip tanget, ein Blatt, das die Einheimischen zu Zauberzwecken benützten. Diese Männer bewirkten, dass nichts mehr so war wie vorher. Anspannung lag fühlbar in der Luft. Selbst die Hunde müssen sie gespürt haben, denn ich sah, wie Kalap und Dolly sich mit eingezogenem Schwanz davonschlichen.