Beängstigend

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Aufklärung über Hygiene bei Kleinkindern

Beängstigende Worte des Sohnes

Integration des Sohnes in den Alltag

Am folgenden Morgen bekamen wir gleich nach Tagesanbruch das typische Frühstück der Einheimischen serviert. Es gab süßen schwarzen Tee, dazu kalte Süßkartoffeln und Taros vom Vorabend. Während Michael mit Aisaip und den Dorfältesten ein bung abhielt, in dem Probleme der Dorfleute besprochen wurden, wanderte ich im Dorf herum, um meine durch die Nacht versteiften Muskeln wieder gehfähig zu machen. Einige der Frauen waren noch nicht in ihren Gärten bei der Arbeit und ich hatte Gelegenheit, ein paar Worte „von Frau zu Frau“ zu wechseln. Ich erzählte den Frauen etwas aus meinen Hygienestunden und traf auf offene Ohren. Von da an kamen die Frauen mit ihren kranken Kindern regelmäßig den weiten Weg zur Station gewandert, sogar zu den Schwestern der „baby clinic“, nachdem sie darüber durch Radio Madang Kenntnis hatten.


Gegen Mittag brachen wir auf und machten uns auf den Rückweg. Erneut musste ich über den Bach meiner Mutprobe robben, dann nahmen wir eine andere Route und übernachteten in einem ähnlichen Dorf, bevor ich mich – um so manche Erfahrung reicher – wieder in meinem Stationsleben einrichtete. Ich trug die tiefen Eindrücke dieses Buschmarsches noch lange in mir und begleitete Michael auch noch auf einigen folgenden Reisen. Vor allem aber ermöglichten mir die Erfahrungen dabei, spätere Erzählungen viel wacher aufnehmen zu können. So berichtete mir Michael einmal von einem seiner Buschtrips: „Wir kampierten neben einem Bach, Sinaraum kochte Reis und Dosenfleisch, Aisaip ging auf die Jagd, kein Dorf war weit und breit in Sicht. Aisaip kam mit seiner Jagdbeute zurück: ein dicker fetter palai, eine Baumechse. Sinaraum kochte ihn mit dem Reis und servierte ihn mir stolz auf einem Blechteller.“ Michael grinste mich an und meinte, sich schüttelnd: „Da habe ich mich zum ersten Mal geweigert, etwas, das sie mir vorsetzten, zu essen. Das war Fett, pures, glibberiges Fett!“ Vor allem an einen der folgenden Buschtrips kann ich mich erinnern: ich hatte, nach Atem japsend, ein Dorf erreicht, meine Sehnsucht nach Flüssigkeit, nach einer kulau, einer jungen Kokosnuss, war überstark. Am Eingang zu dem Dorf ließ ich mich niedersinken, völlig ermattetet, alles, aber auch wirklich alles, war mir egal, da hörte ich aus einem der Kofferradios im Dorf eine Melodie erklingen: „Spiel dein Lied, Elisabeth“, erklang es da auf Deutsch – und mir liefen Tränen der Erschöpfung und Rührung die Wangen hinunter.


Zurück auf unserer Station begrüßte uns freudestrahlend unser kleiner, durch die Abwesenheit seiner Eltern keineswegs geschädigter, Sohn. Am Abend setzten wir uns im Wohnzimmer zusammen, um wieder so etwas wie Familienstimmung einkehren zu lassen. Amos kuschelte sich zufrieden auf meinem Schoß zurecht, babbelte, wie immer Tok Pisin und Deutsch vermischend, von seinen Erlebnissen bei Mama Butut. Auf einmal kam eine Erinnerung hoch, die ihn weinerlich stimmte: „Mama, asde ston i paitim mi!, Mama, gestern hat mich ein Stein gestoßen!“, rief er kläglich. Ratlos schauten Michael und ich uns über seinen Kopf hinweg an. Sicher, wir selbst trugen durch unser Erzählen von Märchen dazu bei, dass für Amos alles Geschehen auch einen magischen Anteil haben konnte. Aber dieser Ausruf brachte eindeutig zum Ausdruck, dass er in der animistischen Denkweise der Einheimischen dachte, über die wir schon oft gesprochen hatten. Wir verständigten uns durch Blicke – jetzt war nicht die Zeit, dem auf den Grund zu gehen, das hatte später auch noch seinen Platz. Im Moment stand an, Familie zu leben. Locker fragte Michael: „Der Stein hat also den Weg verlassen und ist zu dir gehüpft“? „Papa, nein“, empörte sich Amos, „er ist nicht gehüpft, er hat mich nur gestoßen!“ Nachdem wir Amos zu Bett gebracht hatten, setzten wir uns zusammen, um unser weiteres Vorgehen zu überlegen. Schon häufig hatten wir bemerkt, dass die Hausmädchen nicht nur bemüht waren, Amos Tok Begesin zu lehren, sie brachten ihm auch im Alltagsumgang zwangsläufig ihre Denkweise nahe. Hellwach, wie der kleine Kerl war, sog er alle Eindrücke in sich auf. Da im Denken der Einheimischen jeder Baum, jede Pflanze, jeder Gegenstand, eben alles, mit Leben, von einem Geist erfüllt ist, musste Amos auch diese Sichtweise übernehmen. Für uns beschlossen wir, unser Söhnchen in Zukunft viel mehr in unser Alltagsleben einzubinden, und ihn weniger dem Einfluss der Hausmädchen zu überlassen.