Unerwünscht

Body: 

Ungebetene Gäste kommen zu Besuch

Geschwächt durch Malariaanfälle

Existenzberechtigung durch Fehlverhalten verspielt

Michaels Schwester kam uns in Begesin besuchen, zusammen mit ihrem Freund, einem Medizinstudenten. Von allen Besuchen wurde dieser für mich zum schwierigsten. Diese unreife, junge Frau, die schon bei unserer Verlobung geweint hatte, weil sie ihren Bruder an mich verlieren sollte, wurde für mich zu einer Zerreißprobe. Sie war unfähig, einen Menschen in seinem „So-sein“ stehen zu lassen, wollte von der Realität unseres Lebens, unseres Alltags, nichts, aber auch gar nichts, wissen. Zu dem Zeitpunkt ihres Besuches war ich körperlich bereits ein von Malaria gezeichnetes Wrack. „Was, du fühlst dich durch die Malariaanfälle geschwächt, bist an Buschtrips nicht mehr interessiert? Mensch, Gabi, reiß dich doch mal zusammen!“ Sie zeigte Michael, wie resolut sie das Leben anpackte, welche Flasche als Frau er doch hatte. Die kochte ständig nur Spaghetti mit Tomatensauce – was war er nur für ein bedauernswerter Mensch, mit solch einer laschen Niete leben zu müssen! Wenn ich mit Amos Mittagsschlaf hielt, spielten die drei Skat – ich war zu einem seltsam abgekapselten Wesen mutiert, das durch eigenes Fehlverhalten seine Existenzberechtigung verspielt hatte. Amos mochte diese seine Tante gar nicht. Er hatte im Badezimmer eines Tages ihre Tampons entdeckt, und in seiner Neugier und Unschuld fein säuberlich einen nach dem anderen ausgewickelt. Dafür hatte er sich, der gar nicht verstehen konnte, was er falsch gemacht haben sollte, zu meinem Entsetzen die erste Ohrfeige seines jungen Lebens eingefangen. Später einmal hatte ich Brot gebacken, den Abendbrottisch mit einer weißen Tischdecke gedeckt, und wollte so richtig schön auftischen. Ich holte den Toaster aus dem Schrank, stellte ihn auf den gedeckten Tisch – und stellte mir vor, wie sich jeder seine Scheibe des frisch getoasteten Brotes mit gesalzener Butter bestreichen und genießen würde. Plötzlich wurde es auf dem Tisch lebendig. Aus dem heiß werdenden Toaster wuselten Scharen kleiner Kakerlaken über die weiße Tischdecke, und allen verging der Appetit. Ich hörte den empörten Aufschrei von Michaels Schwester – und wusste: ich hatte wieder einmal versagt. Ein klärendes Gespräch zwischen Michael und mir fand unter dem Einfluss dieser oberflächlichen jungen Frau nicht statt; er begann, die Realität mit den Augen seiner Schwester zu sehen.

Wir fuhren mit der Simbang nach Biliau, es sollte eine Art Urlaub werden. Auf der Überfahrt wurde ich, die vorherige Seereisen problemlos verkraftet hatte, schrecklich seekrank. Würgend verbrachte ich unbehelligt die Überfahrt auf dem von den Einheimischen belagerten Oberdeck – ihnen war wohl klar, dass ich mich nicht in einer muffigen Schiffskabine aufhalten konnte – und nicht ein Blick verwies mich in die Grenzen einer weißen Missis. Bei der Ankunft in Biliau vergoss ich bittere Tränen in der Erinnerung an meine Traumankunft von damals. Am Spätnachmittag des ersten Tages in Biliau setzte ich mich wie früher mit meiner Freundin Gananui an den Strand. Gananui schaute mich lange fragend an, sie hatte mein Elend gleich erkannt, und warnte: „Ooo Gabi ooo, das ist eine ungute Frau, von schlechter Art. Pass auf Dich auf, sonst bleibt von Dir nichts übrig! Und“ – sehr bestimmt kam das – „Dein Mann ist schon weit weg von Dir. Wenn Du bei ihm bleiben willst, musst Du äußert vorsichtig sein.“ Ich habe mich ehrlich bemüht, diesem Rat zu folgen, aber keinen Weg gefunden, die Geschlossenheit der – wie ich empfand – gegen mich gerichteten Dreierbande zu durchbrechen. Durch diesen Besuch veränderte sich das Verhältnis zwischen Michael und mir einschneidend. Aus Weggefährten schienen Kontrahenten geworden zu sein. Es gibt ein Foto von diesem „Urlaub“ in Biliau, das meine damalige Verfassung gut zum Ausdruck bringt: eine schmale, junge Frau, am Strand auf einem Kanu sitzend, die von einer Südseekulisse aus weißem Sand, Kokospalmen, blauem Meer – und von Einsamkeit – umgeben ist. Beim Abschied in Biliau hielt mich Gananui lange an den Händen, ihre Blicke zeigten mir, dass sie genau wusste, wie es um mich stand. „Du hast Dir am Strand das Leben weg gewünscht; ich habe es gesehen“, sagte sie zu mir. „Aber das ist keine Lösung, das ist der falsche Weg. Steh auf und fange an, Dich gegen diese Frau zu wehren, denk daran, wie stark Du damals hier in Biliau warst!“ Lange und tief war unsere Abschiedsumarmung, bis uns die schrille Stimme von Michaels Schwester in die brutale, verflixte Wirklichkeit rief.


Zurück in Begesin überfiel mich ein erneuter Malariaanfall. Wie ich das kannte und hasste. Geschüttelt von Fieber und Gliederschmerzen, hatte ich gleichzeitig Brechdurchfall. Auf eine genauere Beschreibung der Krankheitssymptome möchte ich verzichten. Wenn ich mich entkräftet in unser Schlafzimmer geschleppt hatte, hörte ich aus dem Wohnzimmer die erregten Stimmen der Skatspieler, und kam mir dabei vor wie ein Wesen von einem anderen Stern. Als Michaels Schwester mit ihrem Freund endlich das Flugzeug bestiegen hatte, und ich es davonfliegen sah, schaute ich ihm hocherleichtert hinterher. Ich war um eine Erfahrung reicher: ich wusste, wie es sich anfühlt, verachtet zu werden. Nach der Abreise seiner Schwester brauchten Michael und ich lange Zeit und viele Gespräche, um wieder etwas wie Vertrautheit herstellen zu können. Und ich brauchte besonders lange, bis ich einen Teil meines Selbstwertgefühls zurückfinden konnte.