Umzug

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Traumähnliche Erlebnisse

Überwältigt von den Eindrücken

Alltag im Lutheran Shipping Compound

Wir bezogen ein kleines Haus unmittelbar an einer der Lagunen, von denen Madang umgeben ist. Ein Holzhaus auf Betonpfählen mit einem Wellblechdach, die Fenster mit Fliegengitter sowie mit jalousieartigen Glasscheiben, die man in der Regel zwecks Durchzugs offen ließ. In unserer Nachbarschaft wohnten viele Angestellte von Lutheran Shipping, einer Schiffsgesellschaft, die inzwischen von der Mission an die einheimische Kirche übergeben worden war. Weitere Nachbarn waren Piloten mit ihren Familien. Das Haus war umgeben von wunderschön blühenden Sträuchern, Bougainvilleas, Eibischhecken, Mango- und Guavabäumen. Durch die Nähe zum Meer wehte meist eine leichte Brise hindurch.


Anfangs erlebte ich alles ein wenig wie im Traum, so vieles kam mir neu vor, und doch war einiges vertraut. Es war ein Wiedererkennen, ein Aufsaugen von Gerüchen, ein Überwältigtsein von der Hitze und Luftfeuchtigkeit, dem Lauschen nach Vogelstimmen, die ich längst vergessen geglaubt hatte. Vor allem der Vogel, der die Dämmerung ankündigt, rief Erinnerungen in mir wach. In Begesin hatten ihn die Einheimischen garamut bilong tudak, Baumtrommel der Dämmerung, genannt, in der Stadt wurde er longpela nek, langer Hals genannt. Etwas wehmütig dachte ich, hier werden die Nachrichten eben nicht durch Baumtrommeln übermittelt, und einen langen Hals hat er ja tatsächlich.


Michael flog nach Lae und kaufte ein Auto, einen Subaru mit Vierradantrieb, mit dem er trotz Regenzeit den Weg durch die vielen Flüsse und über die schlammigen Straßen nach Madang schaffte. Als er verschwitzt zurückkehrte, war gerade ein LKW mit unseren Überseetonnen eingetroffen, allerdings in Begleitung von zwei Zollbeamten. Schon beim Eintreten sah Michael, wie ich hektisch bemüht war, die Zollbeamten am Öffnen all der Tonnen zu hindern und flüsterte mir zu: „Oh oh, sieht nicht gut aus, wir müssen uns etwas einfallen lassen“. Schon in Neuendettelsau bei den Packarbeiten der Tonnen waren wir vorgewarnt worden, dass die Regierung in Niugini rigoros versuchte, aus Weißen, egal ob Missionare oder Geschäftsleute, soviel Geld wie irgend möglich herauszuschlagen.


Die Zöllner öffneten eine der Tonnen; zum Vorschein kam eine Waschmaschine, ganz offensichtlich funkelnagelneu. Ich hatte sie in Deutschland sehr bewusst gekauft in dem Wissen, dass wir nicht auf eine Außenstation gehen, und somit Stromanschluss haben würden. Sie war von oben zu öffnen, so dass in der Trockenzeit das Wasser bei eventueller Knappheit mit einem Eimer hineingegossen werden konnte. Ausgerechnet die mussten die Zöllner nun als erstes entdecken! Wahrheitsgemäß gab ich an, dass sie neu sei. Weiter beförderten die Zollbeamten zu meiner Befriedigung nur noch diverse Kleidungsstücke und Haushaltsgegenstände aus der Tonne.

Aber dann machten sie sich daran, eine weitere zu öffnen, was mich nach Luft japsen ließ. „Oh ja“, sagte Michael da neben mir in Tok Pisin, nachdem der Deckel abgenommen war, „das ist die mit der Schleuder! Da habt ihr genau die zwei geöffnet, in denen wir neue Dinge eingepackt haben – wir müssen nun sicher kräftig Einfuhrsteuer zahlen“. Das mussten wir. Die Zöllner setzten einen atemberaubenden Preis für die beiden Maschinen an: wir hatten 220 Kina, das waren umgerechnet 800 Mark, Zoll zu berappen, aber die anderen vier Tonnen mit zum Teil noch original verpackten Dingen wurden dafür nicht mehr angetastet. Als die beiden uns endlich verließen, meinte Michael, erbost an der Fliegengittertüre stehend: „Skin diwai, schwarze Baumhaut, habe ich doch gewusst, dass von so einem nichts Gutes zu erwarten ist!“ Einer der Zöllner war außergewöhnlich dunkelhäutig gewesen und somit wahrscheinlich von der Insel Buka gebürtig, deren Menschen ausgesprochen schwarz sind.


Nun konnten wir uns endlich auf wirkliche Entdeckungsreisen in Madang begeben. Für Michael und mich war es ein Wiedererobern von vergessen Geglaubtem, für Amos ein Eintauchen in seine früheste Kindheit, auf Janna stürmte eine Flut neuer Eindrücke ein. Ich glaube, kein Kind hat je zuvor eine Sprache so mühelos und schnell erlernt wie Janna Tok Pisin. Auf dem Markt hörte sie Michael und mir aufmerksam zu, wenn wir einkauften, sie sog die unbekannte Sprache förmlich auf.


Für Amos lief ein gänzlich anderer Prozess ab: er entdeckte verschüttetes Wissen, einschließlich Tok Pisin wieder über Gerüche und den Geschmack von Früchten und Gemüse. In kürzester Zeit wurde aus unserem, in einem deutschen Gymnasium unglücklichen, verschlossenen Jungen ein aufgeblühtes, redefreudiges Kind. „Schau dir diese beiden Kinder an“, sagte ich zu Michael einmal beglückt auf dem Markt, „mit unserer Rückkehr in dieses Land haben wir genau den richtigen Entschluss getroffen“. Wir machten die Kinder auf die fliegenden Hunde aufmerksam, die tagsüber an den Araukarien, Bäumen mit langen Nadeln, rings um den Marktplatz zu Hunderten hingen. Manchmal fühlten sich die Tiere aufgescheucht, so dass sie, helle Schreie von sich gebend, wie große schwarze Wolken über dem Markt flatterten, um sich dann wieder kopfunter in den Bäumen einzuhängen.