Schule

Body: 

Verständnisvolle Lehrer

Ganztagsschule mit Schuluniform

Zeit des schweren Herzens für Janna

Bald folgte eine Zeit, die Janna „mit schwerem Herzen“ erlebte, wie sie es selbst ausdrückte. Wir meldeten unsere Kinder in der Madang International Primary School an, der ernste Teil des Lebens musste in Angriff genommen werden. Gut zwei Wochen lang war jeder Morgen ein Drama. Janna fing schon beim Wecken zu weinen an, schniefte sich durchs Frühstück, und wenn es ans Abschiednehmen ging, war sie völlig verzweifelt. Oft war ich nahe daran, sie schützend in meine Arme zu schließen, sie nicht loszuschicken in diese Welt, die sie als feindlich empfand.


Wir wechselten uns mit anderen Familien des compounds beim Bringen und Abholen der Schulkinder ab, wobei Janna immer wieder mit flehendem Blick in den Bus unserer Nachbarn stieg. Sie hatte jedoch eine wunderbare Lehrerin, die für die Gefühle unseres kleinen Mädchens viel Verständnis aufbrachte. Wenn Mrs. Horsefield versuchte, Janna ein Wort wie leaf, Blatt, beizubringen, führte sie sie nach draußen und ließ sie das Blatt befühlen. Nach etwa zwei Wochen war ich mit dem Abholen der Kinder dran. Als ich mich einer Gruppe kleiner Mädchen näherte, hörte ich mein Töchterchen zu einem anderen Kind sagen: „See you tomorrow!, bis morgen!“ – sie hatte es geschafft. Von diesem Tag an besuchte sie wie daheim die Schule richtig gerne und lernte in atemberaubendem Tempo Englisch in Wort und Schrift.


Ich muss einen Schritt in die Gegenwart tun. Heute habe ich meine Schatztruhe gesichtet, um meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Sie ist wirklich eine wahre Schatztruhe geworden, diese Blechkiste, in der ich seit vielen Jahren verstaue, was ich des Sammelns für Wert erachte. Zum letzten Mal habe ich sie durchgesehen, als ich für Amos ein Album zu seiner Hochzeit zusammenstellte, das ist zehn Jahre her. Seither habe ich nur weiter obenauf gepackt.

Was habe ich gesammelt? Da sind Flugtickets, die mich erinnern, welche Routen wir nach Niugini und zurück geflogen sind, da sind Briefe von Gananui und anderen aus Niugini, Briefe aus Deutschland, es gibt abgelaufene Kinderausweise von Janna und Zettelchen, die wir uns zu der Zeit geschrieben haben, als wir allein zusammen gewohnt haben, Eintrittstickets zu Konzerten und Theaterstücken – und dann finde ich einen Brief, der mir fast den Atem nimmt. In großen, krickeligen Druckbuchstaben schreibt sich mein kleines Mädchen seine Seelenqual vom Herzen. Sofort ist mir klar, er kann nur aus der ersten Zeit stammen, in der Janna „mit schwerem Herzen“, in Niugini die Schule besuchte. Da steht: „Mir shtinkt`s! Ich halt`s nicht aus. Ich kann einfach nicht mehr. Ich shaf`s nicht. Als ob ich jeden augenblick ershtick! Ich weis zwar das es scheise is, aber bitte bitte versteh mich doch! Las mich halt morgen noch daheim oder ich hab das gefühl ich geh gleich hobs!“ Gebeutelt lasse ich den dreiseitigen Brief sinken – ich habe vergessen, verdrängt, wie kreuzunglücklich mein Herzenskind am Anfang in unserem neuen Leben war. Jetzt ist es wieder da, mein Bewusstsein ist geschärft für die feineren Noten des Erlebten.


Für Amos war die Schule vom ersten Tag an ein Vergnügen, er war überglücklich, nicht mehr das ihm verhasste Gymnasium in Deutschland besuchen zu müssen. Gleich zu Anfang stellte er die Rangordnung klar, als ihn ein australischer Junge seiner Klasse in der Pause einen Nazi nannte. Glücklich sagte er ein paar Tage später zu uns: „Seit ich den Kerl verdroschen habe, nennt er mich nicht nur keinen Nazi mehr, sondern er bietet mir sogar von seinem lunch an!“ Innerhalb kürzester Zeit wurde Amos zum Fußballstar seiner Klasse.


Die Primary School war eine Ganztagsschule, in der die Kinder aller Hautfarben Schuluniform trugen, die allerdings mit unserer Vorstellung von Uniform nicht eben vergleichbar ist. Die Jungen hatten kurze Hosen zu tragen mit einem der hier üblichen bunten Hemden darüber. Für Janna nähte ich einige farbenfrohe leichte Kleidchen mit Spaghettiträgern. Gelehrt wurde nach australischen Lehrplänen, die die Kinder rasch in die Selbstverantwortung nahmen. So wurden schon die Schüler der zweiten Klasse, die Janna besuchte, herangeführt, sich in der schuleigenen Bibliothek selbst ihr Material zu bestimmten Themen auszusuchen.