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Südwesterliteratur
Schreiben für Blut und Boden
Seit der Jahrhundertwende sind die deutschen Kolonialherren (und in diesem Falle auch -frauen) emsig darum bemüht, dem Publikum in der Heimat von ihren Pionierleistungen vor Ort zu berichten. Was da in Form von Romanen und Erlebnisberichten erscheint, soll zugleich die deutsche Überlegenheit gegenüber den kolonialen Mündeln, den Einheimischen dokumentieren. Bücher schreiben ist deutsch - schließlich gibt es im Schutzgebiet nichts Schändlicheres als zu verkaffern.
Der drohenden Verwilderung wird mit künstlerischer Betätigung entgegengetreten. Das Mitteilungsbedürfnis schlägt besonders bei den Frauen durch, die nach dem Tagewerk noch Zeit finden für Briefe eines deutschen Mädchens aus Südwest (Clara Brockmann 1912), Ansiedlerschicksale (Helene von Falkenhausen 1905) und Was Afrika mir gab und nahm (Margarethe von Eckenbrecher 1905).
Bald übernimmt aber die Kriegsliteratur die Meinungsführerschaft. Kampferprobte Recken, fast immer höhere Chargen, melden sich vollmundig zu Wort. Den Schutztrupplern, von denen viele gerade dem Teenageralter entwachsen sind, und den Skeptikern daheim wird eingebläut, dass zivilisatorisches Bemühen seine Grenzen habe. Wenn Afrikaner sich gegen das koloniale System zur Wehr setzen, dann sind sie bittschön auszurotten. Am erfolgreichsten wildert aber ein Nichtkämpfer in diesem Genre, der seinen Fuß nie auf die deutsche Scholle in Südwest gesetzt hat.
Wie sein Zeitgenosse Karl May vertieft sich Gustav Frenssen (1863-1945) nur mittels Zeitungsberichten und Informanten in die Materie. Nachdem er sich als Landpfarrer und norddeutscher Heimatdichter versucht hatte, gelingt Frenssen mit Peter Moors Fahrt nach Südwest 1906 der Volltreffer. Sein Feldzugsbericht, aus heutiger Sicht rundum ungenießbar, erreicht bis 1922 eine Auflage von 200.000 Exemplaren, erfährt unter den Nazis eine Wiedergeburt und schließt 1945 das Tausendjährige Reich mit einer Gesamtauflage von 433.000 Exemplaren ab. Schließlich werden ihm 1953 mit einer Zusatzauflage sogar noch bundesdeutsche Weihen zuteil. Frenssens Bestseller wird 1907 ins Dänische, 1908 ins Englische, 1926 in Afrikaans übersetzt.
Den Erfolg Gustav Frenssens kann nur Hans Grimm (1875-1959) übertreffen. Der deutsche Kolonialschriftsteller schlechthin schwingt sich mit Titeln wie Kaffernland, Der Zug des Hauptmanns Erckert und Lüderitzland zum Konsalik des südlichen Afrika auf. 1926 erschienen, profitiert sein zäher Monumentalschinken Volk ohne Raum von den Großmachtgelüsten der Nazis. Bis 1975 erreicht seine Blut-und-Boden-Ideologie eine Gesamtauflage von 783.000 Exemplaren. Die Chicagoer Weltausstellung 1933 stellt Volk ohne Raum als größtes deutsches Geistesprodukt (und einziges Buch überhaupt) vor.
Daneben tummeln sich Kolonialisten sonder Zahl auf dem Schlachtfeld der Heim-ins-Reich-Propaganda. Mit Anhängern der deutschen Kulturmission in Übersee tragen sie ihr Scherflein dazu bei, dass Kolonialliteratur just dann am populärsten wird, als die Zeit deutscher Kolonien schon seit zwei Jahrzehnten beendet ist. Allein aus der Feder eines Adolf Kaempffer (Name = Programm) fließen 1938-44 ein Dutzend Südwestromane.
Erst nach 1945 ist es mit der deutschen Großmannssucht vorerst vorbei. Die südwesterdeutsche Literatur ergeht sich in letzten Zuckungen. Alle zehn Jahre erscheint nochmals ein Titel mit latenten Südwest-Projektionen, doch ansonsten überwiegt der Rückzug ins Private. Weil ihnen keiner ins Gewissen redet, überschwemmen jetzt Freizeitautoren mit Jagdgeschichten und anderen, Romanen über die amourösen Abenteuer einer Touristin und Heiterem aus dem Farmleben die Buchverlage von Windhuk. Schöne Trash-Kostproben liefert z.B. Ada Hardeggen mit 27 Ziegen und Elf Brahmanen (1990 bzw. 1991).
Zu den angesehenen deutschsprachigen Autoren gehört Giselher Hoffmann, 1958 als Enkel deutscher Einwanderer in Windhuk geboren. Hoffmann versteht sich als Chronist, nicht Richter der unterschiedlichen Volksgruppen, was ihm eine freie Sicht auf das endlose Hauen und Stechen im Lande erlaubt. Mit Die Erstgeborenen und dem großen Hereroroman Die schweigenden Feuer (Wuppertal 1991 und 1994) erzielt er von FAZ bis zur Süddeutschen Zeitung gute Besprechungen.
Mein Lieblingsroman ist allerdings Morenga (Königstein 1978, rororo-Band 4705) von Uwe Timm, der anhand des Aufstandes von 1905ff subtil mit den Kolonialherren abrechnet. Timm verbirgt seinen heiligen Zorn hinter Dutzenden unkommentierter (und kommentarunbedürftiger) Zitate aus dem Generalstab, aus Akten und den Memoiren Beteiligter. Was das Ganze dennoch sehr lesbar macht, ist die reiche, phantastische Ausstattung von Figuren und Schauplätzen. Empfehlenswert.