Literaten
Genies von der Loire
Schauplätze von Weltliteratur
Rabelais
»Das laute Gelächter Rabelais ist in der Literatur einzigartig«, schreibt Marcel Aymé, »neben mit ihm tragen Aristophanes, Boccaccio und Molière Leichenbittermienen.« Rabelais war ein Kind seiner Zeit. Ist das Lachen, nach Rabelais, »dem Menschen eigen«, so war gewiß der Renaissancemensch gemeint, der neue, vom Aberglauben befreite Mensch, wissensdurstig und dem Vergnügen zugetan wie der Abt von Thelema, eine Figur aus Rabelais´ berühmten Roman Gargantua und Pantagruel. Ein nicht zu unterdrückendes, unbesiegbares Lachen, das den Leser mit Worten überschüttet, den Doktoren der Sorbonne und den Kriegstreibern gehörig eins auswischt. Ein Lachen nach dem Maß der Riesen Pantagruel und Gargantua, ihres Zeichens große Genießer und aufgeklärte Despoten: die gesammelte Weisheit der Renaissance.
Darin schwingen, über die Maßlosigkeit hinaus, alle Eigenheiten seiner Heimat mit, des Chinonois: die gute Laune, der perlende Saft der Weinrebe, das Mißtrauen gegen Dogmen. Die Episode der picrocholinischen Kriege ist in dieser Hinsicht aufschlußreich. Der zornige und machthungrige »Picrochol« könnte Gaucher aus Sainthe-Marthe sein, ein niederträchtiger und boshafter Mensch, der Rabelais´ Vater mit Prozessen verfolgte. Das Geschehen selbst spielt in der Umgebung von Chinon. Picrochols Hauptstadt Lerné ist ein kleiner Flecken in den Wäldern von Fontevrault. Die Abtei von Seuillé, wo Bruder Jean des Entommeures seine Heldentaten vollbringt, ist tatsächlich die von Seuilly. Der Handlungsraum des »Gargantua« spielt im gesamten südlichen Chinonais. La Roche-Clermauld, die Festung von Grandgousier, Parilly, die Vienne-Brücke von La Nonnain, Vaugaudry, die Vauguyon usw. Grandgousier bekommen Verstärkung von Leuten aus Montsoreau, Bourgueil, Choizeaux ... in all diesen Orten unterhielt Rabelais´ Vater Besitztümer. Die Ursachen dieses Kriegs hingen übrigens zusammen mit dem leckeren Gebäck aus Lerné, einer Art Brioches, die sich die Bauern heute noch schmecken lassen.
Die Pléiade - Verse und Vernunft
Laut Brockhaus sind die Plejaden die sieben Töchter des Atlas, von Zeus in Tauben verwandelt, bevor er sie zum Funkeln in den Himmel beorderte. Unsere Pléiade ist der Zusammenschluß von sieben Dichtern, von der Renaissance mit Ausnahme von Pontus de Thyard und Étienne Jodelle am Himmel über der Loire zum Strahlen gebracht: Joachim du Bellay in Liré, Rémi Belleau in Nogent-le-Rotrou, Jacques Pelletier in Mans, Antoine de Baïf in La Flèche und Pierre de Ronsard, den Kopf der Gruppe, im Vendômois, also in unmittelbarer Nähe der Königshöfe. Mal elegisch, mal satirisch, meist aber hochgelehrt, haben sie die Dichtung im Licht der Klassiker wiederentdeckt: Petrarca, Horaz, Vergil ...
Ronsard hat am wenigsten an Aktualität eingebüßt. Sinnlicher Liebhaber (»Was sollt ich tun? Der Schütze war so süß/so süß sein Feuer, süß die goldnen Schlingen/dass ihrem Netz ich ganz mich überließ«) und treuer Höfling (er erfreute nacheinander Heinrich II., Franz II., Karl IX. und Heinrich III. mit seinen Sonetten).
Der König der Dichter zeichnet sich insbesondere durch seine letzten Verse aus, die vom nahenden Tod durchdrungen sind: »Dann bin ich längst im Grab und ruh´ im dunklen Haus/ein Schemen ohne Leib, im Myrthenschatten aus/Du hockst gebückt und alt am Herd, denkst voller Sorgen/an meine Liebe, deinen stolzen Sinn. Vergebens!/So lebe, glaube mir, oh warte nicht bis morgen/und pflücke heute noch die Rosen dieses Lebens.«
Balzac - Argantua der Literatur
Honoré de Balzac; (»steiler Fels«), der Name schmeckt nach Südwestfrankreich und Gelagen. Und doch ist der unersättliche Schöpfer der Menschlichen Komödie, der die Sitten des Zweiten Kaiserreichs (1852-70) unermüdlich sezierte, ein echter Eingeborener der Loire-Region. In Tours wurde er 1799 geboren, wo sein Vater ein Krankenhaus mit solchem Erfolg leitete, dass er sich bald eine noble Villa leisten konnte. Der kleine Honoré verbrachte ganze Tage an den Ufern der Loire damit, »kleine Louvres aus Kieseln und Schlamm zu basteln. Der Fluß war gesäumt von wundervollen Pappeln, deren Blätterrauschen zu hören war, und von sanften Ufern, gekrönt mit weißen Flecken, den Schlössern.« Die Liebe zur Touraine sollte Balzac nie verlieren. Nach dem Ordenskolleg von Vendôme, dann dem Collège von Tours, zieht die Familie in das Pariser Marais-Viertel, wo Honoré (inzwischen »de« Balzac) an einer katholischen Einrichtung studierte. Einer seiner Mitschüler war ein gewisser Jules Michelet, später berühmt durch seine »Geschichte der Revolution«.
Balzacs Genie erwacht früh und er gelangt bald zu Erfolg. Seine Verleger dagegen raufen sich die Haare, wenn nach Monaten des Schweigens dicke Papierbündel ankommen, strotzend von Streichungen, Korrekturen und Ergänzungen. Unter so vielen Meisterwerken sei Eugénie Grandet hervorgehoben, die Geschichte eines steinreichen und geizigen Küfers, dessen Tochter den Nachstellungen von Mitgiftjägern ausgesetzt ist. Balzac verlegt die Handlung nach Saumur, obwohl er bei Vouvray, auf dem Château de la Caillerie, gearbeitet hat. Übrigens erkennt man zwischen den Zeilen ohne Mühe die Gegend um Tours wieder, jene Touraine, die dem Schriftsteller vorkam wie »eine Gänseleberpastete, in der man bis zum Kinn steckt, begleitet von einem Wein, der nicht trunken macht, sondern einfältig und selig zugleich.« Die Lilien im Tale, einer der vollkommensten Romane Balzacs, spielt im Tal der Indre rund um Saché. Das Werk handelt von »einer schönen weißen Statue, die mit einem häßlichen Gatten geschlagen ist«, in Leidenschaft für einen jungen Mann entflammt und von gesellschaftlichen Mechanismen zerbrochen wird. »Das ist die Geschichte der Hundert Tage (Napoleons) aus der Perspektive eines Loireschlosses« meinte Alain zu diesem Roman. Jedenfalls ist es ein wunderbarer Anlaß zu schwärmerischen Beschreibungen wie dieser: »Stellen Sie sich drei Mühlen vor zwischen anmutig hervorgehobenen und von verstreuten Baumgruppen gekrönten Inseln inmitten eines weiten Feldes aus Wasser ...«