Gegenden

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Gegenden um die Loire

Fünf Perlen auf einer Schnur

Bedeutung für die Menschen

Sancerrois, die Gegend um Orléans, die Touraine, Anjou, die Gegend um Nantes (Pays nantais), fünf Perlen aufgereiht auf die Schnur der Loire. Ein feineres Raster könnte noch die Sologne, den Vendômois, den Gâtinais und den Saumurois unterscheiden, kleinere Regionen oder einfach »Pufferzonen« zwischen den großen. Jedenfalls ist das Mosaik von einem Ende zum anderen in den gleichen goldenen Dunst und die gleiche weiche Luft getaucht, die gleichen nicht zu großen Städte recken ihre Schieferdächer aus dem Fleckenteppich der Weinberge. Außerdem wetteifern Bauern und Gärtner, ohne dass Industrie völlig fehlt. Sie zeigt sich in Orléans, Blois, Amboise, Tours und Angers. Pharma- und Kosmetikindustrie gedeihen in Orléans, Pneumatik in Tours und in Bourges, Verlage sind hie und da verstreut.

Die Rüstungsindustrie versteckt einen kleinen militärisch-industriellen Komplex in der Sologne. Natürlich darf an einem großen Fluß auch die Atomindustrie nicht fehlen: gleich vier Kraftwerke heizen der Loire ein. Das heißt, eines nicht mehr, das altgedienteste des Landes in Chinon nämlich, heute als »Anziehungspunkt« zu besichtigen. Das Gelände ist umzäunt, denn es dient auch der Ablagerung atomarer Abfälle unter offenem Himmel oder einfach in der Erde vergraben. Wer die Franzosen kennt, dem wird bang ... Zufällig bekamen wir kürzlich in einer Talkshow des französischen Fernsehens mit, dass ein Jäger einen auf besagtem Gelände geschossenen Hasen untersuchen ließ und so um die fünfundzwanzig Becquerel pro Gewichtseinheit festgestellt wurden. »Ach, ja«, meinte der Vertreter der Atombehörde, »da kann man noch viele Hasen verzehren«.

Die größte Industrie aber bleibt bekanntlich der Fremdenverkehr. Sechs der zwölf meistbesuchten Schlösser Frankreichs sind hier zu finden.

Leinwand frei für den Loire-Film: am Anfang war das Sancerrois, von ihrem Hügel herab beherrscht von der Burg von Sancerre. Berry heißt die Gegend, eine hügelige Tiefebene mit karger Erde, deren kleine Straßen sich zwischen Hecken verlieren. Hier wurde so mancher Hexensabbat abgehalten: heute noch läßt man gerne seine Nachbarn behexen, und auch Teufelsaustreiber sind nicht arbeitslos geworden. Weiter westlich stellt der Pays fort die Verbindung mit der Sologne her. Das starke Land (Pays fort) ist eine verdammt ländliche Ecke des Berry, die in fremdes Gebiet hineinragt, gesprenkelt mit Wäldern und Schafweiden. Dem Lauf der Loire folgend kommt man in die Sologne, das Reich des Unterholzes und der Weiher, an das sich am anderen Ende der Wald von Orléans anschließt. Hier gibt es keine größeren Ortschaften, nur ein paar weit verstreute Dörfer an schnurgeraden, stacheldrahtgesäumten Straßen.

Und am rechten Ufer? Kurz vor Orléans beginnt in Richtung Paris der Gâtinais, eine feuchte Ebene mit vielen Gewässern, Wiesen und Kornfeldern. Zwischen Orléans und Blois im Loiretal erstrecken sich die fruchtbaren Böden des Orléanais, dem Einfluß des Meeresklimas stärker ausgesetzt: ein Mosaik von Weinbergen, Gemüsefeldern und Gärtnereien. Zwischen Blois und Amboise verdrängen Kalkhänge die Ebene. Wir befinden uns im Vendômois, der Heimat Ronsards – auf denen kommen wir später noch zu sprechen – wo sich der Loir durch grünes Land schlängelt – das reine Entzücken! Tours schließlich ist das einladend geöffnete Tor zur Touraine, dem gesegneten Land der Harmonie: laue Luft, zartes Licht, freundliche und entgegenkommende Leute. Im Garten Frankreichs gibt es keine Mißtöne, selbst die Hunde bellen leiser. Die Loire fließt vorbei an den Schlössern Cinq Mars, Villandry, Langeais, Ussé, an den Weinbergen von Vouvray, Bourgueil und Chinon, und an Unmengen von kleinen Inseln, bevölkert von Wildvögeln. Die Stadt Chinon gehört zur Vienne, Azay-le-Rideau und Loches zum Indre. Wohlleben, Ruhe, Genuß.

So gleitet man ohne jede Anstrengung bis in den Saumurois, die Gefilde des Weins und der Sonnenblumenfelder. Anjou schließt sich an, durch saftige Landschaften der Touraine ähnlich, aber doch schon näher am Ozean und seinem lauen, feuchten Klima, das die Gärten mit Blütenpracht erfüllt. Prachtvolle Abteien auch hier, Traumschlösser, herrliche Inseln, legendäre Weinlagen (Layon, Champigny, Coulée de Serrant) ... Wie sagte Clemenceau: »Im Anjou ist Frankreich am französischsten ...« Er muß es wissen, schließlich wurde er 1906 Ministerpräsident – nicht des Anjou, von ganz Frankreich.