Überlegungen

Body: 

Zuviel Freizeit

Kein geeigneter Ersatz

Entwicklung einer neuen Art des Umgangs

Am Abend saßen wir zusammen und überlegten, wie wir mit der stetigen Verschärfung der Sicherheitslage umgehen sollten. Zum ersten Mal gelang es mir, einzugestehen, dass die ewigen Telefonanrufe mir auf die Nerven gingen, dieses immer Verfügbarsein, mit fiesen Typen wie dem heute Abend höflich umgehen zu müssen – ich hatte es eigentlich satt. Wir könnten ja mal fragen, ob „Wasserbüffel-David“ mich noch brauchte, meinten wir am Ende.


Schon am Sonntag darauf trafen wir David beim Lunch im Jais Aben Hotel. Er war sofort begeistert, als ich ihm unsere Überlegungen unterbreitete. Meine Vorgesetzten in Lae waren weniger begeistert, zwei Jahre hatte ich das Gästehaus nun geleitet, hatte jeden Monat brav den erwirtschafteten Überschuss überwiesen. Es würde nicht leicht sein, geeigneten Ersatz zu finden, schrieben sie mir, ob ich bereit sei, noch eine Weile auszuharren? Es dauerte tatsächlich noch ein halbes Jahr, aber kurz vor Weihnachten kam eine junge Amerikanerin, die ich eine Woche lang einarbeitete, um ihr dann das große Belegungsbuch erleichtert zu übergeben. Sie war ein ähnlicher Mensch wie meine Vorgängerin Shirley, selbstbewusst, laut und forsch. Ich dachte, oh oh, armes Gästehaus, jetzt geht’s bergab, aber alles hat seine Zeit, und meine hier ist abgelaufen. Wie von einer Riesenlast befreit fuhr ich ohne das große Buch an diesem Nachmittag nach Hause. Ich hatte kein Belegungsbuch neben das Telefon zu legen, seltsam verwaist schien der Platz dort. Ich genoss das unglaubliche Schweigen, das von diesem Telefon ausging.


Als Amos und Janna dieses Weihnachten in Amron verbrachten, hatte ich Zeit für meine Familie. Wenn das Telefon klingelte, riefen alle: „Telefon für dich!“, aber ich blieb ungerührt sitzen, wo ich war, beruhigt wartend, ob wirklich jemand etwas von mir wollte.


Wie sehr genoss ich, diese beiden selbständig gewordenen jungen Menschen zu beobachten, die eine ganz neue Art des Umgangs miteinander entwickelt hatten. Noch immer tauschten sie ihre Beziehungsbriefchen miteinander aus, eine tiefe Vertrautheit war zwischen den beiden entstanden, sie schienen jede Kleinigkeit des täglichen Lebens miteinander zu teilen. Zwar sprachen wir weiterhin innerhalb der Familie Deutsch, aber, wenn es sich um Emotionales drehte, verfielen Amos und Janna noch Jahre später automatisch ins Englische. Typische Teenager, die sie waren, hatten sie beim Briefchenschreiben einen eigenen Umgangston erfunden: See you, bis bald, schrieben sie nun C U, oder, da dies das chemische Zeichen für Kupfer ist, auch gleich Copper. Ich badete darin, diese wunderbaren Menschen durch ihre Kindheit geleitet zu haben, aber auch als Familie badeten wir an all unseren schönen Orten und diese Ferien waren, glaube ich, die schönsten, die wir zusammen verbracht hatten.


Gleich danach fing ich bei „Wasserbüffel-David“ im Büro zu arbeiten an. Ich lernte, gut vorbereitet durch die Buchführung im Gästehaus, rasch, mit den Abrechnungen bei „den Hühnern“ umzugehen. Bald genoss ich es, mit den Fingern auf der elektrischen Rechenmaschine herumzufiddeln. Wie lange hatte ich mich körperlich abgeplagt, hatte schwere bilums geschleppt, gekocht und geputzt. Jetzt saß ich von acht bis zwölf Uhr in einem klimatisierten Büro, spielte ein wenig auf dem Rechner herum, und schon gehörte der Rest des Tages mir. Ich fing an, meine Fingernägel, die ich wegen der praktischen Arbeit immer kurz gehalten hatte, wachsen zu lassen und lackierte sie sogar in der reichlichen freien Zeit, die mir nun blieb. Manchmal konnte ich es kaum fassen, wie einfach mein Leben geworden war. Aber die beschauliche Zeit dauerte nur einige wenige Monate, schon schoben sich düstere Wolken vor dieses Glück, die viele Schatten mit sich führten.