Großspurig

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Kein Verkehr?

Hosteleltern – Ältere Leute

Komische Lebensphilosophien der Ehrenamtlichen

Noch nie war ich so glücklich, Madang zu sehen, wie an diesem Tag. Erst später fanden wir heraus, weshalb es zu diesem Menschenauflauf gekommen war. Okuk, ein Politiker aus der Chimbuprovinz im Hochland, ehemals Außenminister des Landes, war gestorben. Seine Sippe ließ seinen Leichnam von Stadt zu Stadt fliegen, und in jeder kamen die Chimbus zum Flugzeug, um den Sarg durch die Straßen zu tragen. Ulrich und Helga erzählten uns später, dies sei das erste Mal gewesen, dass sie Goroka im absoluten Ausnahmezustand erlebt hatten. Die Einheimischen hätten Geschäfte geplündert, Polizisten hätten die Einbrecher gejagt, dabei in die Luft geschossen, Goroka sei ein einziger Hexenkessel gewesen.


Zurück in meinem Gästehaus begrüßte ich ein neu angekommenes älteres amerikanisches Ehepaar, die sich als Ed und Estelle, die zukünftigen Hosteleltern für Ukarumpa, vorstellten. Zunächst dachte ich erschrocken: wie soll das gut gehen, zwei so alte Leute, die können doch niemals bei unseren Kindern die Eltern vertreten? Da sie zur Orientierungszeit in Madang waren, waren wir bemüht, ihnen alle unsere schönen Plätze zu zeigen. Wir nahmen sie mit nach Sinub, zum waterhole, nach Nagada, kreuzten mit dem Motorboot zwischen den Inseln herum, zeigten ihnen, was wir für zeigenswert hielten. Im Laufe der Tage lernten wir zwei natürliche Menschen mit einem ganz eigenen, feinen Sinn für Humor kennen. Sie waren sehr aufgeschlossen, Neues zu lernen, so dass wir keine Mühe hatten, ihnen erste Wörter in Tok Pisin beizubringen. Der Begriff wantok war besonders einleuchtend für sie.


Eines Sonntags suchten wir mit Ed und Estelle das Jais Aben Hotel zum Lunch auf und lernten dabei einen amerikanischen Tauchlehrer kennen. Ed stellte sich ihm als Pfarrer im Ruhestand vor, der nun dabei sei, ehrenamtlich als Hausvater das Hostel in Ukarumpa zu übernehmen. Großspurig tönte der Tauchlehrer: „Ich bin in dieses Land gekommen, um eine Menge Geld zu machen, das war meine Philosophie!“ Auf dem Rückweg meinte Ed schmunzelnd: „Das kann auch nur einem wantok von uns einfallen, Geld machen als Philosophie zu bezeichnen“. Als die beiden nach vier Wochen ihre Orientierungszeit in Madang abgeschlossen hatten, trennten wir uns als Freunde. Sie wurden die besten Hosteleltern, die das Lutheran Hostel je gehabt hatte.


Ligita kam zu mir ins Gästehaus und fragte spöttisch, ob alle meine wantoks in der Mitte der Straße gingen – ich schaute sie verständnislos an. Sie sagte: „Da ist im Hafen wieder eines dieser Russenschiffe, dieses Mal heißt es Maxim Gorki, die sind doch immer vollgepackt mit deinen wantoks. Gerade kam ich in der Stadt auf der Straße kaum weiter, weil die einfach nicht schauen, sie gehen tatsächlich in der Mitte der Straße, als gäbe es bei euch keinen Verkehr!“ Da sie keine Kinder hatte und sich unterfordert fühlte, bot Ligita mir an, mich bei meinen Markteinkäufen zu begleiten. Auf dem Marktplatz wimmelte es von Weißen und Ligita meinte lachend: „Siehst du, sie gehen nicht nur in Trauben in der Mitte der Straße, sie treten auch sonst nur in Horden auf!“ Empörter als die Einheimischen um uns herum beobachteten wir eine dicke, blonde Frau, wie sie gerade achtlos über Gemüse, das auf der Erde auf Bananenblättern lag, hinwegstieg. Ich sagte zu Ligita: „Meine wantoks treten nicht nur in Horden auf, offensichtlich hat ihnen auch niemand gesagt, wie man sich in diesem Land zu benehmen hat.“ Ich ahnte noch nicht, dass diese Gelegenheit sich bald für mich ergeben würde. Wieder war es Peter, der Besitzer des Madang Hotels, dem ich eine außergewöhnliche Erfahrung zu verdanken hatte.