Arztbesuch

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Lästige Zahnspangen

Angstzustände am Flughafen

Grade noch rechtzeitig für den Flug nach Madang

Einige Wochen später wurde in den Supermärkten in Madang deutsche Butter zum Vorzugspreis angeboten, was bei uns gruselnde Gänsehaut auslöste. In abendlichen Gesprächen beschlossen Michael und ich, nie mehr nach Deutschland zurüchzukehren. Uwes Neuseeland peilten wir an, oder Australien, wir wollten unsere Kinder in Sicherheit aufwachsen sehen. Meine pragmatische Mutter schrieb uns: „Was wollt ihr, wir leben alle auf dem gleichen Planeten. Sicherheit gibt es auf dieser Erde nicht.“


Eines Nachmittags, als Amos wieder zu den kurzen Ferien bei uns war, war ich mit den Kindern auf dem Weg nach Nagada zum Baden. An der Abzweigung der Straße wurden wir von einem Polizisten angehalten. Freundlich wie immer rief ich locker: „Abinun!“, womit in Niugini üblicherweise den ganzen Tag über gegrüßt wurde. Mein Gruß wurde nicht wie gewohnt erwidert, der Uniformierte schaute mich nur scharf an und verlangte kategorisch, auf meine Zigarettenschachtel zwischen den Sitzen deutend: „Smok i kam!“ Genau übersetzt bedeutet das: „die Zigarette kommt“, aber das war es nicht, was mich erschreckte. In Tok Pisin gab es zwar eigentlich kein Wort für „bitte“; was mich so alarmiert aufschauen ließ, war der fordernde, bedrohliche Ton. Ich reichte dem Mann meine Zigarettenschachtel und er nahm sich in aller Ruhe drei Zigaretten heraus, reichte mir die Schachtel zurück, und bedeutete mir, weiterzufahren.


Wir brachten auf der Weiterfahrt zunächst kein Wort heraus über diese erschreckende Begegnung, aber in Nagada setzten wir uns erst einmal am Strand zusammen, um miteinander das Ganze zu verarbeiten. Am Abend schilderten wir Michael unser Erlebnis, und auch er war erschrocken, dass so etwas in unserer kleinen Hafenstadt möglich sein sollte, in der wir uns bisher in einer heilen Welt gewähnt hatten. Amos klagte bitter: „Jetzt geht das also auch bei uns los, was im Hochland schon längst üblich ist!“ Als er nach diesen Ferien nach Ukarumpa zurückflog, bat er uns beim Abschied: „Passt auf euch auf, bitte!“

Bei Janna stellte der Zahnarzt in Lae fest, dass ihr Kiefer zu klein sei für all die Zähne. Er müsse ihr vier Zähne ziehen, stellte er fest, um dann mit einer Spange die Eckzähne in die entstandenen Lücken hineinzudrücken. An einem Freitag in der Trockenzeit flogen wir mit Janna nach Lae, da bei unserem Zahnarzt gerade eine Kieferorthopädin mitarbeitete, die ihr gleich nach dem Zähneziehen die Spange anpassen sollte. Da die Ärztin nur für kurze Zeit in Niugini war, musste Janna diese Ochsentortur an einem einzigen Wochenende überstehen. Wir durften zwar händchenhaltend dabei sein, aber die Schmerzen wirklich mitzutragen war nicht möglich.


In Lae wohnten wir jetzt bei Rudolf, dem Entwicklungshelfer, über dessen Freundin mit Waschzwang uns Paulchen damals berichtet hatte. Lae kam uns unerträglich heiß vor, auch wenn in Rudolfs Haus sämtliche Ventilatoren auf Hochtouren liefen. In der hohen Luftfeuchtigkeit konnten ein bis zwei Grad mehr Hitze einen Riesenunterschied ausmachen. Nachdem Janna das Zähneziehen überstanden hatte, erstand ich in einem Supermarkt zwei riesige Plastikdosen, es müssen Gallonen gewesen sein, mit Eiskreme. An normale Nahrung war nicht zu denken, so dass sich das Kind ein Wochenende lang ausschließlich von Eiskreme ernährte, was zudem etwaigen Nachblutungen entgegenwirkte. Zum Glück hatte Rudolf noch andere Entwicklungshelfer zu Besuch, wodurch unser armes gebeuteltes Mädchen durchgehend jemanden hatte, der sich liebevoll um sie kümmerte.

Am Montag hatten wir gleich am Morgen einen Termin beim Zahnarzt, und Janna bekam von der Kieferorthopädin ihre Spange angepasst. Danach fanden wir uns bei Paulchen auf eine Tasse Kaffee ein. Endlich habe Janna alles überstanden, erzählten wir Paulchen glücklich, weshalb er Janna ausnahmsweise eine Riesenportion Eiskreme kredenzte, die sie ohne jegliches Murren vertilgte.


Rudolf brachte uns am Nachmittag zum Flughafen, nach dem „Ochsenwochenende“ zog es uns zurück nach Madang. Wir hatten unser Gepäck gerade aufgegeben und warteten auf den Aufruf unseres Fluges, als auf der Rollbahn des kleinen Flugplatzes von Talair eine mittelgroße Maschine landete und neben uns Wartenden ausrollte. Wir müssen irgendein Geräusch gehört haben, denn plötzlich standen wir alle vor dem Gebäude und sahen, wie eine schwarze Lawine auf uns zurollte. In meiner Erinnerung geschieht das völlig geräuschlos, es hat etwas Gespenstisches, so dass wir einfach nur fassungslos dastanden und die Masse von schwarzen Menschen auf uns zuwogen sahen.


Sie trabten heran, unaufhaltsam, Frauen mit Bilums auf dem Rücken, Männer mit bemalten Gesichtern, eindeutig Hochländer. Es schien, als könne nichts diese Menschen zur Umkehr bewegen. Immer näher kamen sie auf uns zu, die wir wie gelähmt dastanden. Endlich geriet auch unsere Gruppe in Bewegung, wir hatten erkannt, dass wir uns vor der anwogenen Masse aus Menschen in Sicherheit bringen mussten. Wir fühlten uns wie Gejagte, Panik hatte uns erfasst. Wir rannten ins Gebäude, sahen zurückblickend, wie die Lawine sich weiter näherte, hüpften über Gepäckwaagen, weg, nur weg in Sicherheit, und drängten uns an die Wand.


Die schwarze Woge zog an uns vorbei, mit dumpfen Gesichtern, nicht rechts, nicht links blickend, schwappte nach draußen zu dem gelandeten Flugzeug. Männer hoben aus dem Bauch des Flugzeugs einen Sarg heraus, er wurde sechs Männern auf die Schultern geladen und ein unmenschlich klingender Schrei drang aus vielen Mündern. Ich rief dem neben mir stehenden Talairpiloten zu: „Alles, was ich möchte, ist weg von hier, ich will nach Madang!“ Er schaute mich an: „Da sind wir schon zu zweit“, antwortete er, „aber wenn die sich nicht beeilen, wird das heute nichts mehr mit einem Flug!“ Jetzt kam wieder Bewegung in die Menschenmasse: genauso unaufhaltsam wie vorher, wogte sie an uns vorbei nach draußen auf die Straße, und wir schauten ihnen nach, bis der Pilot rief: „Auf auf, Leute, sonst klappt das heute nicht mehr mit Madang!“ So eilten wir zum Flugzeug, so schnell wir konnten.