Montparnasse
Montparnasse
Berühmte Gestalten, berühmte Orte
Vergangene Größe
Gemäß der griechischen Mythologie hatten Studenten den nach Ausbeutung der Steinbrüche öden Hügel Mont Parnasse genannt, den Sitz Apollos und der Musen. Zum Vergnügungsviertel mit Cafés und Kabaretts wurde er nach der Revolution.
Die großen Zeiten des Montparnasse begannen nach Meinung Jean-Paul Sartres mit dem Bau der Nord-Südlinie der Metro (Porte de la Chapelle Mairie d`Issy) zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Maler zuerst, dann die Schriftsteller, wanderten vom Montmartre zum Montparnasse. Alfred Jarry und Henri Rousseau (le Douanier), waren die ersten, ihnen folgten Henri Mugler, Apollinaire, Max Jacob und Jean Moréas. Die zweite Welle spülte die mittellosen Maler und Bildhauer Modigliani, Vlaminck, Soutine, Foujita, Chagall, Léger, Zadkine, Kisling, Derain an. Nach der russischen Revolution kamen die Emigranten Lenin, Trotzki, die Komponisten Strawinsky, Satie, Honegger, Poulenc, die Dichter Breton, Fargue, Cocteau, Hemingway, und andere wie Man Ray, Brasai, Aragon, T. S. Eliot, Scott Fitzgerald, Ezra Pound, John Dos Pasos, auch Simenon, Sartre, Colette und Simone de Beauvoir, Beckett, schließlich auch Henry Miller.
Die Amerikaner in Paris, die Lost Generation, die nach dem ersten Weltkrieg vor der Prohibition das Weite gesucht hatte, gab am Montparnasse den Ton an. Die Années Folles dauerten bis zum Spanischen Bürgerkrieg 1936. Kiki de Montparnasse war Modell für Maler, Bildhauer und Fotographen. Gertrude Stein Freundin und Gönnerin der Génération désenchantée. Die unglaubliche Anhäufung von Talenten brachte die Pariser Schule hervor und begründete in den Cafés den Ruhm von Montparnasse als dem Bohème-Viertel überhaupt. Namen wie Closerie des Lilas, Le Dôme, Le Sélect, La Coupole, La Rotonde sind Legenden geworden.
Alles Schnee von gestern, die großen Namen sind gegangen, geblieben ist ein bei Tag und Nacht umtriebiges Vergnügungsviertel. In der rue de Rennes reihen sich die Läden aneinander. Shopping auf allen Ebenen ist angesagt. Die rue de la Gaité wird von Theatern und Sexshops beherrscht, während die rue Montparnasse und d´Odessa mit einer Crêperie neben der anderen einen Vorgeschmack auf die Bretagne geben. Von dort laufen die Züge in die alles beherrschende Gare de Montparnasse ein. Der bd. Montparnasse schließlich ist mit den berühmten Brasserien und den vielen Kinos eine Hochburg des Pariser Nachtlebens.
Nach so viel Gerede über die glorreiche Vergangenheit wollen wir versuchen, ihre Spuren im Viertel aufzuspüren. Zur Einstimmung bietet sich der 50-minütige Film im Musée du Montparnasse, av. du Maine, gegenüber der rue A.-Bourdelle an. Er zeichnet die große Vergangenheit nach. (s. "Freizeit")
An der Metrostation Notre-Dame-des-Champs gehen wir los, um vor der Nr. 113 bd. Raspail zum ersten Mal Hemingways zu gedenken (er wird uns noch mehrmals begegnen), der hier (das Originalhaus wurde längst abgerissen) wohnte und schrieb. Sein Freund Ezra Pound hauste im Hinterhof in der Nr. 70, dort korrigierte er die Texte des Freundes, während der ihn mit Boxschlägen (gewollt) traktierte.
Am bd. Montparnasse reihen sich die berühmten Cafés aneinander. Das einzige von ihnen, dass den intellektuellen Charakter bewahrt hat ist dis Closerie des Lilas (Nr. 171). In Hemingways Lieblings Bar trieb sich auch der bösartigste Mensch der Welt, der Dämonologe Aleister Crowley herum. La Coupole (Nr. 109), hat keine Kuppel mehr, das stört die alternden Amerikanerinnen keineswegs, sie strömen herbei, um die Aura der Bohème einzufangen. Wie die Kellner versichern, schneien auch immer wieder mal schöne Frauen, Politiker und Leute vom Film zum Dîner herein. Auch Le Dôme (Nr. 108) ist nicht mehr was es war. Immerhin wird die Fotogalerie der illustren Größen gepflegt und die Messingschildchen mit den Namen der Zelebritäten werden geputzt.
Zur Rotonde (Nr. 105) wurden neu angekommene Amerikaner im Paris der 20er Jahre angeblich von Taxifahrern automatisch chauffiert. Rappelvoll und zugeraucht, war sie der Lieblingsaufenthalt der Maler und Co, hier tranken sie bis zur Besinnungslosigkeit. Im Sélect (Nr. 99) dagegen pflegte der große Ernest am späten Vormittag Kaffee zu trinken; dort traf er Miró zum ersten Mal, und auch die größte Tänzerin des Jahrhunderts Isadora Duncan ging aus und ein, tanzte und diskutierte heftig.
Mit einem Blick auf die imposante Balzac Statue von Auguste Rodin an der Kreuzung bd. Raspail / bd. du Montparnasse biegen wir in die rue Delambre ein, in der nur noch die Namen kleiner Hotels an die schillernden Persönlichkeiten erinnern, die einst das Viertel bevölkerten. Im Hotel Delambre (Nr. 35) lebte, wie die Plakette am Haus bezeugt, André Breton, dass auch Man Ray hier Quartier genommen hatte und in seinem Zimmer seine Fotos gleich entwickelte, fand niemand einer Erwähnung wert. In der noch immer charmanten Nr. 5 lebte Foujita, die auch noch authentische Bar Rosebud, (Nr. 11) in der Jean-Paul Sartre verkehrte, konnte bis heute eine intellektuel-künstlerische Klientel an sich binden.
Wir wenden uns nach links in den bd. Edgar Quinet. Die nichtssagende Nr. 31 hat wilde Zeiten gesehen: das Sphinx galt als das Bordell des Montparnasse. Kein geringerer als Ernest Hemingway verfaßte für eine Buddel Schampus und eine liebevolle Zuwendung die Werbebroschüre, Georges Simenon war Stammgast. Wer mag, macht einen Rundgang über den Cimetière du Montparnasse zu einem stillen Zwiegespräch mit Kunst und Literatur (s. "Freizeit"). Wer es lieber lebendiger hat, findet in der gar nicht höllischen Passage de l`Enfer picksauber renovierte, eigenartig gradlinige dreigeschossige Wohnhäuser vor. Das Ensemble wurde kürzlich unter Denkmalschutz gestellt. Bravo, denn die Abrißbirne hat schon genug zugeschlagen im alten Paris.
Die rue Campagne-Première bietet uns zum Schluß noch eine geballte Ladung Erinnerungen: diese rue des Poètes sah in ihren Mauern Rimbaud, Rilke mit Stefan Zweig, Aragon mit Elsa Triolet. Auf der Leinwand ließ Jean-Luc Godard Jean-Paul Belmondo hier sterben und auch die knabenhaft schöne Jean Seberg hatte hier einen Dreh. Bei Nr. 17 enttäuscht uns die verwahrloste, ehemals von Künstlerateliers gesäumten Sackgasse. Bei Natascha mit der gleichen Hausnummer kehren Filmleute dagegen immer noch gerne ein. Die Erinnerungsplakette am Haus Nr. 29 dem Hotel Istria zählt sie alle noch mal auf: Maiakovski, Rilke, Marcel Duchamp, Tzara, Kisling, Man Ray, Picabia, Satie und natürlich die unvergessene Kiki de Montparnasse waren da. Dass, wie man munkelt Radigeut hier oh Schande Cocteau mit einer Frau betrogen hat, wird diskret verschwiegen. Art Deco pur schickt uns einen hundertfachen Blumengruß von der Keramikfassade des Hauses Nr. 31. Zurück auf dem bd. du Montparnasse bieten sich genug Einkehrmöglichkeiten um die illustren Herrschaften noch einmal Revue passieren zu lassen.