Frauenbilder
Frauenbilder oder der zerbrochene Spiegel
Die Krise des männlichen Charakters ist natürlich als Folge des zerstörten
traditionellen Bildes, das man sich von der Frau machte hat, zu sehen. Oder
vielmehr der Bilder, denn je nach Laune und Situation wurde der spanische Mann
zwischen zwei gegensätzlichen Darstellungen der Frau hin- und hergerissen. Nämlich
zwischen der Frau als Mutter und der Frau als Hure. Die nährende, tröstende
und auch beherrschende Mutter hat zu allem Zeiten das kindliche Verlangen nach
Liebe gestillt bei einem Mann, der sich nie damit abfinden konnte, erwachsen
zu werden. Die Überhöhung dieses Frauenbildes trug entscheidend zur leidenschaftlichen
Begeisterung im Kult dieser strahlenden spanischen Madonnen bei, zu denen auch
heute noch gestandene Männer an Tagen der Verzweiflung kommen, um ihren schillernden
Mantel mit Tränen in den Augen zu küssen. Glauben Sie ja nicht, die madre habe
wirklich das Herz der Spanier verlassen; sie bleibt dort fest verankert, gleich
einer unheilbaren Sehnsucht nach dem ursprünglichen Glückszustand. Zu ihr kommen
sie auch, um die Wunden des Lebens behandeln zu lassen, bei Liebeskummer oder
Verlust des Arbeitsplatzes. Aber die Mütter haben sich geändert und lassen sich
nicht länger in eine Rolle drängen, die schon karikaturale Formen annimmt. Mit
beißender Intuition hat Carlos Saura in seinem unwiderstehlichen Werk Mama wird
100 Jahre alt die Ablehnung eines Bildes filmisch umgesetzt, das die Mutter
als besitzergreifend, einnehmend und unverwüstlich darstellt - als Frau, die
ihren alternden Kindern nur im Leben behilflich ist, um sie in den Wahnsinn
oder in den Tod zu treiben.
Man könnte zu dem Schluß gelangen, das Bild der Hure habe den Umwälzungen der
Werte erfolgreicher Widerstand geleistet. Geht man die heißen Straßen des Barrio
Chino in Barcelona hinauf, kommen einem die geschminkten Gesichter, die jeden
anreden, vor, als seien sie gerade einem Roman von Francis Carco entstiegen.
Auch hier können Äußerlichkeiten täuschen. Lesen Sie sich lieber einmal die
Kleinanzeigen einer so respektablen Zeitung wie La Vanguardia durch, wo gewitzte
señoritas spaltenweise ihre Dienste anbieten sowie der chicas aller Art und
jeglicher Herkunft, ganz zu schweigen von den gefälligen chicos, frei aller
Vorurteile!, die man nur anrufen muß, um die verschiedenartigsten Techniken
auskosten zu können, unter denen sie ihrer Klientel die Wahl lassen. Auf diesem
Markt der käuflichen Liebe, der keinerlei Tabu mehr kennt, ist es nicht schwierig,
schon von weitem die Suche nach dem schnellverdienten Geld auszumachen, auf
die sich junge Müßiggänger und Entwurzelte begeben, sowie den Erfindungsreichtum
geschickter Zuhälter, wenn es darum geht, Profit aus der sexuellen Befreiung
zu schlagen, und sogar die hoffnungslose Resignation verheirateter Frauen, die
auf diese Weise versuchen, die Schrecken der Arbeitslosigkeit und die drohende
Misere abzuwenden. Die Prostitution ist nicht mehr das, was sie einmal war,
nämlich die elende Arbeitsstätte, wo mit handwerklichen Methoden professionelle
Frauen - oftmals durch Unwissen dorthin geraten - die Fantasien frustrierter
männlicher Wesen befriedigten, fasziniert von den magischen Höhlen des weiblichen
Geschlechts. Ist es nicht frappierend, wie stark das Bild der Frau, früher verborgen
in tiefer Dunkelheit, sich nun im gleißenden Licht zur Schau stellt? Es half
Antonio Asensio, sein Glück zu machen. Als einfallsreicher Unternehmer der katalanischen
Presse warf er die Wochenzeitschrift Interviú auf den Markt, deren Auflage eine
Million Exemplare schon überschritten hat! Nichts gibt reicher Aufschluß über
die kommerzielle Banalisierung von Sex als dieser Cocktail, gewürzt mit reißerischen
Fotos, auf denen die Frauen nur als Objekt gesehen werden, und sensationslüsternen
Interviews mit Politikern, worauf Spanien anscheinend nicht mehr verzichten
kann. Das gesprochene Spanisch spiegelt diese Verwässerung des Geschlechtsorgane
anschaulich wider, denn Ausdrücke wie coño! oder joder!, mit denen die Sätze
durchsetzt sind, bezeichnen heutzutage längst nicht mehr die Dinge oder konkreten
Handlungen, die sie ursprünglich einmal bedeutet haben (weibliches Geschlechtsorgan,
heute: Mist!; koitieren, heute: ärgern). Durch seine Allgegenwart büßte der
Sex viel von seiner Faszination ein.