Feminismus

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Frauen und Gesellschaft

Das große Erwachen der Frau

Sowohl die Hure als auch die Mutter sind daher zerbrochene Schablonen, in welche
die überwältigende Mehrheit der Frauen nicht länger gepreßt werden möchte. Das
liegt daran, dass sie in steigender Zahl in wenigen Jahren die Arbeitswelt eroberten,
auf der Suche nach materieller Unabhängigkeit, sozialer Anerkennung und oft
sogar nach Selbstverwirklichung. Den katalanischen Textilarbeiterinnen, die
einmal eine Ausnahmerolle spielten, haben sich inzwischen Heerscharen von entschlossenen
Studentinnen, begeisterten Lehrerinnen, Angestellten und Technikerinnen sowie
von kühnen Designerinnen und Journalistinnen angeschlossen. Im gesellschaftlichen
und politischen Leben eroberten sie sich hart kämpfend jene Plätze, die ihnen
die Männer nur widerstrebend abtraten - selten die an der Spitze, das stimmt
schon. Zweifelsohne ist ihre Präsenz in den Regierungsetagen auf kleine Randposten
beschränkt, aber überall im Land gibt es keinen Stadtrat und kein regionales
Parlament, wo sie nicht ihre unermüdliche Energie entfalten. Man muß sie in
Aktion erleben - als Triebfedern, als Vermittlerinnen oder als Provokateurinnen
- um ermessen zu können, was sie täglich durch ihren warmherzigen Elan zu einer
Gesellschaft beitragen, die noch von den Männern regiert wird.

Wieviele anonyme und berühmte Gesichter könnten diese mitreißende soziale Selbstbestätigung
der Frau illustrieren! Wieviele Namen spanischer Freundinnen kommen mir dabei
in den Sinn, von denen jedoch keine hier gerne als Beispiel zitiert werden würde!
... Beschränken wir uns also auf einige Persönlichkeiten, die, jede auf ihre
Art, den Aufstieg dieser neuen Frauenrolle festigten. Dabei gilt »Ehre, wem
Ehre gebührt«: Königin Sophia hat nicht aufgehört, ihr nie falsch aufgefaßtes
Fingerspitzengefühl unter Beweis zu stellen, sowie eine stets wache Intelligenz
in ihrer Funktion als First Lady Spaniens. Weit davon entfernt, sich mit einer
dekorativen Statistenrolle zufriedenzugeben, jedoch immer auf Distanz zur politischen
Arena bedacht, gelang es ihr, verschiedene vortreffliche Initiativen zu fördern,
wie die Einrichtung des Zentrums für zeitgenössische Kunst in Madrid, das zu
Recht ihren Namen trägt. Auf eine ganz andere Weise hat Carmen Romero, Ehefrau
von Felipe González - die, wie alle spanischen Ehefrauen, ihren Mädchennamen
beibehalten hat - darauf bestanden, ganz sie selbst zu bleiben, als ihr Mann
Regierungschef wurde: die Mutter von drei Kindern, seit ihrer Jugend Verfechterin
sozialistischer Ideen, übte weiterhin ihren Beruf als Spanischlehrerin in einer
Madrider Schule aus, so, als sei nichts geschehen. Andere Frauen wiederum fanden
Selbstbestätigung, indem sie selbstsicher die Ehe ablehnen, ohne es jedoch darauf
anzulegen, die Bürger zu schockieren. Eine der stärksten Persönlichkeiten unter
diesen Frauen ist Pilar Miró. Diese Filmregisseurin hatte jedoch den Unwillen
der konservativen Kreise hervorgerufen, weil sie im Verbrechen von Cuenca einen
Kriminalfall verfilmte, aus dem die Guardia Civil nicht gerade ehrenvoll hervorging.
Nonkonformismus an den Tag legend, entschied sie sich dafür, Mutter zu sein
und dabei ihr Kind alleine aufzuziehen, ohne daraus ein Geheimnis zu machen.
Das hat sie übrigens nicht daran gehindert, ihre Tatkraft in hohen Funktionen
zu entfalten, zuletzt als Direktorin beim Spanischen Fernsehfunk ... Unzählige
Frauen haben es, wie in diesen Beispielen, verstanden, sich in fast allen Tätigkeits-
und Schaffensbereichen Geltung zu verschaffen.

Nehmen wir eine letzte Variante, diesmal vom anderen Extrem, um die Züge der
Gewalt aufzuzeigen, welche die Selbstbestimmung der Frauen annehmen kann, nachdem
diese so lange unerbittlich zurückgehalten wurde. Es ist dies die Geschichte
einer Verbrecherin, die geradewegs aus einer antiken Tragödie stammen könnte,
wenn sie nicht auf ihre Weise so schrecklich viel über die Konflikte aussagen
würde, die das Hereinbrechen des modernen Spaniens verursachen konnte. Neu Soldevila
ist die Heldin eines Falles gewesen, der in der Öffentlichkeit eine Mischung
aus Entsetzen und Faszination hervorgerufen hat. Sie war mit einem Unternehmer
verheiratet, der ganz unten angefangen hatte und dank seiner Zähigkeit sowie
durch die explosionsartigen Ausdehnung der Städte reich geworden war. Die Brutalität
dieses Haustyrannen hatte sie still ertragen, bis zu jenem Tag, da sie sich
zum Werkzeug der von der versammelten Familie beschlossenen Rache machte und
darin einwilligte, ihren Mann zu töten. Mord am gewalttätigen Ehemann, Mord
am hassenswerten Vater - ein letztes Mal beschwor die unterworfene Mutter durch
das Blut im Namen ihrer Kinder, ihrer gemeinsamen Kinder, die unterdrückende
Gestalt des allmächtigen Vaters.

Arbeit - und Verbrechen! - sind nicht die einzigen sichtbaren Zeichen einer
vielgestaltigen weiblichen Bestätigung. In den unteren Schichten zeigt sie sich
in Gestalt einer überraschenden Vitalität bei den Familienmüttern, deren Kinder
alt genug sind und nicht mehr die gleiche intensive Fürsorge erfordern wie Kleinkinder.
Man muß sie gesehen haben, diese Frauen, denen das Leben oft jegliche Bildung
vorenthalten hat, wie sie sich auf alle sich bietenden Gelegenheiten stürzen,
um die verlorene Zeit aufzuholen. Ihre Begeisterung macht aus den Großstadtquartieren
summende Bienenstöcke. Kostenlose Kurse in Lesen und Schreiben, in Psychologie,
in Gesellschaftsrecht und in Hauswirtschaft wechseln sich mit Vorträgen und
Filmvorführungen ab, bei denen sich unerwartete Horizonte über der Geschichte
oder der Welt eröffnen. Andere Frauen kommen dorthin, um deren unersättlichen
Bildungshunger zu befriedigen, diplomierte Frauen, die wegen ihrer Kompetenz
in Anspruch genommen werden, oder ganz einfach gebildete Frauen aus besseren
Verhältnissen, aus weiblicher Solidarität. Muß man bei den Fragen, die sich
erheben und den sich entspinnenden Diskussionen auf die Rolle aufmerksam machen,
welche die Beziehung der Ehepartner spielt und genauer gesagt, alles, was sich
auf Verhütung bezieht?