Soziales

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Eldorado für Invaliden ade

Von allen Ländern der EU gibt Holland mit 55 % seines Sozialproduktes am meisten für die soziale Absicherung seiner Bürger aus. Nirgendwo dürfte auch der Missbrauch größer sein. Fast eine Million Niederländer (v. 15 Mill.) allen Alters sind als Invalide anerkannt und leben von der Rente, was Arbeitgebern, Gewerkschaften und Regierung erlaubt, auch auf Kosten des Steuerzahlers die Arbeitslosenquote niedrig zu halten. 1991 war vorgeblich jeder sechste theoretisch Erwerbsfähige arbeitsunfähig. Fünfeinhalb Millionen Arbeiter, Angestellte und Beamte haben annähernd eine Million Behinderte der unterschiedlichsten Art mitzufinanzieren. Mit 43 Tagen bezahlter Freizeit sind die Niederländer Urlaubsweltmeister.

Mit 6,4 % (1994) hatten die Niederländer den höchsten Krankenstand in Europa, gleich gefolgt von der BRD, wo in den Privatbetrieben durchschnittlich 5,5 % der Mitarbeiter fehlen. Das führte 1996 zu einer Neuregelung der Lohnfortzahlung, welche die Arbeitgeber bis dahin für Zeiträume von zwei bis sechs Wochen bis zum Einspringen der Krankenkassen allein zu tragen hatten. Nunmehr gilt, dass Arbeitgeber die Lohnfortzahlung in Höhe von 70% des Gehaltes bis zu einer Dauer von einem Jahr allein zu tragen haben, sofern sie sich nicht gegen Krankheitsfälle im eigenen Betrieb bei privaten Versicherern absichern. Die Regierung erhoffte sich nicht nur Kosteneinsparungen, sondern auch eine Senkung des Krankenstandes. Erwartet wurde, dass sich Arbeitnehmer seltener krank melden und Arbeitgeber die betrieblichen Arbeitsbedingungen verbessern würden. Vorläufiges Fazit: ältere und gesundheitlich schwächere Arbeitnehmer sind kaum noch vermittelbar bzw. man versucht sie aus den Betrieben zu vergraulen, weil sie leichter krank werden könnten, oder ihnen einen »Flexarbeitsvertrag« (s. nachfolgend) zu geben. Folge: Spannungen und oft miese Stimmung in den Betrieben.

Die Studiendauer soll auf drei Jahre beschränkt werden. Die Förderung von Studenten wird allgemein auf Kredit umgestellt. Auch Kürzungen beim Militär sind durch Einführung einer Berufsarmee vorgesehen. Der nach zwölfjähriger Amtszeit als Ministerpräsident nicht mehr kandidierende Ruud Lubbers von den Christdemokraten schielt nach der Wahlniederlage für seine Partei nach höheren Weihen und strebt die Nachfolge von EU-Präsident Jacques Delors an. Die Tageszeitung »De Volkskrant« zeigt Lubbers bei Verlassen eines eingestürzten Hauses mit einem Koffer in der Hand. Kohl vereitelt das zugunsten des Belgiers Dehaene, da Lubbers seinen Widerstand gegen Frankfurt als Standort der geplanten Euro-Zentralbank nicht aufgab. Als die Geschichte im Herbst 1994 ruchbar wurde, sorgte sie für reichlich Wirbel in den Niederlanden. Die Presse spricht von einer Erpressung Lubbers durch Kohl.