Baikalsee
Baikalsee
Heiliger See
Die blaue Perle Sibiriens. Das faszinierendste Naturziel Rußlands taucht tief in Superlativen unter. Der Baikal ist mit 1620 m der tiefste, mit über 25 Millionen Jahren der älteste, mit einer Fläche von 31.500 qkm (Bodensee 538 qkm) und einem Volumen von 23.000 Kubikkilometern der süßwasserreichste, sauberste und artenreichste See der Erde und schließlich schlicht einer ihrer allerschönsten.
Im Baikal ist ein Fünftel der Süßwasserreserven der Erde gespeichert. Er führt doppelt so viel Wasser wie die Ostsee. Um ihn aufzufüllen, müßten sich alle Flüsse aller Kontinente über ein Jahr lang nur in den Baikal ergießen. Doch keine Sorge, der Stöpsel ist unter mächtigen Sedimentschichten versteckt.
See der Legenden
Die Bilanz des fischreichen Gewässers: 336 Zuflüsse und nur ein Abfluß, die Angara. Die Legende will es, dass sich einst alle 337 Töchter dem alten Väterchen Baikal zuwandten. Doch eines Tages verliebte sich die Angara in den Jenissej, der dem Polarmeer zustrebt, und rannte zu ihm. Der erzürnte Vater schleuderte der abtrünnigen Tochter den riesigen »Schamanenfels« hinterher, der genau in der Angara landete, wo sie sich vom See verabschiedet.
In einem mächtigen Strom ergießt sich der See mit bis zu 2000 Kubikmetern pro Sekunde in das steinerne Bett des Angara. Früher muß der imposante Klotz an dieser Stelle Phantasien und Aberglauben mächtig beflügelt haben. Doch seit dem Bau des Irkutsker Staudamms ragen nur noch einzelne »Schamanen-Zacken« über den gestiegenen Wasserspiegel.
Daneben kursieren so viele Sagen und Mythen um den Baikal, dass die ersten russischen Siedler nur vom »Heiligen See« sprachen. Die meisten Legenden kursieren um die 22 großen und kleinen Inseln. Die Burjaten waren sicher, ihr böser Geist Begdozi lebe auf der Olchon-Insel. Die Schamanen der Ewenken verehrten einige der zahllosen Landzungen als heilig und predigten Ehrfurcht vor dem Seegott Dianda.
Tierwelt Im Baikal
Der Baikalsee könnte über 25 Millionen Jahre alt sein, schätzen Wissenschaftler aufgrund der 7000 m dicken Sedimentschicht unter seinem Grund. Damit wäre er auf einem Planeten, dessen allermeiste Seen erst in den letzten 20.000 Jahren entstanden, mit weitem Abstand der Senior. Damit ist zugleich seine Tierwelt ein Zoo der Urzeit, genauer: des Tertiär. Nicht weniger als 1500 Tier- (darunter 200 Krebsarten) und 1100 Pflanzenarten wurden im See registriert, über zwei Drittel davon endemisch, also nur hier zu finden, wie Baikal-Robbe, Eidechsen- oder Golomjanka-Fisch und Epischura-Krebs.
Für diese einzigartige Tierwelt sind die Abgeschlossenheit, das hohe Alter und der hohe Sauerstoffgehalt des Sees verantwortlich. Der Baikal bietet ökologische Nischen, die an anderen Orten der Erde nie zur Verfügung standen.
Seine Sauberkeit und Klarheit sind selbst in einem Land, dessen Industriegeschichte keine hundert Jahre umfaßt, so auffällig, dass sie ihm den Beinamen »hellblaues Auge Sibiriens« eintrugen. Die Dimensionen erleichtern die Selbstreinigung: 636 km lang, bis zu 80 km breit, bis zu 1620 m tief. Die oberste, 50 m tiefe Schicht wird regelmäßig von »Gesundheitsinspektoren« durchkämmt, den millimetergroßen Epischura-Krebsen, die die kleinsten Algen und Mikroorganismen verzehren.
Robbe, Ölfisch & Hering
Eine Legende erzählt, dass die Baikal-Robbe (Njerpa) aus dem Salzwasser des Ozeans durch einen langen Tunnel in den Baikalsee getaucht sei. Forscher vermuten eher eine 3000 km lange Wanderung, die vor einigen tausend Jahren abgeschlossen war: vom Polarmeer durch die (damals erheblich breiteren) Jenissej und Angara bis zur Endstation Baikal. Nachdem ihre Population auf 60.000 Tiere schrumpfte, wurde die Robbe ins Rote Buch der gefährdeten Tierarten aufgenommen.
Der Golomjanka (Comepherus) ist der absolute Exot unter den Endemischen. In 1000 bis 1500 m Tiefe lebt dieser Ölfisch auf dem Seegrund. Weil dort unten wenig zu sehen, aber viel auszuhalten ist (125 bar Wasserdruck), besteht der Golomjanka im wesentlichen aus einem von rosigem Fett umgebenen Rückgrat. Im Sonnenlicht löst er sich in einen Ölfleck auf.
Zur Freude der Angler ist nicht alles, was durch dieses fischreiche Gewässer schwimmt, so lichtscheu. Als bester Speisefisch gilt der Omul, eine endemische Art irgendwo zwischen Hering und Lachs, die sich in den flachen Uferregionen durchfuttert. Überfischung, Seeverschmutzung und die Errichtung des Irkutsker Staudamms haben den Omulbestand mittlerweile bedenklich reduziert.
Ökologische Probleme
Mit der Überwachung des Sees sind das Limnologische Institut in Listwjanka und die biologische Station in Bolschije Koty beauftragt, denen die Zuschüsse ständig gekürzt werden.
Trotz seiner enormen Selbstreinigungskräfte stieg in den letzten Jahrzehnten der Sowjetunion die Schädigung des Ökosystems Baikal ständig an. Offensichtlich waren dafür die zunehmende Besiedlung des Nordufers, die industriellen Abwässer aus Ulan-Ude und die Einleitungen der Papiermühle von Selenginsk verantwortlich.
Als in den 70er Jahren noch eine neue Zellstofffabrik in Baikalsk ihren Dreck in den Baikal schleuderte, kam es zu offenen Protesten und Demonstrationen ein unerhörter Vorgang in der Sowjetunion. Baikal wurde zum Schlagwort der heranwachsenden Umweltbewegung, die immerhin den Einbau von Filteranlagen in Baikalsk erzwang. Während dies heute wahrscheinlich die sauberste Fabrik Sibiriens ist, gehen Ökologen immer noch von Schadstoffeinleitungen an anderen Stellen aus.
Inzwischen ist fast das gesamte Baikalgebiet als Nationalpark ausgewiesen. Jeder Besucher muß vor Ort beim Eintritt in den Nationalpark eine Naturschutzpauschale von 3 $ pro Person und Tag entrichten. Da nicht genügend Ranger zur Verfügung stehen, wird man manchmal seinen Obolus selbst beim besten Willen nicht los.
Leben an den Baikalufern
Zum einzigartigen Naturraum Baikal gehören auch die umliegenden Landgebiete, von denen fast 20.000 qkm unter Naturschutz stehen. An den über 2000 km langen Ufern verlieren sich die Städte Sewerobaikalsk, Nischne-Angarsk (beide im Norden), Ust-Bargusin (im Osten), Babuschkin, Sludjanka und Kultuk (im Süden), eine Handvoll Dörfer und ansonsten die Einsamkeit.
Die unberührte, abwechslungsreiche Naturkulisse verwöhnt den Besucher: Felsabbrüche mit Wasserfällen und sanfte Taleinschnitte, weite Kiesstrände und Sanddünen, Taiga und Steppe. In den Urwäldern stehen Koniferen, knorrige Kiefern, Fichten, große Baikalzedern und die unvermeidlichen Birken. Darin sind immer wieder blumenreiche Matten und Auen eingesprenkelt. In den Wäldern leben noch Bären, Wölfe und Luchse in großer Zahl. Die Grassteppen glänzen mit ganzen Wiesen voller Enziane, Edelweiße und anderen seltenen Wildblumen.
Zu beiden Seiten erstrecken sich Bergketten. Sie werden im Norden und Nordwesten bis zu 2500 m hoch, reichen zwischen Listwjanka und Olchon-Insel zumindest für anstrengende mehrstündige Kraxeltouren und nennen sich im Südosten verschämt Hügel.
Klima & Jahreszeiten
Der Baikalsee überrascht zu jeder Jahreszeit mit unberechenbaren Wetterumschwüngen. Im allgemeinen bietet er aber einen langen, bitteren Winter und einen intensiven Sommer. Von Ende Juni bis Ende September regiert das Baikalhoch mit trockener Luft und angenehmen Temperaturen bis zu 35 Grad.
Darauf folgt ein kurzer Altweibersommer mit herrlicher Laubfärbung, bevor der Winter voll zuschlägt. Fiese, gefährliche Stürme peitschen besonders durch den November.
Von Ende Dezember bis Anfang Mai steckt der Baikal unter einer bis zu 2 m dicken Eisdecke. Monatelang schwingen dann Eisangler, Eistaucher, Lang- und Schlittschuhläufer das Zepter.
Fahrzeuge jeder Art benutzen im Winter den kürzesten Weg zum Ost- oder Nordufer. Nicht immer mit Erfolg allerdings: Irkutskern gilt der Baikalgrund als riesiger unfreiwilliger Schrottplatz. Neben ungezählten Lkws rostet unten auch eine Lokomotive von 1905 vor sich hin; siehe Geschichte der Transsib.
Die beste Reisezeit ist von Juni bis Mitte Oktober. Genießer schwärmen aber auch vom einmaligen Reiz des Winter, von Weihnachten so richtig mit Knochenkälte und Schneemannbauen auf der größten Eisfläche der Welt.