Das grüne Spanien

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Das grüne Spanien

Vom Baskenland bis nach Galicien säumt ein grüner Vegetationsgürtel den Atlantischen
Ozean, oder wie die Einheimischen sagen - das Kantabrischen Meer. Der Küstenvorsprung
senkt sich wie eine Wölbung an ihren Endpunkten: im Osten verlängern die baskischen
Berge auf einer tiefer liegenden Ebene die Pyrenäenkette; im Westen erhebt sich
Galicien wie ein gewaltiger Hafendamm aus Granit, wobei Höhen von über zweitausend
Meter erreicht werden. Im mittleren Teil, d.h. in Asturien und in den Bergen
von Santander, werden zweitausend, ja sogar zweitausendfünfhundert Meter überschritten.
Ein Massiv, dessen weiße Klippen und Gipfel steil emporragen, hebt sich von
diesem Gebirgszug ab: die Picos de Europa sind zusammen mit den Pyrenäen bei
den Bergsteigern der beliebteste Ort in Spanien. Diese hochgelegenen Gebiete,
erbarmungslos dem vom Atlantik hereinziehenden Wind ausgeliefert, werden reichlich
beregnet. Darauf ist die dortige Vegetation zurückzuführen: Laubwälder, vornehmlich
aus Buchen, Eichen und Kastanien bestehend, nehmen viel Raum an den Hängen ein.
An anderen Stellen breitet eine Heidelandschaft ihr Farnkraut und ihre Erika
mit ihren je nach Jahreszeit wechselnden Farben aus. Diese brachliegende Gegend
ist noch Lebensraum einer bemerkenswerten Anzahl wilder Tiere, wie z.B. dem
Wildschwein, dem Auerhahn mit seinem schwerfälligen Flugstil, ganz zu schweigen
von einigen Wölfen, die durch den Schaden, den sie im Winter anrichten, auf
sich aufmerksam machen.

Die Menschen mit ihren Feldern und Häusern leben dichtgedrängt in den Küstenebenen
und in den Tälern, wo ein buntes Durcheinander von winzigen Parzellen herrscht.
Niedrige Steinmauern oder unbehauene Granitblöcke umfrieden diese Minigrundstücke.
Eine Vielzahl von Kulturpflanzen bildet eine Intarsienlandschaft: aus der Neuen
Welt stammender Mais (wie auch die Kartoffel), Kohl und Bohnen, in langen Spalieren
verlaufende Reben, Wiesen, teilweise mit Apfelbäumen gesprenkelt (der Apfelmost
ist das traditionelle Getränk in Asturien). Hier und dort unterbrechen das düstere
Grün der Pinien und das Blaugrün der Eukalyptusbäume, die den Sägewerken und
Zellulosefabriken als Versorgungsgrundlage dienen, diese fast ausschließlich
vom Gemüseanbau geprägte Landschaft.

Das zerklüftete Relief der atlantischen Küstenregionen Spaniens hat seine historische
Abgeschiedenheit begünstigt. Weiler und Bauernhöfe liegen verstreut am Rande
gewundener Wege. Im 19. Jahrhundert ist es der Eisenbahn nicht gelungen, die
Küstenprovinzen einander näher zu bringen, denn ihre Züge, die wie Spielzeugbahnen
auf engen Gleisen rattern, sind ebenso malerisch wie ineffektiv. Vor nicht allzu
langer Zeit galt die Autobahn von Irún nach Bilbao als ein technisches Meisterstück;
ihre Verlängerung steht heute noch aus. So war und ist es also das Meer, das
die große Verbindungsstraße im grünen Spanien bildet. Das Meer dringt bis weit
in die Flußtäler ein und verwandelt Mündungen in maritime, von grüner Landschaft
umgebene Wandelgänge. Diese für Galicien typischen Meeresbuchten nennt man Rias.
Gegen den Seewind geschützt, wechseln sich dort Strände und Fischereihäfen ab,
während an einigen, durch ihre Lage bevorzugten Stellen von Vigo bis Bilbao
Handelshäfen und Industriestandorte wuchsen. Seit langem schon erweiterte das
Meer den engen Horizont der Täler. So werden auf diesem Wege der zum Lebensunterhalt
notwendige Weizen aus Andalusien oder Sizilien herbeigeschafft bzw. die jeweiligen
Erzeugnisse, wie Wolle aus Kastilien, Eisen aus Vizcaya und Steinkohle aus Asturien,
wegtransportiert. Da das Meer in dieser übervölkerten Gegend nicht jedem ein
Auskommen ermöglichen konnte, nahm es als letzten Ausweg die ausgehungerten
Auswanderer auf zur großen Überfahrt nach Amerika.