Philipp II. und das spanische Zeitalter
Philipp II. und das spanische Zeitalter
Mit Beginn der Herrschaft Philipps II., des »weisen Königs«, entgleitet der
spanischen Krone die kaiserliche Würde. Er weist also nur Spanien alleine, und
dort vor allem Kastilien, die Rolle des Polizisten der Christenheit zu. In einem
Europa, wo die Flut des Protestantismus immer kräftiger anschwillt und wo die
Türken bis ins westliche Becken des Mittelmeers vorstoßen, werden alle Mittel
der Pyrenäenhalbinsel in den Dienst dieser Abwehraktion gestellt. Spanische
Soldaten sind es, die in den Niederlanden die Revolte zerschlagen und die in
Frankreich an der Seite der Liga einschreiten; spanische Schiffe sind es, die
vor Lepanto die osmanische Flotte besiegen und die dann bei der mißlungenen
Invasion Englands durch die unbesiegbare Armada in alle Winde zerstreunt werden;
spanische Theologen sind es, die beim Konzil von Trient die Grundsätze der katholischen
Gegenreformation festlegen. Und spanische Bauern und Handwerker sind es, welche
die Kosten dieser militanten Politik ertragen. Die Aufgabe läuft darauf hinaus,
dass die Möglichkeiten des Landes und der Menschen überschritten werden. Gegen
Ende der Regierungszeit, und gleichzeitig des Jahrhunderts, verwüsten dann auch
wirklich Hunger und Pest das Land, das am Ende seiner Kräfte angelangt ist.
Die Folgen dieser Mobilisierung Spaniens wurden allerdings schon vorher im
sozialen Leben und in der Kultur spürbar. Von sich aus erstarrt die Gesellschaft
und fährt sich fest, wie die sprunghaft steigende Anzahl der »Rasseverordnungen«
zeigt: allmählich verschließen sich Schulen und Klöster denjenigen, die nicht
ihre christliche Herkunft nachweisen können. Der kleinste Tropfen jüdischen
Blutes wird als unauslöschlicher Schandfleck betrachtet. Durch den Kampf gegen
den Feind von außen wird die Wachsamkeit gegen den potentiellen Feind von innen
geschärft. Die Folge ist, dass Spanien den großen Strömungen der europäischen
Kultur gegenüber unzugänglich wird. Alles Neue wird suspekt in den Augen der
Inquisition, deren Aufgabe sich auf die kleinliche Kontrolle des geistigen Lebens
ausweitet, was sich vornehmlich in der Zensur von Büchern äußert. Von nun an
hält eine Überwachungsmaschinierie die spanische Intelligentsia gefangen, so
dass dieser selbst verboten wird, dem Unterricht an ausländischen Universitäten
beizuwohnen.
Mehr als jeder andere Ort ist der Escorial vom »weisen König« geprägt, der
diesen Palast von Anfang bis Ende entwarf. Von diesem Bauwerk ohnegleichen,
im allgemeinen ungeliebt, behält man oft nur die symbolische Absicht: die Wahl
eines Grundrisses in Form eines Rostes, Folterwerkzeug beim Martyrium des heiligen
Laurentius, dem der König anläßlich der Schlacht von Saint-Quentin gelobte,
ein Kloster im Falle seines Sieges zu stiften. Trotz dieses fast traumhaften
Ursprungs verbindet das Gebäude ganz genaue Funktionen: Kloster (den Hieronymus-Mönchen
überlassen), Kirche und Herrscherpalast, während das königliche Grabmal die
österreichische Dynastie im kastilischen Felsen verankern will.
Die Gebäudestruktur entspricht dieser funktionalen Vielfalt, da sie nach einer
geometrischen Raumkonzeption aufgeteilt wurde, in gradlinige Achsen und rechte
Winkel unterteilt. Das riesige Viereck, an den Hängen der Sierra de Guadarrama
befestigt, entnimmt dieser ihren nur mühsam zu bearbeitenden Granit. Die betont
schmucklose Nüchternheit hat der Erbauer Juan de Herrera so gewollt. Hinter
diesen glatten Fassaden, in deren Winkeln quadratische Türme wie Wachen postiert
sind, wacht ein unerschütterlicher Wille, der davon überzeugt ist, dass er die
Welt dem göttlichen Willen anpassen kann. Und auch dem des Königs, so wie ihn
uns das Porträt von Sánchez Coello zeigt. Seine Wohnung spricht mehr als alles
andere Bände darüber, mit ihren weißgetünchten Mauern, der gewaltigen Ablehnung
jeglichen Prunks und mit ihrem inneren Fenster, das auf den Hauptaltar der Kirche
herab gerichtet ist.
Das Spanien des 16. Jhs ist zwar in ganz Europa gefürchtet, aber dennoch nicht
frei von Widersprüchen. Die Spanier werden dazu angestachelt, sich mit einer
Ehre zu brüsten, die ihnen über den Kopf wächst, und mit einem Ruhm, der ihnen
gar nicht gebührt, sondern den Soldaten, Eroberern und Entdeckern, wenn überhaupt.
Dieses Auseinanderklaffen zwischen Traum und Wirklichkeit nährt auf hundert
verschiedene Arten die ungewöhnliche literarische Blüte im Goldenen Zeitalter.
Die gelehrte Lyrik des Dichters Góngora aus Córdoba konstruiert zum Vergnügen
gebildeter Leser geduldig eine verzauberte Welt, in der Worte, Mythen und Laute
aufeinander abgestimmt sind. Das Unterfangen der Mystiker, bei denen sich das
literarische Schaffen untrennbar mit Handlungen und Erfahrungen verbindet, ist
noch ehrgeiziger, denn sie wollen über eine triviale und geschwätzige Welt hinauskommen
und mit Gott zum unerschrockenen Dialog gelangen, den die Feder versucht, schriftlich
niederzulegen, bevor sie auf der Schwelle zum Unsagbaren verharrt, der »einzigen
Sprache«, die Gott versteht, der stillen Liebe. Die Kohle unter der Asche der
Wörter glüht weiter für den Leser der heiligen Theresia von Avila (Nachkomme
einer Familie von conversos) und des heiligen Juan de la Cruz. Der heilige Ignatius
von Loyola, Begründer der Gesellschaft Jesu, richtet sich an die Fantasie des
Gläubigen, um aus ihn mit Hilfe seiner Geistlichen Übungen zu einem »Soldaten
Christi« im Herzen der Welt zu verwandeln.
Der moderne Roman entsteht in Spanien als Beobachtungsinstrument des Menschen
und der Gesellschaft. Wenn auch die Sehnsucht nach mittelalterlichen Werten
der Reihe nach die Welle der Ritter- und der Hirtenromane italienischer Prägung
nährt, so haben diese idealistischen Hirngespinste doch auch ihr Gegenstück,
nämlich im pikaresken Roman, der nur die nicht vorzeigbare Seite der Gesellschaft
festhält: der pícaro ist kein einfacher Vagabund, sondern ein Mann ohne Ehre,
bedingt durch seine unreine Geburt, oft durch Judenblut verunreinigt. Seine
Abenteuer treiben den Spott bis zur Umkehrung der herkömmlichen Werte. So genießt
sein Prototyp Lazarillo de Tormes schließlich die Lust der Schande, wobei er
soweit geht, sich als gehörnter Ehemann zu gefallen und »auf die heilige Hostie
schwört, dass es in ganz Toledo keine ehrenhafte Frau gibt, die seiner Gattin
das Wasser reichen könnte« ... Mit Quevedo erobert sich die zynische Welt des
Schäbigen ihre volle Autonomie: sein Held Buscón, ein durch seine niedere Abstammung
gekennzeichneter Gauner, durchzieht die Welt wie einen höllischen Tunnel, einen
Orkus ohne Ausweg, wo Eremit und Vagabund, Frau und Bettler in der burlesken
Schande in Verbindung stehen.
Das Geniale an Cervantes ist, dass er den die Gesellschaft seiner Zeit durchziehenden
Konflikt auf seine stark dialektische Schöpfung überträgt. Don Quichotte, auf
der einen Seite, Gefangener des ritterlichen Traums, verleiht allen Unsterblichkeit,
die ein illusorischer Ruhm entfremdet; Sancho Pansa, auf der anderen Seite,
verkörpert die Beständigkeit einer der ländlichen Gesellschaft eigenen Haltung,
bei der sich Leichtgläubigkeit und die ironische Weigerung, auf den äußeren
Schein hereinzufallen, nicht ausschließen. Nachdem sich die Trugbilder des Ruhms
und der Liebe, die während der verrückten Suche ständig verfolgt wurden, in
Nichts aufgelöst haben, muß der ernüchterte Held in die Wirklichkeit zurückkehren:
als er sein Ritterschwert gegen den Hirtenstab eingetauscht hat, bleibt für
ihn, der endlich weise geworden ist, nichts weiter zu tun übrig, als sich willig
zu sterben. »Denn, seitdem er besiegt wurde, legte er bei allen Dingen viel
mehr gesunden Menschenverstand an den Tag«. Noch bevor es zum universellen Mythos
wird, ist dieses mehrdeutige Meisterwerk auf jeden Fall »Der Abschied vom Mittelalter«,
wie es der französische Schriftsteller Jean Cassou formuliert, der Abschied
eines Spaniens, das längst von seinem Schicksal überholt wurde.
Das Theater zeichnet sich dadurch aus, dass es Werte und versteckte Konflikte
der kollektiven Seele in Worte kleidet. Schon zu Zeiten der Katholischen Könige
hatte La Celestina ein bestechendes Beispiel dafür geliefert: wer besser als
eine Hexe, Kupplerin obendrein, könnte Liebe und Vorurteil, Begierde und Gewalt,
Ehre und Sinneslust miteinander in Einklang bringen? Später ist es Lope de Vega,
dem es zukommt, den Rahmen für die comedia abzustecken: weder Tragödie noch
Komödie im Sinne der Antike, nimmmt die neue Gattung pathetische, burleske,
romaneske sowie politische Elemente auf. Auf Anhieb vollbringt dieses stürmische
und unermüdliche Genie Höchstleistungen beim Entwurf von Komödien, wobei zu
bedenken ist, dass von den 1800 Stücken, die er verfaßt haben soll, nur vierhundert
erhalten sind. Aber sie genügen, um dort den wundervollen Spiegel, der einer
Epoche vorgehalten wird, zu erkennen. Er spiegelt mal die Würze des Alltagslebens
wider, wie in El Perro del Hortelano, mal die Debatte, in der sich die monarchische
Herrschaft und der Drang des Volkes nach Gerechtigkeit gegenüberstehen, wie
in Fuenteovejuna. Das Werk von Lope füllt aber nicht als einziges die corrales,
diese von Rängen umgebenen Höfe im Freien, auf denen die Aufführungen stattfinden
(in Almagro, La Mancha, ist durch Zufall noch so ein Theater erhalten, das man
unbedingt besichtigen sollte). Tirso de Molina, der Erste, läßt dort die Figur
des legendären Don Juan auftreten, dem vollendeten Typus des Spaniers. Und Calderón
de la Barca brilliert im auto sacramental, einem liturgischen Drama, das an
Fronleichnam aufgeführt wird, und entwickelt gleichzeitig die comedia zum totalen
barocken Schauspiel, wobei er die ganze Bandbreite des Menschlichen erfaßt,
von rebellierenden Bauern im Richter von Zalamea bis hin zum verirrten Prinzen
in Das Leben ist ein Traum. Alle Helden der comedia, die Liebenden bei Lope,
Don Juan sowie der Prinz Sigismund, alle wahrer als die Natur, verkörpern auf
diese Weise den Zusammenstoß zwischen der Welt, so wie sie sein sollte, und
der Welt, so wie sie ist, in diesem faszinierenden und zugleich beunruhigenden
Spiegel, in dem sich eine über sich selbst besorgte Gesellschaft betrachtet.