Einheit um jeden Preis
Einheit um jeden Preis
Der Triumph der Kirche führt ein jahrhundertealtes Vorhaben zu Ende und schießt
sofort über das Ziel hinaus, denn tief im sich selbst als urchristlich bezeichnenden
Volk wird ein alter Groll wieder wach, und die Suche nach einer reinrassigen
Identität wird emsig betrieben. Dieser blinde Wille, nach der Wiedereroberung
des Landes auch dessen Bewohner auf Herz und Nieren zu prüfen, wird durch wirtschaftlich
bedingten Unmut noch geschürt.
Jene Eifersucht trifft hauptsächlich die Juden - sie hatten immer eine Brücke
zwischen der moslemischen und der christlichen Gesellschaft gebildet. Durch
die Berührung mit den verschiedenen Kulturen bildeten sie eine eigene heraus,
vom Philosophen Maimonides aus Córdoba später berühmt gemacht. Dieser kulturelle
Vorsprung erklärt ihre Rolle auf Betätigungsfeldern wie Medizin und Handel,
und dabei besonders dem Geldhandel. Gestern waren sie noch die Bankiers der
Kalifen und der maurische Könige und heute schon sind sie Finanziers und Steuereintreiber
der Katholischen Könige. Ihre demonstrative Macht bestimmt sie von vorneherein
zu einer unbeliebten Rolle, die sich auf das ganze Judentum ausdehnt. Das barrio
judío von Córdoba, ein Wirrwarr aus engen Gassen und Höfen, um die herum die
Wohnungen wie Trauben zusammenhängen, erinnert an das vertrauliche und warmherzige
Leben in den spanischen Ghettos, ihrem Glauben und ihrem Gesetz eng verhaftet.
Schon seit einem Jahrhundert haben die Volksmengen in den Städten die Juden
für die schweren Krisen, denen viele zum Opfer fielen, ohne Unterschied verantwortlich
gemacht. Von Sévilla bis Burgos hat so manche Stadt erlebt, wie ihr Judenviertel,
la judería, von Volkspogromen verwüstet wurde, welche die hetzerischen Reden
der Franziskaner- und Dominikanermönche entfachten. Diese Wellen der Intoleranz
veranlaßten nicht wenige Familien dazu, den jüdischen Glauben zugunsten des
christlichen aufzugeben. Auf diese Weise entsteht eine Art von sozialem Mischtyp,
nämlich den Bekehrten (conversos) oder »Neuchristen«, zahlreich an den Schaltstellen
der Macht und sogar im Klerus vertreten. Ihre Zugehörigkeit zur herrschenden
Klasse schützt sie jedoch nicht vor Argwohn.
Die Katholischen Könige finden später recht radikale Lösungen für dieses Jahrhundertproblem.
Zuerst hoffen sie darauf, dass eine rigorose, aus Geistlichen bestehende Polizei
den Widerstand der Scheinbekehrten brechen wird, die weiterhin in aller Heimlichkeit
zu Hause ihren ursprünglichen Glauben ausüben. Zu diesem Zweck erteilt Rom die
Erlaubnis, eine Justiz ad hoc zu bilden, königlich und kirchlich zugleich, die
den Auftrag erhält, »die ketzerische Perversität« der Judenanhänger zu verfolgen:
das Gericht des Sanctum Officium, die Inquisition, entsteht. Eine furchtbare
Einrichtung, die mehr als vierhundert Jahre lang die Seele der »leyenda negra«
eines obskurantistischen Spaniens sein wird. Im Jahre 1492 werden die Juden
dann radikal vor die Entscheidung von Bekehrung oder Exil gestellt. Das ist
die einzige Wahl, die der jüdischen Gemeinschaft gelassen wird. Über fünfzigtausend
schwören ihrem Glauben ab, darunter der in Anwesenheit der Könige getaufte Großrabbiner,
wobei erstere Pate und Patin werden. Die Zahl derjenigen, die ihren Glauben
vorziehen, wird jedoch auf zweihunderttausend geschätzt. Ihr Hab und Gut verschleudernd,
verlassen sie Spanien, das Land ihrer Väter, und wandern nach Nordafrika und
in die ans Mittelmeer grenzenden Länder, bis nach Saloniki und Istanbul, wo
bis in unsere Tage das Ritual der Sephardim auf Altspanisch gefeiert wird.
Die Verdrängung der Moslems und ihrer Nachkommen folgt einer anderen Logik.
Die Mudejaren leben in bescheideneren Verhältnissen: Maurer und Tischler haben
Kirchen gebaut, von denen in Aragonien eine ganze Reihe unvergleichlicher Exemplare
erhalten ist, von Saragossa bis Tarazona, von Calatayud bis Teruel. Die meisten
Araber leben jedoch von der Landwirtschaft. Nun sind es aber gerade ihre Felder,
die von den Christen begehrt werden. Letztere fürchten eine Konkurrenz in diesen
fleißigen und genügsamen Arbeitskräften. Im kolonisierten Granada geben die
Maurenunruhen das Signal für eine erste Welle von erzwungenen Bekehrungen, die
wenig später auf die Provinzen Valencia und Aragonien überschwappt. Auf diese
Weise erscheint eine neue Kategorie von »Neuchristen«, von nun an moriscos genannt.
Ihre Gleichstellung wird sich als Köder herausstellen: im Jahre 1568 hat der
Aufstand im Albaicín von Granada und in Las Alpujarras zur Folge, dass die moriscos
von Granada über ganz Kastilien verstreut werden. Aber vergeblich, denn der
Inquisition bereitet es keine Schwierigkeiten, die versteckt lebenden Anhänger
der »Sekte Mohammeds« aufzuspüren. Durch die Ausweisung aller moriscos im Jahre
1609 verliert der spanische König auf einen Schlag mindestens 300.000 Untertanen,
von denen sich die meisten in den Maghreb flüchten.
Einmütigkeit ist erreicht, aber welche Verstümmelungen waren dazu notwendig!
Sicher, Spanien besitzt kein Monopol, was diese Ausschlüsse betrifft. Die Intoleranz,
in die sich dieses Land hüllt, sollte jedoch nicht über das Aufblitzen eines
ansteckenden Glaubens hinwegtäuschen. Betrachten wir das Beispiel des strengen
Cisneros, Beichtvater der Königin, Großinquisitor, Erzbischof von Toledo, bald
Regent des Königreichs. Ein Fanatiker? Ja, wenn es darum geht, arabische Manuskripte
auf dem Bibarrambla-Platz in Granada zu verbrennen. Aber derselbe Mann lädt
Erasmus nach Spanien ein und gründet mit der Universität von Alcalá de Henares
zusammen das erste Zentrum europäischer Bibelstudien, das zur Wiege der polyglotten
Bibel wurde. Er ist es auch, der den Klerus reformiert, um diesen in den Dienst
des Christenvolks zu stellen. Was soll man über die Mönche sagen, welche die
Ethnographie begründet haben, wie beispielsweise Motolinía und Bernadino de
Sahagún, indem sie das Wesentliche unseres Wissens über die präkolumbianischen
Kulturen zusammengetragen haben? Man kann im Zusammenhang mit solchen Leuten
nicht von Obskurantismus sprechen.