Die Kultstätten der kastilischen Renaissance

Body: 

Die Kultstätten der kastilischen Renaissance

Von den Katholischen Königen bis hin zu Philipp II., dem Goldenen Zeitalter
der Literatur vorausgehend, erneuert die spanische Renaissance die städtische
und architektonische Landschaft. Fachleute unterscheiden für gewöhnlich wenigstens
drei aufeinanderfolgende Stilrichtungen, nämlich den Isabellastil, den die Spätgotik
durch neue Motive bereichert, vor allem unter flämischem Einfluß; ferner den
plateresken Stil, dessen Name wegen der charakteristischen Ziselierarbeiten
von plateros, dem spanischen Wort für Silberschmied, abgeleitet wird. Beim dritten
von Italien beeinflußten Stil handelt es sich um einen nüchterneren Renaissancestil,
im Herrerastil auf die Spitze getrieben (nach dem Architekten des Escorial benannt).

In der Umgebung von Madrid gibt es berühmte, aber auch unbekannte Wunder zu
entdecken. Vor den Toren der Stadt liegt Alcalá de Henares, Geburtsort von Cervantes
und Sitz der von Kardinal Cisneros gegründeten Universität, deren Fassade, Patio
und Treppe bewundernswert harmonisch angeordnet sind. Guadalajara bietet dem
Betrachter die prächtige Fassade des Infantenpalasts, von Juan Guas erbaut,
und seinen wunderschönen, erst kürzlich restaurierten Patio, die sich beide
kräftig von der schlichten Bossenwerkfassade des Cogolludopalastes abheben,
bei dem der Renaissancestil vorherrscht.

Mitten in der Sierra de Guadarrama versteckt liegt das prunkvolle Kloster,
das Monasterio del Paular, dessen Kirche, ein anschauliches Beispiel für die
Geziertheit des spätgotischen Stils, einen ungewöhnlichen Altarretabel aus verschiedenfarbigem
Marmor birgt. In Segovia, im 16. Jh. Zentrum der Tuchindustrie, haben das römische
Aquädukt mit den unversehrt gebliebenen Granitbögen, die romanischen Kirchen
mit den Säulenvorbauten und ... das Spanferkel am Spieß zu Recht eine gewisse
Berühmtheit erlangt. Vertreter der Renaissance ist hier die Kathedrale, Meisterwerk
von Juan und Rodrigo Gil de Hontañón, mit den feingerippten Gewölben. Ferner
das Kloster del Parral, ausgezeichnetes Beispiel für den Isabellastil, und die
casa de los Picos, deren Fassade diamantartig geschliffene Granitspitzen zieren.

In Richtung Valladolid stellt das Schloß von Coca die Apotheose des Mudejarstils
dar. Valladolid selbst, Reichshauptstadt im 16. Jh. und stolz auf sein jüngstes
Wachstum, unternimmt leider nicht die wünschenswerten Schritte, um seine Bauwerke
zur Geltung zu bringen. Schade, denn das Colegio de Santa Cruz besitzt eine
perfekt ausgeglichene Fassade, während die der Kirche San Pablo von einer einzigartigen
Begeisterug für Schmuck zeugt, nach Art eines Steinretabels. Was das nahegelegene
Colegio de San Gregorio angeht, so bietet es gleichzeitig ein unglaublich verschwenderisch
gestaltetes Portal, den vielleicht atemberaubendsten Patio Spaniens und das
dort beheimatete Nationale Skulpturenmuseum mit einer außergewöhnlichen Sammlung
von Werken des 16. und 17. Jhs aus vielfarbigem Holz.

In Medina de Rioseco verblüfft die Benaventekapelle in der Kirche Santa María
de Mediavilla durch ihre bunten Stuckverzierungen. Von da aus ermöglicht ein
Zwischenhalt in Tordesillas - wo 1494 jener Vertrag geschlossen wurde, der die
Demarkationslinie festlegte, welche die Welt in ein spanisches und ein portugiesisches
Kolonialreich einteilte - den Besuch des Nonnenklosters Santa Clara, in dem
Johanna die Wahnsinnige völlig abgeschlossen hauste, mit seiner herrlichen Decke
im Mudejarstil, seinem Patio im Stile Granadas und der tragbaren Orgel der Königin.

Salamanca, erste Universität des Königreichs, erlebte im 16. Jh. eine unglaubliche
Glanzzeit. Von den vielen Reichtümern der Stadt, die hier gar nicht alle aufgezählt
werden können, sollte man die romanische catedral vieja, die catedral nueva
- die wie die von Segovia das Werk der Familie Gil de Hontañón ist - sowie die
verschwenderisch gestatteten Fassaden der Universität und der Kirche des Klosters
San Esteban ansehen, und schließlich noch die schon aus dem 18. Jh. stammende
barocke Plaza Mayor. Auf dem Rückweg von Salamanca lohnt sich eine Rast in Avila,
wo wehrhafte Mauern die Kathedrale umgeben, und natürlich am Escorial.

Für Toledo sollte man einen zusätzlichen Ausflug einplanen, denn abgesehen
von den Schätzen aus der arabischen und der mittelalterlichen Epoche, befinden
sich in der Kaiserstadt mehrere einzigartige, in der Renaissance errichtete
Bauwerke. Neben dem Alcázar von Covarrubias, dessen klobige Silhouette die Stadt
prägt, ist San Juan de los Reyes sicherlich die aufwendigste Schöpfung der Katholischen
Könige. Das Hospital von Santa Cruz mit seinem kreuzförmigen Grundriß ist das
Meisterwerk von Enrique Egas und beherbergt ein herrliches Museum, das, wie
auch anderswo in Toledo, Bilder von El Greco zeigt. Und das Hospital von Tavera,
auch San Juan Bautista (Johannes der Täufer) genannt, veranschaulicht schließlich
die Harmonie der Renaissance auf ihrem Höhepunkt.