Griechentum
Zerberusse der Griechen
Mystras, Berg Athos, Meteora ... Orte, die während vierhundert Jahren osmanischer Besatzung eine nicht hinwegzudenkende Rolle für Erhalt und Verteidigung des Hellenismus gespielt haben. Ein Besuch drängt sich geradezu auf: wegen ihrer grandiosen Erscheinung und der angehäuften byzantinischen Kunstschätze (Kirchen, Klöster, Ikonen und Fresken) zugleich.
Mystras
Die Geisterstadt Mystras - im südlichen Peloponnes, fünf Kilometer von Sparta - zählt zur Landschaft Lakoniens. Diese hohe Bergkuppe, gespickt mit Klöstern und Kirchen, wo die Stille einer besonders langen Geschichte mit Händen greifbar wird, bildete letzte Zufluchtsstätte des von Franken und Türken bedrängten Byzantinischen Kaiserreichs. Erstere machten sich die Herrschaft über ganz Morea streitig. Seit 1349 war Mystras von Söhnen oder Brüdern byzantinischer Kaiser regiert worden. Seine Mauern und Befestigungen hielten unzähligen Angriffen stand.
Im 15. Jahrhundert weilte der berühmte Philosoph Plethon Ghemistos in den Mauern der Stadt und scharte Gruppen talentierter Denker, Künstler und Dichter um sich. Indem sie eine Art Rückkehr zu den Quellen griechischer Denktradition anstrebten, versuchten diese Intellektuellen eine Brücke zwischen der aus den Fugen geratenen alten Welt und den im Werden begriffenen neuen Zeiten zu schlagen. Plethon Ghemistos setzte sich für ein Wiedererstehen des olympischen Götterkults ein und zielte darauf ab, antiken Glaubensinhalten und Volkstraditionen neues Leben einzuhauchen. Ihm zufolge würde das Volk seine Einheit wiederfinden, wenn es an die ruhmreiche aber in Vergessenheit geratene Vergangenheit anknüpfte.
Von Athen nach Mystra folge man der - wie überall auf dem Peloponnes - kurvenreichen aber gut ausgebauten Route Korinth-Tripolis-Sparta. Eine umfassende Besichtigung erfordert etwa drei Stunden, kräftige Gehwerkzeuge - die Steigungen sind nicht zu verachten! - und einen breitkrempigen Hut, da kein Schatten auf Pfaden und Wegen vorhanden ist und die Sonne kein Erbarmen kennt. Oben angekommen, entschädigt ein unvergeßliches Panorama für die Mühe: am Horizont der Taigetos, Griechenlands schönster Gebirgszug; unterhalb byzantinische Klöster und Kirchen, imposante Wohnsitze reicher Familien und, allem voran, der Despotenpalast.
Sparta
Auf dem Rückweg von Mystras schnell noch ein kurzer Abstecher nach Sparta. Erstaunlich, dass diesem doch eher einförmigen Städtchen in der Antike eine so ruhmreiche Rolle zukam. Man darf halt nicht vergessen, dass Sparta vom 6. Jahrhundert an unter einem totalitären, durch und durch militarisierten Regime leben mußte: die Spartaner hatten anderes zu tun als sich der Kunst zu widmen, Monumente oder sonstige Gebäude zu errichten; auch der letzte Groschen in der Stadtkasse wurde für militärische Bedürfnisse und nicht für Kultur ausgegeben ... Thukydides sollte recht behalten als er prophezeite, dass man in einer fernen Zukunft »nur noch mit Mühe daran glauben könne, die Macht Spartas hätte seinem Ruf entsprochen«. Dennoch sollte man das hiesige Archäologische Museum nicht auslassen: die Sammlungen uralter Gegenstände aus archaischer Zeit sind durchaus bemerkenswert. Der Torso des Leonidas (5. Jahrhundert v.Chr.) von außerordentlicher stilistischer Strenge und Schmucklosigkeit, erinnert entfernt an den »sozialistischen Realismus« stalinistischer Zeiten ...
Pylos
Das bildhübsche Hafenstädtchen Pylos, rund hundert Kilometer westlich von Sparta, sorgt für erholsame Ruhe und Erfrischung nach unseren Pilgerfahrten durch die Umgebung. Mehr als einen oberflächlichen Besuch verdient der Palast König Nestors, des Herrschers und »weisen Ratgebers«, wie es in der Ilias heißt. Bei einem Bootsausflug in die Bucht sind am Meeresboden noch Wracks jener Schiffe zu erkennen, die an der berühmten Seeschlacht von Navarino teilnahmen: siebenundzwanzig russischen, englischen und französischen Booten gelang am 20. Oktober 1827 der Sieg über die Flotte Ibrahim Paschas. Die Unabhängigkeit Griechenlands war in greifbare Nähe gerückt ...
Berg Athos
Die Mönchsrepublik am Berg Athos, geistiger Mittelpunkt der christlichen Orthodoxie auf der Chalkidike-Halbinsel im Norden Griechenlands - in Makedonien - lebt bis heute gemäß der im 11. Jahrhundert von Kaiser Konstantin Monomachos erlassenen Vorschriften, denen zufolge es »allen Frauen, weiblichen Tieren, Kindern, Eunuchen und glatten Gesichtern« untersagt war, den heiligen Berg zu betreten.
Lange vor dem 10. Jahrhundert hatten sich schon die ersten Einsiedler an diesem Ort niedergelassen. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts bevölkerten über 40.000 Mönche die Athos-Klöster. Fünf Jahrhunderten türkischer Besatzung und zahlreichen Aneignungsversuchen des Vatikans zum Trotz konnte sich der Berg Athos seine Unabhängigkeit bewahren (offiziell anerkannt seit 1927), wenn auch politisch Teil der griechischen Nation.
1965 zählten die zwanzig größten Klöster des »heiligen Berges« nurmehr etwa eintausend Mönche; seit 1980 indes steigt die Zahl der kinovites (in der Gemeinschaft lebende Mönche), idiorythmi (in Einzelzellen lebende Mönche) und Einsiedler ständig. Die anakhorites unter den Eremiten fristen ihr Dasein in Höhlen oder Hütten, die sie auf unzugänglichen Felsen errichten.
Zu den ansehnlichsten Klöstern zählen Vatopedi, Simon Petra und, allen voran, das 963 gegründete »Große Lawra-Kloster« mit seinen wunderbaren Fresken. Letztere sind ein Werk der kretischen Schule und wurden in der Zeit vom 15. bis 16. Jahrhundert ausgeführt.
Bei alledem sollte man den Berg Athos nicht als Touristenort mißverstehen und den »heiligen Berg« nicht genauso durchmessen wie die Säle eines Museums oder die Ruinen eines Tempels: in einer Hand die Eintrittskarte, in der anderen den Fotoapparat. Worauf es hier besonders ankommt, das ist die Geistesverfassung des Besuchers, auf seinen Respekt gegenüber den Gastgebern und deren Religion, seinen Wunsch, Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
Ratsam ist es, ein von den Behörden zu Hause ausgestelltes Empfehlungsschreiben mitzuführen, um beim griechischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten den erforderlichen Passierschein zu erhalten. Dessen Vorlage wird in Ouranoupolis, dem Grenzort der Mönchsrepublik, verlangt.
Ab Ouranoupolis (145 Kilometer von Thessaloniki) nach Daphni per Boot, dann zu Fuß in zwei Stunden oder mit dem Bus nach Karyes, dem Hauport der Gemeinschaft, wo auch der diamonitrion (Aufenthaltserlaubnis) ausgestellt wird.
Die Meteora-Klöster
Die Meteora, Felssäulen von zyklopischen Ausmaßen, etwa zehn Kilometer von Kalambaka in Thessalien entfernt, stellen eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten des Landes dar. Die Klöster hoch oben, zwischen Himmel und Erde (meteora = in der Luft schwebend), datieren aus dem 14. Jahrhundert. Früher erklommen die Mönche ihre Felstürme über zwanzig bis vierzig Meter hohe Leitern, die bei Gefahr im Verzuge eingezogen werden konnten; benutzt wurden auch Netze, in denen Menschen und Lebensmittel nach oben befördert wurden. Jedenfalls stammen die aus dem besonders harten Fels geschlagenen Treppen erst aus dem 20. Jahrhundert. Seither war es vorbei mit der mönchischen Abgeschiedenheit: das Zeitalter des Tourismus hatte begonnen! Wie bei fast allen heiligen Stätten des Landes der Fall, gilt es für Besucher, gewissen Kleidervorschriften zu beachten: Shorts sind bei Männern nicht erlaubt; Frauen sollte keinen kurzen Rock tragen und müssen ihre Arme bedecken.
Sämtliche Klöster sind auf Wunsch zu besichtigen, nur brauchte man Waden aus Stahl, um nicht nach Erklimmen von zwei oder drei Felstürmen den Boden unter den Füßen zu verlieren. Gut zu wissen daher, dass die sehenswertesten Klöster jene von Meteoron, Aghios Varlaam und Aghia Triada sind.
Zwischen Kalambaka und Athen liegen 414 Kilometer, über Lamia und Karditsa. Auch die Autobahn bis Larissa kommt in Betracht. Acht bis zehn Züge täglich befahren die Strecke Athen-Kalambaka (je nach Jahreszeit).
Thessaloniki
Thessaloniki fiel erst nach vier Jahrhunderten osmanischer Besatzung im Jahre 1912 zurück an Griechenland. Seiner verspäteten Befreiung hat es wahrscheinlich den Umstand zu verdanken, dass ihm eine blindwütige Modernisierung erspart geblieben ist. Die ab 1922 von Flüchtlingen aus Kleinasien bewohnten volkstümlichen Viertel weisen ihr eigenes Gepräge auf; bauliche Hinterlassenschaften von Römern, Byzantinern, Venezianern und Türken sind nicht verschwunden. Thessaloniki kann sich nicht allein rühmen, neben Athen ein wenig Hauptstadt zu spielen, von den Griechen den Beinamen »Nymphe des Thermaikos« verliehen bekommen zu haben, zweitgrößter Hafen nach Piräus und ein prosperierender Industriestandort zu sein; die Stadt hat sich auch mit ihrer Universität und ihrem Kunstschaffen einen Namen gemacht.
In der Unterstadt (kato poli), um die Via Egnatia herum angeordnet, einst Hauptverbindung zwischen Rom und Konstantinopel, finden sich auf engstem Raum Galeerenbogen, Weißer Turm (Lefkos Pyrgos) - im 15. Jahrhundert von den Venezianern errichtet - sowie die schmucksten byzantinischen Kirchen ganz Griechenlands: Panaghia Khalkeon (Unsere Liebe Frau der Kupferschmiede) in einem Viertel, wo seit hunderten von Jahren Kupfer verarbeitet wird, Aghia Sophia und Aghios Dimitrios, die Kathedrale von Thessaloniki.
Obwohl die Oberstadt (ano poli) längst von den Ausläufern des modernen Städtebaus erfaßt wurde, blieben doch die schützenden Stadtmauern aus byzantinischer Zeit erhalten. In diesem zugleich mediterran und oriental wirkenden Stadtteil stößt man noch auf Tavernen, die bislang noch nicht vom grassierenden Fremdenverkehrsvirus befallen sind: die rebetiko-Tradition ist hier höchst lebendig, Sänger und Instrumentalisten zählen zu den besten des Landes, und mit ein wenig Glück hört man sogar einen Flüchtling aus Kleinasien den amane (langsamer, schnörkelreicher Gesang) aus Smyrna anstimmen.
Wer einen Bummel zum Hafen unternimmt, sollte von den köstlichen mezes kosten, die an ganz bestimmten Verkaufsbuden (Ouzerien) feilgehalten werden. Dazu dann ein ouzo und den Kellner doch um einen aus Thessaloniki bitten: der mundet nämlich ausgezeichnet.
Nicht versäumen sollte man einen Besuch des Archäologischen Museums: trotz der hier aufbewahrten Schätze fand es bis zu jenem Tag bei Besuchern wenig Beachtung, da die märchenhaften Funde aus den Königsgräbern von Verghina hier ausgestellt wurden. Bei einem der Grabmale handelt es sich um das Philipp von Makedonien, den Vater Alexanders des Großen.
Sechs Züge verlassen täglich den Athener Bahnhof Larissa (Stathmos Larissis) in Richtung Thessaloniki; ferner führt die Olympic Airways täglich mehrere Flüge durch.