Grenzinseln

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Grenzinseln

Mytilene (Lesbos)

Die nach Kreta und Rhodos drittgrößte aller griechischen Inseln hat dem Besucher
erstaunlich abwechslungsreiche Landstriche zu bieten. Nur einen Steinwurf von
der türkischen Küste entfernt, tritt uns Mytilene - Fremde verschmähen die Insel
ein wenig, im Gegensatz zu den Griechen selbst, die hier zuhauf ihre Ferien
verbringen - als Griechenland im Kleinen entgegen: ein Wechselspiel von Gebirgszügen,
Tälern, felsig-kargen Landstrichen und fruchtbaren Ebenen, wo Oliven und Weinreben
das Bild bestimmen. Lesbos wird von einem Straßennetz erschlossen, dessen guter
Ausbauzustand auf die Nähe der ... Türkei zurückzuführen ist: bei der Geburtsstätte
der Dichterin Sappho und des Lyrikers Alkaios handelt es sich um eine Grenzinsel,
und für den Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung brauchen die Militärs
eben gute Straßen!

Sieben Schiffe stellen wöchentlich die Verbindung mit Piräus her, nur zieht
sich die Überfahrt ein wenig in die Länge (fünfzehn Stunden). Das Flugzeug dagegen
braucht bis Lesbos nur fünfundvierzig Minuten: mehrere Flüge täglich ab Athen.

Chios

Keine zehn Kilometer vor dem türkischen Festland taucht Chios als grüne, wohlhabende
Insel von großem landschaftlichem Reiz aus den Fluten auf. Homer soll hier geboren
worden sein, aber nicht dessen Autorenrechte begründeten den Wohlstand der Insel.
Um an dessen Quelle zu gelangen, braucht man nur die Gegend um Mastikhokhoria
im Süden zu durchstreifen: Mastix-Pflanzungen so weit das Auge reicht. Aus an
den Stämmen der Sträucher angebrachten Kerben tropft die mastikha, ein aromatisches
Harz, das bei der Herstellung von Likören und Süßwaren Verwendung findet. Auf
Chios werden tausende Tonnen davon gewonnen. Die mastikha wurde früher als Kaugummi
zum Verkauf angeboten - noch heute sind die kleinen Säckchen in bestimmten Lebensmittelläden
auf der Insel erhältlich.

Wem es gelingt, sich von den Stränden loszureißen, dem bieten sich Ausflüge
nach Vrontados, einem malerischen Dorf, wo man dem Besucher den berühmten Stein
Homers zeigen wird, oder nach Volissos, wo das Geburtshaus des Schöpfers von
Ilias und Odyssee steht. Auf keinen Fall sollte man seine Skepsis erkennen lassen,
was den Geburtsort des großen Dichters angeht; die ganze Insel hält sich etwas
zugute darauf.

Sieben Schiffe legen jede Woche in Piräus ab - im allgemeinen gegen Abend -
und benötigen für die Überfahrt annähernd zehn Stunden. Zusätzlich verbinden
vier oder fünf Flüge die Insel Homers mit der griechischen Hauptstadt.

Samos

Etwas südlicher, so dass die Insel fast die Küste Kleinasiens berührt - die
Meerenge zwischen Samos und der Türkei erreicht gerade zwei Kilometer Breite.
Samos läßt in regelmäßigen Abständen baumbestandene, blumenbewachsene Hügel,
Weingärten, aus denen einer der erlesensten griechischen Tropfen gewonnen wird,
Wälder und beschauliche Strände mit glasklarem Wasser aufeinander abfolgen.

Schon im sechsten vorchristlichen Jahrhundert - unter der Regierung des Tyrannen
Polykrates, dessen Hof sich aus Philosophen, Dichtern und Mathematikern zusammensetzte
- erfreuten sich die Inselbewohner einigen Wohlstandes. Unter den Mathematikern
befanden sich auch der berühmte Pythagoras, dem wir den gleichnamigen Lehrsatz
verdanken, sowie Eupalinos aus Megara, der die Stadt Samos mit einem unterirdischen
Leitungssystem für die Wasserversorgung bedachte.

Die Inselbewohner sind außerordentlich liebenswürdige Gastgeber: in einem Privatzimmer
unterzukommen, ist ein Vergnügen, bei dem niemand auf Bequemlichkeit zu verzichten
braucht. Täglich legt ein Schiff in Piräus ab und nimmt Kurs auf die Insel des
Pythagoras (über Ikaria); zusätzlich zwei Flüge pro Tag ab Athen.

Rhodos (Rodhos)

Bevor Rhodos vom Fremdenverkehr heimgesucht und von unzähligen Skandinaviern
»kolonisiert« wurde - in Griechenland trägt die Insel den Beinamen »die Skandinavische«
... - galt es als Perle des Dodekanes, als Schönste in der ganzen Ägäis. Dieser
Zustand sollte nicht lange andauern: ein unablässiger Zustrom von Fremden, sommers
wie winters, gönnt der Insel keine Atempause, und die Behörden sehen untätig
dabei zu, wie Rhodos zu einem seelenlosen schwimmenden Hotel ohne eigene Persönlichkeit
verkommt. Die Zahlen sprechen Bände: vor zwei Jahren registrierte die Insel
über 600.000 Touristen, und das bei nur vierzigtausend Einwohnern!

Dennoch wehrt sich Rhodos tapfer: insbesondere in seinem Südteil, wohin es
nur wenige Urlauber verschlägt, und im Innern, wo die Straßen in keinem besonders
guten Zustand sind. Alles drängt sich mit Vorliebe in Rhodos, der Inselhauptstadt,
in Lindos und Kamiros - beides Gründungen der Dorer - sowie rund um die Dörfer
Ixia und Faliraki mit ihren besonders einladenden Stränden.

Die Stadt Rhodos lohnt einen Besuch auch nachdem die meisten Gebäude im mittelalterlichen
Teil allzu gründlich restauriert oder rekonstruiert wurden. In den Gassen kann
man sich leicht in die Vergangenheit dieser außergewöhnlichen Stadt zurückversetzen,
die zur Zeit Alexanders 80.000 Bewohner zählte, doppelt soviel als die gesamte
Insel in unseren Tagen! Vor unseren Augen wird nicht zuletzt das 14. Jahrhundert
wieder lebendig, als sich die Genueser auf Rhodos niederließen. Etwas später
wurden sie vom Johanniterorden aus Jerusalem wieder vertrieben, dessen Ritter
zweihundert Jahre auf der Insel verweilten. Sie mußten zu Beginn des 16. Jahrhunderts
den Türken weichen, diese wiederum den Italienern im Jahre 1912. Erst 1948 sollte
Rhodos wieder an Griechenland zurückfallen.

Wer es nicht allzu eilig hat, folge der Straße nach Kamiros (Westküste) und
fahre weiter in Richtung Süden: hier bietet sich eine Besichtigung der einzigartigen
Stätte von Monolithos an - es handelt sich um eine mittelalterliche Burg auf
einem steil aufragenden Felsen - sowie ein Abstecher in die Dörfer Katavia und
Aghios Pavlos, die ihren Zauber noch nicht eingebüßt haben und bekannt sind
für die Qualität von Spitzen und Weberzeugnissen.

Sie haben die Wahl zwischen der Schiffahrtslinie Piräus-Rhodos über die Kykladen
und Kreta bzw. über Patmos und Cos oder einem der täglich fünf Flüge ab Athen.
Flugverbindungen existieren auch ab Heraklion (Kreta), Cos und Karpathos.

Euböa, die Unbekannte

Wenngleich Euböa nicht unter der Kategorie »griechische Inseln« geführt wird:
es handelt sich um eine solche, denn der berühmte Euripos trennt diese vom Festland.
Der Kanal ist berüchtigt für seine mehrmals täglich die Richtung wechselnden
Strömungen, was Fachleute aus der ganzen Welt nach wie vor grübeln läßt. Ein
gewisser Aristoteles (der bekannte Philosoph oder ein anderer?) soll sich aus
Verzweiflung darüber in den Kanal gestürzt haben, dass er den Schlüssel zu diesem
Geheimnis nicht hatte finden können. Sparen Sie sich also alle Hypothesen! Statt
dessen überquere man lieber die Brücke und genieße das herrliche, gebirgige
Euböa mit seinem milden Klima, seinen Wäldern und Stränden, wo es merklich gemütlicher
zugeht als sonstwo in der Ägäis. Folgen wir zunächst der Straße nach Norden,
Richtung Loutra Aedipsos, wo uns Schwefelquellen und Überreste römischer Thermen
erwarten. Nach Süden hin erreichen wir schließlich Karystos, eine Ortschaft
am Fuße des Okhi-Berges - oder zieht es Sie eher in entgegengesetzte Richtung,
zum Hafenort Kymi vis-à-vis der Insel Skyros, wo Fischer Sie gerne zu einer
Bootstour entlang der Küste an Bord nehmen?

Leukada, die Unentschlossene

Leukada unterscheidet sich in einem Punkt von allen Nachbarinnen im Ionischen
Meer: seit prähistorischer Zeit kann sich die Insel zwischen Meer und Festland
nicht entscheiden - von letzterem trennt sie nur eine schmale Lagune. Um das
Jahr 640 v.Chr., als die Korinther hier ihre Zelte aufschlugen und den Isthmus
kanalisierten, sah die Insel zu, dass der Kanal wieder im Schlamm versank - um
sich nicht zu sehr von Mutter Erde zu entfernen. In der Römerzeit ließ Augustus
den Kanal wieder ausheben und eine Brücke errichten. Leukada indes konnte sich
mit dieser künstlich aufgezwungenen Verbindung zum Festland nicht abfinden:
es bat Poseidon einzugreifen, welcher sich nicht lange bitten ließ und so das
römische Bauwerk wieder aus den Angeln hob.

Etwa hundert Kilometer Straße erlauben es uns, die wirklich hübsche Insel in
ein oder zwei Tagen zu umrunden, Dörfer zu durchqueren, die noch vom Zugriff
modernen Städtebaus verschont geblieben sind (etwa Nydri mit seinem kleinen
archäologischen Museum oder Marandokhori, wo im Kloster Aghios Ioannis Fresken
aus dem 18. Jahrhundert zu bewundern sind) und bis ans Südende vorzustoßen,
zur berühmten Klippe von Leukada. In der Antike praktizierte man hier eine Art
Gottesurteil: von Liebeskummer Geplagte sprangen von einer siebzig Meter hohen
Felswand ins Meer, um geheilt zu werden. Der Legende zufolge soll Sappho hier
ihr Leben gelassen haben, als sie die Probe aufs Exempel machen wollte ...

In der zweiten Aprilhälfte geben sich auf Leukada Musiker, Tänzer, Schriftsteller
und Dichter aus allen Gegenden Griechenlands ein Stelldichein: anläßlich künstlerisch
hochstehender Festspiele, die mit einem Dichter- und Tanzwettbewerb enden.

Kreta

»Drei Arten von Menschen gibt es auf der Erde: jene, die hartgekochte Eier
essen, nachdem sie die Schale entfernt haben; jene, die sie mit der Schale vertilgen;
und jene, die - nachdem sie Ei und Schale verschlungen haben - den Topf auch
noch hinunterwürgen. Letztere nennt man Kreter.«

Nikos Kazantzakis.

Größte Insel der hellenischen Welt: 260 Kilometer lang, auf 12 bis 50 Kilometer
Breite. Die kretischen Gebirge - darunter Lefka Ori, Ida (oder Psiloritis) und
Dhikti, die bis auf über 2000 Meter ansteigen - sind von tiefseegrabenartigen
Schluchten durchschnitten, auf deren Grund wilde Tiere leben, denen man nirgendwo
sonst in Griechenland noch begegnet. Pflanzenarten überziehen die Flanken der
Gebirgszüge - natürlichen Herbarien gleich - die seit Jahrtausenden aus dem
gesamten übrigen Mittelmeerbereich verschwunden sind!

Kreta birgt auch eine seltene Spezies von Menschen.

Seit Jahrhunderten tief mit dem Boden ihrer Heimat verwurzelt, klammern sich
die Kreter mit wilder Entschlossenheit an ihre Felsen, haben sie Vulkanausbrüche,
Erdstöße und geschichtliche Stürme überlebt. Die Achäer eroberten sie (16. Jahrhundert
v.Chr.), ohne sie unterwerfen zu können; die Dorer ließen sich aufsaugen; Römer,
Byzantiner und Türken zogen vorüber, ohne tiefere Spuren zu hinterlassen. Während
der vierhundertjährigen osmanischen Besatzung gaben es die Kreter niemals auf,
sich zu erheben, zu den Waffen zu greifen, für ihre Freiheit zu kämpfen. Der
letzte Aufstand datiert auf das Jahr 1898 und bescherte der Insel die Eigenständigkeit,
bevor sie 1913 Griechenland angeschlossen wurde.

Der deutsche Überfall traf 1941 auf eine kampfbereite Bevölkerung. Von ihren
Stellungen an Gebirgspässen und in der Ebene aus erwarteten Männer und Frauen
die deutschen Fallschirmjäger, die Hand am Griff ihrer Messer: in jedem Strauch
konnte ein Kämpfer verborgen sein, hinter jedem Baum sich ein Freischärler verstecken.
In der gebirgigen Gegend um Sfakia zwang der Widerstand der Bauern die Deutschen
dazu, ihre Luftwaffe einzusetzen und gewaltige Kräfte zu mobilisieren. Die Schlacht
um Kreta dauerte über einen Monat!

Heute kämpft die minoische Insel eine andere Schlacht, nämlich um das Überleben
in einem Land, das sich mitten im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruch
befindet. Nur mühsam scheint Kreta die schockartige Wirkung einer chaotischen
Entwicklung des Fremdenverkehrs zu verwinden, der weder auf geographische Besonderheiten
noch auf die Mentalität der Einheimischen und ihre Geschichte Rücksicht nimmt.
Daraus ergeben sich schwerwiegende Probleme.

Das demographische Ungleichgewicht hat beunruhigende Ausmaße angenommen: drei
Viertel der Bevölkerung drängen sich derzeit an der Nordküste, wo Häfen und
Flughäfen, Hotelanlagen und die Mehrzahl der Strände angesiedelt sind. Die Landbevölkerung
des Hinterlandes drängt mit Macht zur Küste, läßt unbewohnte Dörfer, verwildernde
Weingärten und brachfallende Felder zurück. Für die Olivenernte (Kreta erzeugt
bedeutende Mengen an Olivenöl) fehlt es an Arbeitskräften, so dass man auf spanische
Landarbeiter aber auch junge Touristen aus Deutschland oder Skandinavien zurückgreifen
muß. Fortan bücken sich die Frauen Kretas nicht mehr in ihren Weinbergen, um
Trauben zu lesen; sie ziehen es vor, beim Putzen von Hotelfliesen ihr Rückgrat
zu krümmen. Dörfer, die der große kretische Schriftsteller Nikos Kazantzakis
einst beschrieben hat, verwandeln sich in Souks; in ihren Gassen hallen Sprachen
aus aller Herren Länder wider. Manchmal laden vor ihrer Tür sitzende alte Frauen
Passanten zu einem Kaffee oder kühlen Glas Wasser ein; dies geschieht weniger
aus Gastfreundschaft denn in der Hoffnung auf ein kleines Zubrot: aus einer
alten Truhe ziehen sie dann handgewebte Laken und Vorhänge oder die herrlichsten
Stickereien hervor und erklären, dass die Mitgift nicht mehr modern sei, dass
die jungen Frauen nicht mehr im Dorf bleiben, dass sie sich lieber auswärtig
verheiraten. Die Aussteuer steht zum Verkauf, aber nicht zu Schleuderpreisen.

Kreta bleibt trotz allem eine der faszinierendsten Mittelmeerinseln. Geschichtsbewußte
Liebhaber alten Gemäuers werden nicht enttäuscht sein: von einem Besuch des
Archäologischen Museums in Heraklion - es braucht einen Vergleich mit den reichsten
Museen der Welt nicht zu scheuen - und des Palasts von Knossos bietet jeder
Strand an der Nordküste Erholung. Um dem Gedränge im Sand aus dem Wege zu gehen,
unternimmt man dann noch einen kurzen Abstecher zum Palast von Phaestos - im
übrigen eine willkommene Gelegenheit für eine Fahrt durch die Ebene von Messara,
die ausgedehnteste und fruchtbarste auf der ganzen Insel.

Im Westen hat Khania, weit weniger kosmopolitisch und verdorben als Heraklion,
noch eine unverfälscht kretische Atmosphäre zu bieten. Von hier aus ist es nicht
mehr weit zur Hochebene von Omalos - die Straße säumen Orangen- und Olivenhaine
- und zu der Samaria-Schlucht. Aber Achtung: für eine Durchquerung benötigt
man feste Wanderschuhe, denn die Strecke ist lang (18 Kilometer) und unwegsam,
mit teilweise recht engen Passagen. Auch etwas Proviant sollte man vorsehen.
Wer sich mühevoll bis zum Ziel Aghia Roumeli durchgeschlagen hat, den bringt
ein Boot schließlich nach Khora Sfakion.

Die Stadt Rethymnon hat keinerlei antike Baudenkmäler aufzuweisen und liegt
daher im Windschatten des Massentourismus, trotz ihrer alten venezianischen
und türkischen Viertel. Im Mai feiern die Bewohner den Jahrestag der Schlacht
von Kreta.

Zwei Fähren legen täglich in zwölf Stunden die Strecke Piräus-Heraklion zurück;
gleichzeitig führt die Olympic Airways jeden Tag sieben Flüge zwischen Athen
und dem internationalen Flughafen von Heraklion durch (fünfunddreißig Minuten).
Sollten einmal alle Plätze ausgebucht sein, bleibt als Ausweichziel der Hafen
oder Flughafen von Khania.