Herrschaft des Meeres
Die Herrschaft des Meeres
Gleichgültig wo Sie sich gerade aufhalten, das Meer ist nie über 90 Kilometer
weit. Der Göttin Dimitra (Demeter = Mutter Erde) gelang es zu keinem Zeitpunkt,
sich der liebevollen Fürsorge ihres Bruders Poseidon (Gott des Meeres) zu entziehen,
der ihr seit frühester Zeit unablässig nachstellte. Böse Zungen auf dem Olymp
berichten, seine Avancen seien nicht ergebnislos geblieben und er habe seine
Heldentat mit der eigenen ... Großmutter, Gaia, wiederholt, die ihm ein Kind
schenkte, den Riesen Antäus.
Dieser maritime Einfluß zeitigt bedeutende klimatische Auswirkungen: das Reich
Poseidons temperiert die harten Winter, denn entgegen aller herkömmlichen Vorstellungen
dauert der griechische Sommer nicht ewig, mildert so die sommerliche Bruthitze
und läßt der gesamten Vegetation des Binnenlandes zum Schutz vor erbarmungsloser
Sonneneinstrahlung erfrischende Winde zuteil werden.
Der Schiffahrt wohlgesonnen, birgt das Meer doch einige Gefahren. Die Stürme
im Mittelmeergebiet, besonders jene um Kreta und den Dodekanes, wüten schrecklich
und werden von den Seefahrern seit grauer Vorzeit gefürchtet. Unzählige Frauen
auf Kalymnos, Leros oder Nissyros tragen Trauer wegen ihrer Ehemänner und Söhne,
die bei der Schwammfischerei auf immer von den Wellen verschlungen wurden. Diese
Frauen sind es, die dem Meer die Beinamen pikrokymatoussa (Meer der Bitterkeit),
andropnikhtra (Menschenverschlinger) oder atimi (heimtückisch) verliehen haben,
in der Volksdichtung und einer Reihe von Inselliedern häufig aufgegriffene Themen.
Diese Gefahren vermochten die griechischen Seefahrer indes nie von ihrer fortwährenden
Suche nach unbekannten Gefilden abbringen; ihre fortwährenden Expeditionen konnten
ihren Abendteuerdurst nicht stillen, ihre Neugier, ihren brennenden Wunsch nach
Erforschung und Entdekkertaten nicht befriedigen.
Nicht von ungefähr verglich Herodot, selbst unermüdlicher Reisender, seine
im Umkreis des Mittelmeerbeckens sich scharenden Landsleute mit »Fröschen rund
um einen Tümpel«.
Nach Gründung ihrer Kolonien in Nordafrika, in Iberien, bei den Ligurern, wo
ihre kleine Handelsniederlassung später Marseille genannt werden sollte, segelten
die Griechen rund um das Schwarze Meer, dann entlang der kleinasiatischen Küste,
nach Zypern und sogar bis nach Ägypten. Einigen Kommentatoren der Reisen des
Odysseus zufolge soll der König von Ithaka seinen Fuß auf die englische und
isländische Küste gesetzt haben, wo er Kontakt zu den Einheimischen aufnahm.
Zum Zeitpunkt des Unabhängigkeitskrieges (1821) lebten übrigens noch zahlenmäßig
starke griechische Bevölkerungsgruppen in der PontusRegion, an der türkischen
Nordostküste also; über eine halbe Million Griechen in Südrußland, vornehmlich
am Schwarzen Meer (immer noch die ... Frösche Herodots), in Tiflis, Batumi,
auf der Krim und in der Hafenstadt Odessa. Weiter im Süden, in Rumänien, beherbergten
Städte wie Brâila, Konstanza und Galati zehntausende von Großhändlern, die während
der Revolution 1821 eine aktive Rolle spielten, verbreiteten sie doch das aufständische
Gedankengut bei ihren Geschäftspartnern in Griechenland und Westeuropa. Obendrein
stellten sie die finanziellen Mittel für bestimmte militärische Operationen
bereit.
In Kleinasien - an den Küsten des Ägäischen Meeres, in Smyrna und den umliegenden
Ortschaften - blühte Jahrhunderte hindurch ein »zweites Griechenland«. Vergessen
wir auch nicht die über ganz Anatolien verstreuten, bis nach Kappadokien reichenden,
vielköpfigen griechischen Gemeinden.
Dieser ganze »asiatische« Teil der hellenischen Welt, insgesamt über anderthalb
Millionen Menschen, sollte nach dem unglücklichen griechischtürkischen Krieg
von 1922 in Griechenland um Asyl nachsuchen.