Berge überall
Die vielgestaltigen Gesichter Griechenlands
Das allgegenwärtige Gebirge
Laut Statistik bedecken Gebirge 70 % des griechischen Territoriums. Kein Ort
entgeht der mehr oder minder grossen Nähe eines Gebirgsmassivs; niemals streift
der Blick in die Ferne, ohne an einem Gipfel hängenzubleiben oder dem heideartigen
Strauchbewuchs einer abrupt abfallenden Bergflanke zu begegnen. Ihr ganzes Leben
hindurch wissen sich die Griechen zugleich von Gebirgen überwacht und beschützt,
unterliegt ihre Existenz deren Einfluß, bekommt ihr Wesen die Herrschaft der
Berge zu spüren. Den Eltern eines Neugeborenen wird von Freunden gewünscht:
»Na sas zíssi san ta psila vouna« (»Möge es solange leben wie die hohen Berge«).
Von jemandem, der sich den Aufständischen angeschlossen hat, wird man sagen,
er »habe die Berge gewählt«; von einem Kranken, dass er hoffentlich wieder so
»gesund wie die Berge« werde; »sei fest wie das Gebirg« lautet der Glückwunsch,
wenn jemand seinen Geburts oder Namenstag feiert.
Das Gebirge ist allgegenwärtig - sowohl in der volkstümlichen Dichtung, als
auch in sämtlichen Volksliedern, welche die Kämpfe der Klephten gegen die Türken
glorifizieren, in den Motiven der handgewebten Teppiche und in den Trachten
der Dorfbewohner. Die Kostüme der heutigen Evzonen, Leibgardisten vor der Residenz
des Präsidenten und vor dem Grabmal des unbekannten Soldaten in Athen, waren
einst der Aufzug der Kämpfer im Unabhängigkeitskrieg der albanischgriechischen
Aufständischen von Rumelien und Epirus - wilde Bergkriegern, aus deren Reihen
fast alle kapetanios (Führer) der Revolution von 1821 stammten.
Der Felsenkönig
Unmöglich, in Griechenland von einer Region zur anderen zu gelangen, ohne einen
Paß überqueren zu müssen, ohne dem überall lauernden König der Felsen seinen
Wegezoll zu entrichten. Gleich einem Wegelagerer, der das Seine in Form von
Schweiß fordert, um sich erklimmen zu lassen, versperrt dieser unverhofft Reisenden
den Weg. Im Norden bewachen die Rhodopen die griechischbulgarische Grenze und
trennen zwei Völker, die oft im Streit lagen. Im Westen, längs der jugoslawischen
Grenze, erstreckt sich der Kaïmaktchalan, Versammlungsort der Hirten und letzte
Sommeretappe auf dem Zug der Herden, der bisweilen in der entlegenen thessalischen
Ebene beginnt. Unweit der Trennungslinie zwischen Griechenland und Albanien
verbergen Smolikas (2637 m) und Mitsikeli, imposant und unüberwindlich, die
Zagoria, eine Handvoll epirotischer Dörfer, wo sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts
ein außerordentlich intensives Geschäfts und Kulturleben entwikkelte. Hierauf
fußte die Renaissance des Hellenismus. Etwas weiter nach Süden dann bilden Parnaß
und Ghiona (2457 bzw. 2510 m) oberhalb der ausgetrockneten KopaisSenke einen
schroffen Grat, der die Verkehrsverbindungen aufs äußerste erschwert. Wer´s
nicht glauben möchte, braucht nach dem Landgang in Patras nur die Fähre nach
Antirion oder Itea am Golf von Korinth zu nehmen und mit dem Auto nach Delphi
weiterzureisen: die Schleifen der unablässig ansteigenden Straße scheinen kein
Ende zu nehmen, aber der Ausblick aufs Meer zur einen und auf die Gebirgsstöcke
zur anderen Seite entlohnen reichlich für den Abstecher.
Im Osten wachen die Götter des Olymp über Griechenland: ihr Sitz befindet sich
2917 m über dem Meeresspiegel. Voller Sorge um ihre bedrohte Einsamkeit erlaubten
sie den Sterblichen auf der gesamten Fläche ihrer felsigen Reiches nur die Gründung
eines einzigen Dorfes, Lithokhorion (»Steindorf«). Es besitzt einige Hotels.
Attika wird umgrenzt von historisch bedeutsamen Gebirgszügen wie dem Pentelikon
zwischen Athen und Marathon - berühmt für seine weißen Marmorbrüche, die für
den Bau des Parthenon Verwendung fanden - dem Parnes, immer noch leidlich bewaldet
trotz der zur Sommerzeit auf Attika regelmäßig wütenden Brände, und dem Hymettos,
bekannt für seinen vorzüglichen Honig.
Auf dem Peloponnes erreicht der Erymanthos 2224 Meter; der Killini 2376 Meter.
Der berühmte Taygetos bei Sparta mißt an seiner höchsten Stelle 2404 Meter und
findet seine natürliche Verlängerung in der Halbinsel von Mani, einer ausgesprochen
rauhen und felsigen Gegend, wo allein Olivenbäume, Kräuter und Lupinen gedeihen.
Letztere dienen den Weidetieren als Futter, unlängst aber auch den Bewohnern
während der großen Hungersnöte als Nahrung. Die Dörfer wurden hier hoch im Gebirge
angelegt, und es gibt, hie und da verstreut, sonderbare Behausungen in Gestalt
quadratischer Türme zu bewundern, mit winzigen Fensteröffnungen und Schießscharten
auf den ebenen Dächern: hier praktizierten die Manioten, gefürchtete Krieger
und ewige Rebellen, noch bis in jüngere Zeit ihre Vendetta, die sie angeblich
im 17. Jahrhundert nach Korsika exportierten.
Das Gebirge als Nährmutter
In unseren Tagen bestreitet die griechische Bergbevölkerung ihre Lebensgrundlage
mit der Tierzucht. Von einem Ende des Landes zum anderen sprenkeln Schafherden
die Gebirge. Die Anzahl der Ziegen sinkt beständig, nachdem »Experten« die Tiere
wiederholt für die Entwaldung Griechenlands und für die Entblößung seiner Gebirgsflanken
verantwortlich machten. Gewiß: Ziegen fressen, was sich ihnen bietet, selbst
Brombeergestrüpp; aber Kiefern, Olivenbäume und Platanen zu verschlingen, das
übersteigt auch ihr Vermögen! Die systematische Entwaldung des Landes und das
zunehmende Verschwinden der Strauchheide sind vielmehr auf die Zähne eines anderen,
zweibeinigen, Säugetiers namens »Graecus aius aetatis« zurückzuführen: dieses
im Umgang mit seiner Umwelt wilde und unerbittliche Wesen führt seit Jahren
Säge und Beil, bedient Bulldozer zur Entwurzelung von Bäumen, steuert Flugzeuge
mit Unkrautvernichtungsmitteln und benutzt jeden Sommer die Streichholzschachtel
zur beschleunigten Verwandlung von ein paar Wäldern mehr in Bauland.
Die griechischen Schäfer trugen Jahrhunderte lang mit ihren wohlschmeckenden
und reichlich vorhandenen Milcherzeugnissen zur Ernährung der Bevölkerung bei,
besonders mit den verschiedenen Arten von Schafskäse: feta, kefalotyri (vorzüglich
mit einem Glas ouzo), kasseri, geschmacklich an Pyrenäenkäse erinnernd, der
köstliche manouri aus Kreta und, nicht zu vergessen, der echte Joghurt, dessen
Herstellung, wie in Bulgarien, Schafsmilch erfordert.
Ein Ratschlag zum fetaKäse, Bestandteil jedes TomatenGurkensalats, genannt
khoriatiki (Bauernsalat): vergewissern Sie sich bei einem einheimischen Gast
des Lokals, ob der dort servierte feta auch aus der Gegend stammt. Tatsächlich
ersetzen ihn weniger zimperliche Wirte bei Touristengerichten immer häufiger
durch einen anderen, fetaähnlichen Käse, der jedoch einen gipsartigen Geschmack
und die Konsistenz von Modelliermasse aufweist ... Er stammt aus Dänemark, das
sich auf die Nachahmung von Käsesorten aus den EGPartnerländern verlegt hat!