Der lange Weg ins Exil

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Der lange Weg ins Exil

Die Auswanderung - eine Plage, die das griechische Volk seit uralten Zeiten
heimsucht - wirkt als stetiger, unterschwelliger Aderlaß, raubt ihm die lebendigsten
Kräfte, Bauern und Arbeiter, seine geschicktesten Handwerker und fähigsten Künstler.
»Verflucht seist du, Emigration, blutsaugende Schlange, der du unsere jungen
Männer verhext und weglockst und sie uns später gealtert, zahnlos und mit weißem
Haar wieder zurück gibst« lautet der eindringliche Refrain eines Volksliedes
im Epirus, einer jener griechischen Regionen, die vom Übel des xenitemos (dem
Aufbruch in die Fremde, wörtlich: der Verwandlung in xenos, Fremde) mit am stärksten
betroffen ist. Die volkstümliche Dichtkunst trifft den Sachverhalt genau: die
nach Australien ausgewanderten Griechen kehren nur zum Sterben in die Heimat
zurück; Griechen in Amerika dagegen ziehen es vor, ihrem Dorf alle drei bis
vier Jahre in ganzen Gruppen einen Besuch abzustatten. Wieder andere - man denke
nur an die Auswanderer nach Argentinien oder Brasilien - geben es bald ganz
auf, den zurückbleibenden Familien Nachricht zukommen zu lassen: »Xeponessan«
(die ohne Heimweh) nennt sie der namhafte griechische Schriftsteller des ausgehenden
19. Jahrhunderts, Alexandros Papadiamantis, in einer seiner Erzählungen.

Von 1906 bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs strömten über 250.000 Griechen
auf die Transatlantikliner. Reiseziel waren in erster Linie die Vereinigten
Staaten. Nach 1920 üben Australien und Lateinamerika, später auch Westeuropa
- insbesondere Belgien und Frankreich - eine starke Anziehungskraft auf griechische
Auswanderer aus. Bis zum Jahre 1930 kehren über 400.000 Griechen ihrem Heimatort
den Rücken. In den fünfziger Jahren schließlich treten zu wirtschaftlichen Beweggründen
für die Auswanderung politische: vor nacktem Terror, Konzentrationslagern und
Repression suchen 65.000 Kämpfer der Volksarmee in Bulgarien, Rumänien, Ungarn
und Polen Zuflucht. Eine nicht unbedeutende griechische Gemeinde bildet sich
auch im sowjetischen Taschkent.

1960 errreicht eine weitere Auswandererwelle die Bundesrepublik: am Ende arbeiten
in deutschen Fabriken über 400.000 Griechen. Auch Australien erlebt einen neuerlichen
Ansturm griechischer Arbeitskräfte. Dieser Strom kehrt sich erst gegen 1975
wieder um, also nach dem Fall der Obristendiktatur. Zum ersten Mal übersteigt
die Zahl der Heimkehrer jene der Auswanderer. Unter den Griechen schwindet die
Zahl derer zusehens, die auf der Suche nach dem Glück die Weltmeere überqueren.

Auf dem langen Weg ins Exil läßt der Verkehr nach.