Lissabon
Lissabon (Lisboa; Vorwahl: 01)
Europäische Großstadt von unvergleichlichem Charme
Nach Lissabon fahren! In Lissabon sein! Nur zu wenigen Städten fühlt man sich derart hingezogen und erinnert man sich mit ebensolcher Leidenschaft! Jeden Tag dieselbe Stadt, die doch stets wieder ein anderes Gesicht zeigt: das ist es, was ihren Zauber ausmacht und daher nie langweilig wird. Je weiter man sie entdeckt, desto mehr erfindet sie sich ständig neu. Wenn man glaubt, sie endlich gefunden zu haben, entzieht sie sich sofort wieder, gibt man das Spiel auf, um sich auf einer Bank niederzulassen, um sich am liebsten nie wieder fortzubewegen, spielt sie uns ihre letzte Nummer vor - die »Saudade«. Doch am nächsten Tag scheint eine neue Stadt vom Himmel gefallen, die es im frischen Morgengrauen zu entdecken gilt. Lissabon zählt zu den wenigen Hauptstädten Europas, die gleichzeitig richtige Hafenstädte sind. Es handelt sich um eine dem Atlantik zugewandte, fast mittelmeerische Stadt. Für die Vorzüge ihrer mythischen Geburtsstunde sind die privaten Anliegen Odysseus und die eher kaufmännischen Interessen phönizischer Händler verantwortlich zu machen, letztere nannten die Stadt »Alissubo« - die »schöne Reede«. Und das ist sie geblieben - irgendwo zwischen den plebejischen dreißiger Jahren, der Kulisse für die Spionagegeschichten der vierziger Jahre oder der barocken und augenfälligen Postmoderne. Sie ist fotogen bis zum äußersten, sozusagen das »andere« Casablanca, weshalb sie immer wieder die bedeutendsten Regisseure verführt wie Wenders, Tanner, Fuller, Ossang.
Die Stadt genießt eine vorzügliche Lage am Tejo, der sich, bevor er ins Meer mündet, zu einer binnenseeähnlichen Bucht erweitert. Auf sieben wellengleichen Hügeln liegend, lädt Lissabon ein, über Nacht zu verweilen - ach ja, diese warmen und durch die Brise vom Atlantik doch immer so lauen Nächte.
Lissabon kannte nur einen bedeutenden Bauherren: den Marquês de Pombal, der es unternahm, ihre steinerne Hülle nach einem verheerenden Erdbeben und folgender Springflut, die alles niedergewalzt hatten, neu herauszuputzen. Das trug sich an jenem 1. November 1755 zu, und zwar zur Stunde der Messe. In einem leider H.L. Mite vorwegnehmenden Stil entwarf der energische Marquis die ganze von der Katastrophe heimgesuchte Unterstadt (Baixa) nach einem schnörkellosen Grundriß neu.
Hier ein Bericht eines berühmten zeitgenössischen, Königsberger Journalisten, vor allem berühmt durch seine rastlosen, weiten Reisen:
»Der Augenblick, in dem dieser Schlag geschah, scheint am richtigsten auf 9 Uhr 50 Minuten vormittags zu Lissabon bestimmt zu sein.
Die Gewässer, die auf dem festen Lande von aller Gemeinschaft mit dem Meere scheinen abgeschnitten zu sein, die Brunnquellen, die Seen, wurden in vielen weit voneinander entlegenen Ländern zu gleicher Zeit in außerordentliche Regung versetzt. Die meisten Seen in der Schweiz, der See bei Templin in der Mark, einige Seen in Schweden und Norwegen gerieten in eine wallende Bewegung, die weit ungestümer und unordentlicher war als bei einem Sturme, und die Luft war zugleich stille. Der See bei Neuchatel, wenn man sich auf die Nachrichten verlassen darf, verlief sich in verborgene Klüfte, und der bei Meinigen tat dies gleichfalls, kam aber bald wiederum zurück. In eben diesen Minuten blieb das mineralische Wasser zu Töplitz in Böhmen plötzlich aus und kam blutrot wieder. Die Gewalt, womit das Wasser hindurchgetrieben war, hatte seine alten Gänge erweitert, und es bekam dadurch einen stärkeren Zufluß. Die Einwohner dieser Stadt hatten gut te Deum laudamus zu singen, indessen die zu Lissabon ganz andere Töne anstimmten. So sind die Zufälle beschaffen, welche das menschliche Geschlecht betreffen. Die Freude der einen und das Unglück der anderen haben oft eine gemeinschaftliche Ursache. Im Königreich Fez in Afrika spaltete eine unterirdische Gewalt einen Berg und goß blutrote Ströme aus seinem Schlunde. Bei Angoulême in Frankreich hörte man ein unterirdisches Getöse; es öffnete sich eine tiefe Gruft auf der Ebene und hielt unergründliche Wasser in sich. Zu Gémenos in Provence wurde eine Quelle plötzlich schlammicht und ergoß sich darauf rot gefärbt. Die umliegenden Gegenden berichten gleiche Verändrungen an ihren Quellen. Alles dieses geschah in denselben Minuten, da das Erdbeben die Küsten von Portugal verheerte.«
Immanuel Kant, 1756
Glücklicherweise blieben die Hügel drumherum verschont, und das Leben plätschert hier um so angenehmer dahin, nimmt verspielte bis dadaistische Züge an, eine Mischung aus traumhaft realistsischen Bildern, dem Duft von Gewürzen und Zimt und bemoostem Pflaster. Doch diese Viertel verbergen ihren Reiz diskret und geheimnisvoll, was die Entdeckung nur noch pikanter macht. Eiliger Tourist, erwarte nicht, Lissabon auf dem Tablett gereicht zu bekommen: hier heißt es sich mühsam die Hügel zu erobern (irgendwie geht es seltener bergab, komisch!). Für den unermüdlichen Flaneur ist Lissabon eine harte Droge. Er wird bis zum Zusammenbruch unterwegs sein, sich beim Schuhmacher ruinieren, und seine Augen werden doch immer größer als die Schuhsohlen bleiben! Die Nacht, diese fantastische Lissaboner Nacht, wird jeden stundenlang durch verwinkelte Gassen voller Düfte und Farben führen, und von Zeit zu Zeit wird eine Straßenbahn aus dem letzten Jahrhundert - gleich einem buntscheckigen Aquarium - vorbeiklingeln, um den müden Beinen ein wenig Erholung zu gönnen, während unter den nie müde werdenden Augen »die weiße Stadt« weiter vorüberzieht.