Granada, das gefährdete Königreich

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Granada, das gefährdete Königreich

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts ist der westliche Teil des islamischen Reiches auf eine Bastion in den Bergen zusammengeschmolzen, nämlich auf das Königreich Granada, dessen Überleben genauso sehr von seinen natürlichen Verteidigungsanlagen wie von der Schutzherrschaft Kastiliens abhängt, die mit Hilfe von Tributen durchgesetzt wird. An diesem zurückgezogenen Ort erfährt die arabische Kultur eine Zeit der Blüte, die in keinem Verhältnis zu ihrer politischen Bedeutung steht. Durch den Zulauf der maurischen Flüchtlinge erreichen die Huertas einen beispiellosen Wohlstand. Die königliche Staatskasse wird dadurch großzügig unterhalten und dem Hof der Nasriden gelingt es auf diese Weise, seine Paläste zu finanzieren. Man hat fast Angst vor einer Enttäuschung bei einem erstmaligen Besuch der Alhambra. Aber schon auf den ersten Blick stellt das Auge fest, dass dem nicht so ist. Denn überall ist spürbar, dass es sich hier um einen einzigartigen Ort handelt, der sich als Hymne an die Sinnlichkeit entpuppt und nicht als Machtbeweis. Ein Gebäude, das wegen der vielen Kunstgriffe etwas Traumhaftes an sich hat. Denn es wurden, abgesehen von den Säulen und Fliesen aus Marmor, bei den Materialien, die diesem Trugbild Wirklichkeit verleihen, nur die allergewöhnlichsten verwendet: Holz für das Gebälk, Gips für die Stuckarbeiten und gebrannter Ton für die Azulejos. Welches orientalische Genie mag sie wohl verwandelt haben? Nie zuvor hat sich der Blick des Betrachters in einem so kleinen Raum verirrt, ist er an den Vertiefungen des Bogenwerks hängengeblieben, hat er bei den Windungen der Friese die Orientierung verloren und noch nie wurde er so von der ständigen Wiederholung der Motive verzaubert.

Auf die Verwunderung folgt das Vertraute mit einem ganz den Freuden des Lebens gewidmeten Raum, geschlossen bis auf die Fenster, die den Botschaftersaal zum Hügel des Albaicín, dem ältesten Stadtteil Granadas, und zur Unterstadt hin, öffnen. Er ist genau um den zentralen Patio, mit Myrten- und Löwenhof, herum angeordnet, von wo aus die Springbrunnen ihr Licht und ihr Gemurmel in die angrenzenden Säle senden, die ein gedämpftes, wie gefiltert wirkenden Tageslicht durchzieht.

Indessen muß man dem Zauber freien Lauf lassen. Im Löwenhof steht die Zeit still und Bewegung geht nur aus vom Spiel der Sonnenstrahlen zwischen den Säulen und des Wassers im Springbrunnenbecken sowie vom Spiel des inneren Einvernehmens mit dem erstaunlich vertraut wirkenden Ort. Im Hof sind jetzt wieder die Blumenbeete zu bewundern, die lange Zeit Fliesen ersetzten. Denn auch das Pflanzenreich hat Anteil an dieser Harmonie zur Zerstreuung der Sinne.

Neben den Palastgebäuden bilden die Gärten eine weitere architektonische Einheit. Dabei darf man allerdings keine naturbelassenen Elemente in den Parks der Alhambra oder in denen des Generalife erwarten, die sich über den Nachbarhügel erstrekken. Hier ist alles durchdacht, von Menschenhand geschaffen: die stufenförmig am Hang angelegten Terrassen, die Wasserläufe in ihren offenen Leitungen aus gebranntem Ton, genauso wie die Zimmer und die fein gearbeiteten Bögen, die zu geheimen Zusammenkünften geradezu einladen. Diese Gartenanlagen sind wahre Feuerwerke der Fantasie, aber dauerhafter als jene in den Himmel gezeichneten Figuren.

Nach zwei Jahrhunderten friedlichen Zusammenlebens löste die sich über elf Jahre hinziehende Eroberung Granadas durch die Katholischen Könige mehrere Probleme gleichzeitig. So setzten sich die Königshäuser von Kastilien und Aragonien nach Jahrzehnten des Streits wieder für eine gemeinsame Sache ein. Weiterhin ließ sich auf diese Weise ein Ventil für die kriegslustige Stimmung des Adels finden, wobei das Ganze in den Augen des Papstes und der Christenheit wie die legitime Fortsetzung der Kreuzzüge wirkte. Das Unterfangen wurde von den im kleinen maurischen Reich herrschenden Wirren noch begünstigt, da diese einen willkommenen Vorwand zur Intervention lieferten. Dort kämpfte nun jeder gegen jeden: der Vater gegen den Sohn, die verstoßene Ehefrau gegen die neue Favoritin, ein Clan gegen den anderen, wobei die Katholischen Könige die Rechte des jungen Boabdil des letzen arabischen Königs von Granada, unterstützten. Aber da dieser ständig einmal Gesagtes widerruft und nicht zu seinen Versprechen steht, bringt er sich selbst in Gefahr, in diesem Krieg, der von Jahr zu Jahr, ja sogar von einem Feldzug zum anderen immer gnadenloser wird. Es handelt sich darüberhinaus um einen recht modernen Krieg mit Artillerie, neben der Kavallerie der Lehnsherren und den Infanteristen der städtischen Milizen. Die Skulpturen im Chor der Kathedrale von Toledo sind übrigens ein - wenn auch schlichter - Versuch, diesen Krieg in Bildern festzuhalten. Nach und nach werden die einzelnen Orte eingenommen, bis zu jenem berühmten 2. Januar 1492, dem Tag, da Boabdil sich nach Afrika absetzt und die Katholischen Könige feierlich in diese Stadt einziehen, in der sie später auch bestattet werden möchten. Soweit zum Ende des Islams in Spanien.