Der Islam in Spanien

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Es war einmal ... die Reconquista

Der Islam in Spanien

Unmöglich über die USA zu reden, ohne dabei die Eroberung des Westens zu erwähnen, in deren Verlauf die amerikanische Nation entstanden ist. Genausowenig läßt sich Spanien begreifen, ohne die Uhr bis zu jenem Abenteuer zurückzudrehen, bei dem die kleinen christlichen Fürstentümer, in den Bergen des Nordens versteckt, gegen die Mohammedaner vorstürmten, die sich auf der Halbinsel eingenistet hatten.

Aber hier hören die Gemeinsamkeiten schon auf, denn die Moslems in Spanien haben nichts mit den Indianern Nordamerikas zu tun, deren Kultur primitiver war. Die Reconquista war im Grunde genommen sowohl ein Kampf um die Kultur als auch um das Land. Zunächst fasziniert der Islam ein in der Krise steckendes Christentum; erst später steigert sich die Abneigung. Heutzutage sind die Spuren des Islams nach wie vor in vielen Bereichen erkennbar, zwar nicht so stark wie viele auf Exotik versessene Reisende behaupteten, aber immer noch genügend ausgeprägt, um Spanien von seinen europäischen Nachbarn abzuheben.

Die Einnahme der Iberischen Halbinsel durch den Islam ist gleichzeitig der letzte Schritt in der gewaltigen Eroberungswelle, in der die vom Propheten zum Glauben bekehrten Araber bis weit nach Norden vordringen. Eigentlich handelt es sich am 28. April 711 beim Angriff des moslemischen Führers Tariq auf den Felsen, der später seinen Namen erhalten sollte (Gibraltar, von Djebel-al-Tariq), weniger um eine Invasion als um einen Vorstoß zu Erkundungszwecken. Und das westgotische Reich, selbst Erbe der römischen Kriegsführung, unterliegt beim Zusammenstoß mit dem Feind unter anderem auch wegen seiner Uneinigkeit im Inneren. Die Islamisierung Spaniens wurde durch zwei Entwicklungen unterstützt, nämlich durch die Bekehrung der Christen und den enormen Nachschub an Eroberern, von denen im Laufe des 8. Jahrhunderts zwar nicht mehr als zehn- bis zwanzigtausend hinübergekommen sein sollen, die aber in der Folgezeit durch nordafrikanische Berber verstärkt wurden. Von daher sollte man eigentlich besser von einer politischen und kulturellen Eroberung als von einer Invasion sprechen.

Spanien hätte ein weit vom Mittelpunkt des Islams entferntes Grenzgebiet bleiben können, wenn es nicht der einzig Überlebende aus der Dynastie der Omaijaden, den unmittelbaren Nachkommen Mohammeds, als Zufluchtstätte ausgewählt hätte. ´Abd al-Rahman hatte aus Damaskus fliehen müssen. Später, im Jahre 929, nimmt sein Nachfahre ´Abd al-Rahman III. den imposanten Titel eines Kalifen an. In den nächsten zweihundertfünfzig Jahren nimmt Córdoba eine Vormachtsstellung ein und wird Symbol des Goldenen Zeitalters im westlichen Islam. Dadurch werden auch die erstaunlichen Ausmaße seiner Moschee verständlich, die in drei größeren Etappen errichtet wurde, bis sie dann ihre endgültige Statur erlangt hatte, und schließlich mehr als fünfzigtausend Menschen Platz bot. Auf diese Weise machte das Kalifat von Córdoba ganz offen dem von Bagdad die höchste Autorität über den Islam streitig. Denn die Moschee erfüllt verschiedene Funktionen: sie ist nicht nur Forum und Tempel zugleich, sondern auch eine Universität, an der die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Griechen, ins Arabische oder sogar ins Lateinische übersetzt, vor dem Vergessen bewahrt und durch neue Arbeiten ergänzt wurden, die wiederum bis zur Renaissance die Grundlage der westlichen Wissenschaft bilden sollten. Darüberhinaus bot die Moschee als heiliger Ort den Gläubigen und Pilgern eine Art Reinigung, sowohl körperlicher wie auch geistiger Natur. Der Patio mit seinem blumigen Wandbehang, in dem das Wasser der Springbrunnen leise plätschert, ist ein Ort der Läuterung, aber auch einer, an dem der Durst gelöscht wird. Mit erquicktem Körper läßt sich nun der Weg durch das Innere fortsetzen, wo über achthundert Säulen, die sich endlos zu kreuzen scheinen, labyrinthartige Gänge bilden. Diese Anlage ist wie geschaffen für einen Spaziergang, für Begegnungen, aber auch für die Meditation, für Menschenansammlungen und Einsamkeit. Der Hauch des Heiligen läßt sich dort überall verspüren, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Denn das Sakrale ist jenseits, im Mihrab, wo das heilige Buch aufbewahrt wird. Eigentlich besitzt die jetzige Moschee zwei Mihrabs, von denen der neuere, Heiligenschrein im besonderen Sinne, der Welt entrückt zu sein scheint, wobei die verwitterten Gewölbe eine Art Korallenhimmel bilden und von den mit Mosaiken besetzten Wänden ein Licht hervorqillt, das, aus der Nacht geboren, golden schillert. Genau dort fand für die Pilger die Begegnung mit dem Buch aller Bücher statt: sie warfen sich nieder und bewegten sich langsam in knieender Haltung um den winzigen Schrein herum, so lange, dass man im Marmorboden eine kreisförmige Rille zu erkennen glaubt ...

Der politische Einfluß des Kalifats von Córdoba ist heutzutage nur noch schwer vorstellbar. Denn seinem Versailles, zugleich Residenz des Hofes und Verwaltungszentrum, war nur ein äusserst kurzes Dasein beschieden. Im 10. Jahrhundert wurde die königliche Residenz Medina Azzahara zu Füßen der Sierra Morena errichtet und bereits im 11. Jahrhundert beim Zusammenbruch des Kalifats wieder zerstört. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie dann immer wieder geplündert, so dass man heute ihren Säulen im Alcázar von Sevilla und in verschiedenen Patios Córdobas wieder begegnet. Ein Besuch ihrer Ausgrabungsstätte verläuft also möglicherweise enttäuschend für den ein oder anderen, mangels archäologischer Kenntnisse oder aber auch mangels Fantasie. Unter einer unerbittlichen Sonne verlieren sich die Schritte der Besucher in den mit Überresten jener Zeit übersäten Labyrinthen. Die Rekonstruktion des Empfangszimmers für die Botschafter wird unter Umständen den die Gewißheit liebenden Touristen beruhigen, obwohl das Ganze wie ein Puzzle wirkt, zumal es auch viele neue Materialien enthält, die eine greifbare Vergangenheit vorgaukeln sollen. Also lieber vom Kalifenpalast träumen, statt seinen Spuren nachzugehen!

Aber die Einheit des Islams im Westen war eine heikle Angelegenheit, vor allem als der Kalif begann, sich den Freuden des Palastlebens hinzugeben und sich von Stadt und Volk zurückzog. Eine letzte Glanzzeit fällt unter die Amtszeit des berühmten al-Mansur, der die Funktion eines Schloßverwalters innehatte und der zahlreiche Ritte Eroberungsritte über die ganze Halbinsel unternahm. Nach seinem Tod im Jahre 1002 beginnt diese Einheit durch das Aufeinanderprallen rivalisierender Interessen auseinanderzubröckeln. Diese Balkanisierung teilt Spanien in eine Unmenge unabhängiger Fürstentümer, sogenannter Taifas, zu denen z.B. die von Sevilla, Toledo, Saragossa und Valencia gehören. Zweimal dringen von einigen dieser Duodezfürsten zu Hilfe gerufene Südmarokkaner ins Land ein und setzen die Einheit Andalusiens mit eiserner Faust durch. Ende des 11. Jahrhunderts gelangen die Almoraviden nach Spanien, gefolgt von den Almohaden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Damit ist es um die kulturelle Ökumene des Omaijadenkalifats geschehen, das unter seinem Schutzschild das Zusammenleben der Anhänger verschiedener Glaubensrichtungen gewährleistet hatte: so hatten neben den Mohammedanern Juden und mozarabische Christen ungestört ihren Glauben praktizieren können. Letztere zogen, hervorgerufen durch die Intoleranz der Almoraviden und Almohaden, in Richtung Norden ins Exil, wo einige rührend anzusehende Kirchen die Erinnerung an sie wachhalten, so z.B. in San Miguel de Escalada bei León. Auch zahlreiche Juden zogen der Herrschaft der Araber die der Christen vor, wodurch Judenviertel, Judería genannt, in Toledo und anderswo ständig anwuchsen. Der Islam indessen meint, den Verlust an gewinnbringender Vielfalt durch Strenge ersetzen zu müssen.