Vade-mecum

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Ein Puzzle

Die Engländer erfanden London, die Londoner wiederum erfanden das Puzzle. Im
Jahre 1760 kam der Graveur und Landkartenspezialist John Spilsbury auf den Gedanken,
seinen Kunden »zusammensetzbare Karten« anzubieten: er druckte sie auf eine
Holzplatte und zersägte diese in unregelmäßige Teile, um Kinder auf spielerische
Weise mit der Geographie vertraut zu machen. Damals nahm die britische Vorliebe
für hölzerne Puzzles ihren Anfang.

Die Stadt London selbst fügt sich puzzleartig aus einzelnen Dörfern zusammen.
Im Unterschied zu anderen europäischen Metropolen fehlt ihr ein Mittelpunkt.
London besteht aus einer Finanzstadt - der City of London - und der politischen
Hauptstadt - der City of Westminster. Die rundherum angeordneten Wohngebiete
haben nicht nur ihren Klassencharakter bewahrt, wie anderswo auch. Vielmehr
spiegeln sich die einstigen Stände und Trennungen nach Berufen in den Stadtvierteln
wider, die teils von Juristen, teils von Geschäftsleuten, Finanziers, Politikern
und Theatervolk geprägt sind.

Der vorliegende Band enthält insgesamt neun Teile des großen Londoner Puzzles.
Wie sie sich ineinanderfügen, ist aus dem Stadtplan ersichtlich. Auch ein ausgedehnter
Aufenthalt dürfte kaum genügen, um das Gemälde von Großlondon zu vervollständigen,
das immerhin fast die doppelte Fläche von Berlin einnimmt und über sieben Millionen
Einwohner zählt.

Vade-mecum

Wer sich in dieser Weite nicht verlieren möchte, sollte mindestens drei Ratgeber
stets zur Hand haben: das Straßenverzeichnis, London von A bis Z, um die rund
einundzwanzig verschiedenen Gloucester-Straßen in London auseinanderzuhalten
und zudem die Unterschiede zwischen Gloucester Road, Gloucester Gardens, Gloucester
Mews, Gloucester Square, Gloucester Terrace und Gloucester Street zu lernen,
die bisweilen kilometerweit auseinanderliegen. Zweitens empfiehlt sich der Kauf
der neuesten Ausgaben von Time Out oder City Limits, die ebenso ausführlich
wie unterhaltsam sind. Das reiche Kulturangebot führt einen vom klassischen
Theater zum experimentellen Schauspiel, von Gedichtlesungen zu karibischen Trommlern,
von musikalischen Komödien zu Schwulen-Veranstaltungen.

In Time Out findet sich auch ein Verzeichnis der Pubs, in denen regelmäßig
Rock- und Jazzgruppen auftreten, eine Liste der Nachtbars sowie die Termine
von religiösen und politischen Vorträgen und Zusammenkünften, Sportveranstaltungen
und traditionellen Darbietungen. Schließlich funktioniert das »Sesam- öffne-dich«-Spiel
in London nicht ohne ausführliche Fahrpläne für U-Bahn (underground, tube) und
Bus, denn ein Hochsitz auf dem Doppeldecker ist und bleibt die lohnendste Art,
sich in der Stadt umzusehen oder die Dörfer anzufahren und einen Überblick der
Sonderbarkeiten im Londoner Alltag zu gewinnen.

Die U-Bahn taucht uns sofort, wenn nicht gar unwiederbringlich, in das »wahre«
London. Anders als die nach sozialen Schichten getrennten Wohnviertel faßt ein
U-Bahn-Wagen einen Querschnitt der verschiedenen Bevölkerungsgruppen: von kerzengeraden
Geschäftsleuten in tadellos sitzenden, dreiteiligen Anzügen, vertieft in die
Lektüre der Financial Times, bis hin zu den Londoner Armen, die bisweilen nicht
einmal ordentliches Schuhwerk besitzen. Hier hört man die Sprachen aus dem gesamten
Commonwealth, aber auch die größte Vielfalt englischer Mundarten, des accents,
wovon ein jeder dem geübten Ohr Herkunft, Landsmannschaft, Klassenzugehörigkeit,
Ausbildung und derzeitige Situation seines Besitzers verrät. Zum großen Leidwesen
all jener, die perfekt Englisch lernen möchten, existiert eben gerade keine
Standardaussprache. Der berühmte BBC-Akzent wird vor allem bei BBC (British
Broadcasting Station) selbst gepflegt, und hier auch nur von den Nachrichtensprechern.