Religion
Konfessionelles
Charakter und Geld
Da Religion Wesentliches über den Charakter einer Gesellschaft verrät und die Religionskriege eine bedeutende Rolle in der Geschichte des Landes spielen, hier eine kurze Darstellung, wie Religionen entstehen, immer mit Blick auf die europäische Geschichte allgemein, denn es ist doch seltsam, dass die meisten Gläubigen auf die Frage, warum sie eine bestimmte Religion haben, höchstens antworten können, dass sie eben so getauft seien, die meisten Leute in der Region oder im Ort dieser anhängen usw. Ja, die meisten wissen noch nicht einmal, was sie glauben, genauer gesagt zu glauben hätten bzw. was genau denn den Katholizismus vom Protestantismus unterscheidet.
Frage an eine Verwandte, Protestantin, gelegentliche Kirchgängerin, sozial engagiert, rührig im kulturellen Leben in ihrer Stadt, Kurse an der Bibliothek, der VHS usw., also keineswegs auf den Kopf gefallen:
"Gibt es eigentlich Heilige bei den Evangelischen?
Nein, das sei etwas Katholisches; bei den Protestanten gebe es das nicht.
Irrtum: "Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, ..."
Das sagt sie in ihrer Kirche, und weiß es nicht. Bei den Katholiken hätte sie sich gleich automatisch exkommuniziert - ohne es zu wissen - denn das Glaubensbekenntnis ist der Kern. Wer´s nicht glaubt, ohne wenn und aber, ist draußen. Man befrage mal selbst einen Protestanten, mache die Probe aufs Exempel.
Ausgangspunkt für die protestantische Lehre war das städtische Bürgertum in Nordwesteuropa.
Wie in den USA oder in Großbritannien, dominieren in Holland protestantische Gemeinden, als wichtigste die kalvinistische Nederlands Hervormde Kerk mit 21 % und die verwandte mit 7% der Gläubigen, ferner natürlich die Katholische Kirche mit erstaunlichen 36 %.
Wie die Briten hingen die Niederländer als handeltreibendes Seefahrervölkchen der neuen Lehre des Protestantismus an. Ähnlich in anderen "deutschen" Gebieten, denn noch waren Deutsche, Niederländer und auch die Schweizer im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation vereint. Bürgerkriege zwischen Katholiken und Protestanten beherrschten die erste Hälfte des 17. Jhs z.B. in Großbritannien unter Cromwell und in Deutschland während des Dreißigjährigen Krieges. Die Niederlande befreiten sich in einem achtzigjährigen Krieg, wie im Kapitel zur Geschichte ausgeführt. In Frankreich gab es die Bartholomäusnacht mit der Hugenottenverfolgung und als letzte Nachwirkungen in Europa den Krieg in Irland, einer Nahtstelle nicht nur zwischen zwei Religionen, sondern auch eine zwischen zwei Wirtschaftssystemen und zwei Charaktertypen.
Meist erscheinen diese Auseinandersetzungen, die zur gleichen Zeit fast überall in Europa tobten, vordergründig als Religionskriege. In Wirklichkeit handelt es sich aber um soziale Kämpfe, hier den des untergehenden Feudalismus und seiner mit ihm verbundenen Kräfte gegen das erstarkende Bürgertum und den Kapitalismus. Dieser Kampf äußerte sich auf der ideologischen Seite durch den Kampf des Protestantismus gegen den Katholizismus.
Der Katholizismus bildete den Überbau einer festen, starren Ständegesellschaft mit König und Papst als weltlichem bzw. geistlichem Oberhaupt an der Spitze, dem spätestens seit Einführung von Schießpulver und Landsknechtheeren funktionslosen, aber durch Geburt bevorrechtigten Adel sowie dem Klerus in der Mitte und der großen Masse der Bauern, die alle ernährten.
Während einst der Mittelmeerraum kulturell und wirtschaftlich am hochstehendsten war, verliefen die Handelsströme im Mittelalter immer mehr in Nord-Süd-Richtung, z.B. den Rhein oder die Salzstraße hinauf, als in Ost-West-Richtung, was zur Ausbildung eines selbstbewussten städtischen Bürgertums in Nord- und Westeuropa führte. Schon ab dem 11. Jh. berichten die Chroniken in Flandern von Kämpfen der Bürger in den Städten gegen den Adel.
Warum der Richtungswechsel?
Nun, auf der östlichen Seite rückten während langer Zeit die Türken unaufhaltsam vor und hielten das Mittelmeer unter ihrer Knute – 1453 fiel Byzanz / Istanbul in ihre Hand, 1529 erfolgte die erste Belagerung von Wien, 1683 die zweite mit der Schlacht vom Kahlenberg, 1571 die Vernichtung der türkischen Flotte bei Lepanto, aber erst 1830 die Befreiung Griechenlands.
Auf der westlichen Seite saßen die Araber von 711 n.Chr. bis 1492 n.Chr., Jahr der (Wieder-)Entdeckung Amerikas und damit Ende des Mittelalters und Beginn der Neuzeit, in Spanien.
Im Jahre 732 n.Chr. hatte Karl Martell ihrem Vordringen bei Poitiers ein Ende gesetzt. Sie machten derart weite Teile des Mittelmeeres für christliche Seefahrer unpassierbar und hielten das Mittelmeer bei Gibraltar bis zum Fall Granadas, der mit der Entdeckung Amerikas 1492 zusammenfiel und das Ende des Mittelalters markiert, versperrt. Der christliche Mittelmeerraum stagnierte, ja verfiel.
Diese Verhältnisse erklären z.B. den Niedergang der oberitalienischen Stadtstaaten wie Venedig.
Auf der anderen Seite entwickelte sich nun der dynamische, rationalistische und zumindest argumentationswillige Protestantismus, der als typische Ideologie des Bürgertums verkündete, dass Arbeit und Fleiß ebenso adelten wie die Geburt und so dessen Ansprüche auf Machtbeteiligung stützte. Das war politischer Sprengstoff. Dass gerade ein Luther seine Thesen an die Kirchtüre schlug, ist völlig nebensächlich. Er nahm nur auf, was ohnehin schon in der Luft lag.
Arbeit adelt
Nach protestantischer Lehre waren die Reichtümer, welche die Bürger und Kaufleute anhäufen konnten, Beweis für gottgefälliges Verhalten. Arbeit war Gottesdienst und finanzieller Erfolg ein Zeichen Gottes Gnade, eine wunderbare Ideologie, um hart und heldenhaft »Gottes Ehre« zu verteidigen und nebenher noch neue Kolonien und Absatzmärkte zu erobern.
Diese Lehre stellte natürlich einen Angriff auf alle dar, die ohnehin nichts besaßen, die Masse der Bauern, Handwerker sowie der Arbeiter in den sich entwickelnden Manufakturen also, ferner auch auf den parasitären Adel, der zunehmend verarmte, da er weder arbeiten durfte und deshalb über keine eigenen Geldeinnahmen verfügte, noch die Bauern mangels Fortschritts in der Landwirtschaft härter ausquetschen konnte.
Ferner stellte das einen Angriff auf den unproduktiven Klerus dar, insbesondere auf die vielen Klöster, der den Zehnten aus den Bauern presste und dem die Bauern fortwährend Frondienste zu leisten gezwungen waren. Zwar konnten Adel und Klerus dem Bauern von drei Stück Vieh zwei wegnehmen, aber bei Strafe der Zerstörung ihrer eigenen wirtschaftlichen Grundlage nicht das letzte.
Der Adel wurde mit der Zeit immer abhängiger von Pfründen, Ämtern oder unmittelbaren Geldzuwendungen der Monarchen und konnte seinen aufwendigen Lebenswandel, zu dem er aus Gründen der Repräsentation gezwungen war, großenteils nur noch so finanzieren, wollte er standesgemäß leben. Das bedeutete Wohlverhalten gegenüber dem geldspendenden König. Die Aufnahme irgendwelcher kaufmännischen Tätigkeiten z.B. hätte den sofortigen Verlust seiner Adelsprivilegien bedeutet.
Der Sonnenkönig Ludwig XIV. war beispielsweise entgegen landläufiger Meinung kein starker Monarch. Hätte er nicht mit größtem Geschick die Interessen von Bürgertum und Adel / Klerus immer wieder ausgleichen können, so wären seine Tage gezählt gewesen. Der Absolutismus markiert die größte Schwäche des Feudalismus.
Während Westeuropa allgemein absolutistischen Verhältnissen zustrebte, hatte sich bereits in den Niederlanden eine freiheitsbewusste bürgerliche Gesellschaft etabliert.
Verträgliche Griesgrame?
"In Holland ist jeder zunächst ein Protestant in einer kahlgeschlagenen und weißgetünchten Kirche, und dann erst Protestant, Katholik, Atheist, Sozialdemokrat, Liberaler oder – zu früheren Zeiten – Kommunist. Der positive Aspekt dieser geistigen Einstellung ist die Unempfindlichkeit für Fanatismus. Calvin selbst war natürlich auch ein Fanatiker, aber der Zerfall der Reformation in zahllose Richtungen führte in Holland letztlich zu dem Status quo der Verträglichkeit, wodurch jemand wie Descartes ungestört in Amsterdam an seiner Philosophie arbeiten konnte, die auf der Sicherheit des Zweifels beruhte. Der negative Aspekt ist Griesgrämigkeit und die dürftige Idealisierung der Einfachheit. Goethe ist in Holland ebenso undenkbar wie Hitler."
Harry Mulisch
Pharisäer
Bürgerliche Wervorstellungen bestimmten das Wirtschafts- und Sozialleben der Niederlande ebenso wie religiöse und moralische Prinzipien. Die kalvinistischen Vorstellungen von einem nüchternen, ehrlichen und aufrichtigen Leben ohne Verschwendungssucht, der Einklang von staatlichen und gesellschaftlichen Grundsätzen, entsprachen am ehesten den Erfordernissen einer auf Handelsbeziehungen gründenden Gesellschaft, die weitgehend von der persönlichen Zuverlässigkeit ihrer Mitglieder abhängig war. Ähnlich wie im Börsengeschäft, wo ja auch nur rasche mündliche Absprachen getätigt werden und wo jeder Händler »tot« ist, wenn er sich nicht an Abgemachtes hält, musste auch das Wort eines Kaufmannes gelten.
Prinzipientreue, aber auch weitgehende Toleranz gegenüber Andersdenkenden kennzeichnen die Holländer, die ja während ihres achtzigjährigen Befreiungskampfes (s. Geschichte) und auch bei späteren Versuchen, ihnen die Freiheit zu nehmen, gelernt hatten, was Intoleranz anrichten kann. Dies ist allerdings zu relativieren, denn die noch bis heute existierenden geheimen katholischen »Unterschlupfkirchen« zeugen eher vom Gegenteil sowie Pharisäertum. Gruppen, die vermeintlich die eigene Freiheit bedrohten, mußten verschwinden. Der Kaufmann braucht stets gesicherte, kalkulierbare Verhältnisse, einen festen Rahmen für seine Tätigkeit, seine Investitionen.
Solange seine Geschäftsinteressen nicht berührt werden, fährt er am besten mit dem Wahlspruch »Leben und Leben lassen«.
Weltoffen oder provinziell?
Etwas anderer Meinung über seine Landsleute ist der Schriftsteller Willem Frederik Hermans, 1995 verstorben. Er bekam holländische Intoleranz zu spüren, die ihn schließlich ins Exil nach Paris trieb. Von dort aus ritt er polemische Attacken gegen die »Taubheit der Holländer« und das »lähmende kulturelle Klima« in seinem Vaterland. Im Leben des ehemaligen Geographieprofessors spiegelten sich die Hoffnungen und Zusammenbrüche der letzten fünfzig Jahre. In seinem Werk rechnete er mit dem provinziellen, prosaischen, praktischen Holland ab. Noch 1994 schrieb der Nörgler von Format: »Kein anderes Land hasst seine Autoren so sehr wie die Niederlande, die Abneigung gegen das Künstlerische ist etwas Ur-Niederländisches.
Wilhelm wurde 1921 in Amsterdam als Sohn eines Lehrers geboren. Gemeinsam mit Harry Mulisch und Hugo Claus, dem wortgewaltigen Erzähler aus Flandern, ist er einer der bedeutendsten Vertreter der niederländischen Gegenwartsliteratur. Kennzeichen dieser »großen Drei«, wie sie genannt werden, ist ein sehr vielseitiges Oeuvre: Dramen, Gedichte, philosophische und historische Essays und vor allem auch Romane. Hermans bekannteste Werke sind »Die Dunkelkammer von Damokles«, in der er beschreibt, was vom Menschen übrig bleibt, wenn der Firnis der Zivilisation zerbröselt, oder der berühmte Roman »Tränen der Akazien«, in dem der Exotiker des Alltäglichen Abschied vom Heldentum der Holländer während der Besatzungszeit nimmt. Weitere bekannte Werke: »Das Sadistische Universum«, Nie mehr schlafen«, »Au-Pair« und »Malle Hugo«.
Herman geriet in seiner Heimat in Bedrängnis, nachdem er, als Doktor der Naturkunde an der Universität von Groningen, mit dem Lehrkörper und den Studenten in Konflikt kam. Unter Druck gab er 1973 seine wissenschaftliche Laufbahn auf, zog nach Paris und rächte sich an der Universität mit seinem bitter-galligen Buch »Unter Professoren«. Hermans, der Groningen nie mehr besuchte, weigerte sich auch, literarische Preise anzunehmen, weil ihm die damit verbundenen Geldprämien ungenügend dünkten.
Amsterdam erklärte Hermans 1987 zur persona non grata, weil er es gewagt hatte, in Südafrika aufzutreten. 1993 wurde der Schriftsteller, der mittlerweile in Brüssel lebte, dennoch offiziell nach Amsterdam eingeladen. Hermans machte sein Kommen aber von der Bedingung abhängig, dass die Stadtväter sich bei ihm für den Bannstrahl, mit dem sie ihn sechs Jahre zuvor belegt hatten, entschuldigten. Tatsächlich bewegte er den Stadtrat zu einem Entschuldigungsbrief, den er genüßlich kommentierte, ehe er als gefeierter Held in seine Geburtsstadt kam.
Sein Leben stand unter dem Motto: »Je größer das Chaos, desto mehr erfahren wir über den Menschen und das, was für ihn am wichtigsten ist. Am 27. April starb Hermans im Akademischen Krankenhaus in Utrecht.
Die Entdeckung Amerikas verlagerte das wirtschaftliche Gewicht noch weiter von Süd- nach Nordeuropa und da besonders nach Westen, also den Amerika nächstgelegenen Häfen, bewirkte also auch eine Stärkung der Niederlande. Im Jahre 1614 gründen niederländische Auswanderer, darunter Peter Stuyvesant, Neu-Amsterdam, das heutige New York.
Bürgertum und Protestantismus
Es verwundert also nicht, dass der Protestantismus zunächst alle wirtschaftlich entwickelten Gebiete Europas erfasste. Träger der neuen Lehre ist das Bürgertum. Ferner sind alle entwickelten ehemaligen Kolonien wie Nordamerika, Australien, Neuseeland usw. immer protestantisch. Beispiel: weite Gebiete Mitteldeutschlands und Flanderns mit frühem Bergbau bzw. Woll- und Tuchindustrie, Manufakturen und Häfen, die Hansestädte, Lyon mit der Seidenweberei sowie andere Handelsstädte Frankreichs, La Rochelle und Liverpool als wichtige Häfen für den Verkehr nach Westen, nach Nordamerika, und schließlich ganz Großbritannien als Land, das vom Handel und der Schiffahrt sowie der Ausfuhr seiner Tuche lebte. Dito die Niederlande, das mit England konkurrierte. Das katholische Knochengeklappere, die Reliquien, der ganze offensichtliche faule Zauber musste weg, Ration, Berechenbarkeit, Planung, aber auch eine Stärkung der Autorität hielten Einzug.
Flandrische Weber und Hugenotten zogen u.a. nach Berlin und Schlesien, nach London und Nordengland und bauten dort die Tuchindustrie auf. Alle nicht durch Merkantilismus oder Kapitalismus entwickelteren Kolonialmächte wie Spanien oder Portugal verhielten sich wie mittelalterliche Raubritter oder Feudalherren, die entweder ihre Schatztruhen füllten – ein gängiges mittelalterliches Motiv – ihr Vermögen mittels Feuerwerken in die Luft bliesen oder durch Samt und Seide, Pferde und Karossen, Geschmeide, Mätressen und unnützen Prunk verprassten. Diese »katholischen« Regionen zählen trotz ihrer Reichtümer an Bodenschätzen und anderen Rohstoffen heute noch zu den Armenhäusern der Welt, und auch Irland, Portugal und Spanien selbst gelingt heute erst mittels kräftiger EU-Hilfen der Anschluss an entwickeltere EU-Länder. Dass die merkantilistisch geprägten Norditaliener oder die Katalanen sich häufig den West- und Nordeuropäern näher fühlen, als ihren Landsleuten auf Sizilien bzw. in Andalusien, ja sogar separatistische Tendenzen existieren, verwundert daher nicht. Kulturell mögen sie sich nahestehen, von der Mentalität her tun sie´ s nicht.
Vom Goldenen Turm ab in die Fuggerschatulle!
Es bleibt allerdings noch anzumerken, dass ein guter Teil des ungeheuren, aus Amerika rührenden Reichtums gleich vom Torre d´Oro in Sevilla in die Tresore der Fugger verschwand, an die der Habsburger und spanische König Karl V. seine Einnahmen zur Finanzierung seiner Kriege, gerade auch der in den Niederlanden, verpfändet hatte. Dennoch: es wäre genügend zur Entwicklung des Landes übrig gewesen. Eines taten die Spanier z.B. also auf keinen Fall: Investieren und ihr Land entwickeln, genau das, wozu das Fuggersche Geld in Deutschland u.a. Regionen oder der im Handel erworbene Überschuß in Großbritannien oder Holland diente.
An manchen niederländischen Orten erhielt sich eine streng kalvinistische Gesellschaft von äußerst starkem Zusammenhalt. Der Einzelne konnte stets in Notlagen auf die Gemeinschaft zählen, war aber auch immer der Kontrolle und Strafe bei abweichendem Verhalten von der Norm ausgesetzt. Bekannt sind die Dörfer Staphorst und Rouveen bei Meppel mit ihren fundamentalistisch-christlichen Regeln, die auf der Auslegung der ersten niederländischen Bibelübersetzung aus dem 16. Jh. beruht. Die Bewohner tragen bis heute ihre Tracht, wollen aber nicht abgelichtet werden, da man von Gottes Ebenbild kein Bildnis machen dürfe. Da Arzneien und Gesundheitsfürsorge Eingriffe in Gottes Wirken darstellen, wurden bei einer Kinderlähmungsepidemie die Kinder der Gemeinden gleich reihenweise Opfer der religiösen Überzeugung ihrer Eltern.
Jahwe mag keine behosten Meisjes
Eine streng reformierte Schule, das Kolleg Plancius in Den Haag, hat eine sechzehnjährige Schülerin vom Unterricht ausgeschlossen, weil sie mit einer Hose zum Unterricht erschien. Grund: wegen einer Allergie durch ihre Strumpfhose (diese und Rock sind vorgeschrieben) leidet sie an einem Hautausschlag. Der kalvinistischen Schulleitung war dies kein Grund für eine Ausnahme. Die streng Reformierten berufen sich bei ihren Kleidungsvorschriften auf das Alte Testament, wo Jahwe den Juden vorschreibt, dass Männer und Frauen sich unterschiedlich zu kleiden hätten. Dieser Unterschied habe sich an Hosen als Kleidung für Männer und Röcken für Frauen zu zeigen. Sobald die Schülerin mit einem Rock gewandet erscheine, werde sie aber jederzeit wieder aufgenommen, versprach Schulleiter Moehlmann.
Etwa ein Drittel der niederländischen Bevölkerung ist übrigens konfessionslos. Viele Kirchen stehen mangels Besuchern leer, wurden in Teppichlager, Turnsäle oder Tanzböden verwandelt oder abgebrochen, so dass sich an ihrer Stelle heute Supermärkte erheben. Die Jesuitenkirche De Zaaier verwandelte sich in diesem einst von Religionskriegen zerrissenen Land ausgerechnet in die Moschee El Fatah, die Vondelkerk wurde für nur einen Gulden veräußert – ihr Besitzer verscherbelte gefragte Einzelteile in die USA – und die Mozes en Aaronkerk wurde für Ausstellungen, politische Veranstaltungen und Konzerte umgerüstet.