Berufe

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Berufe

Aufmerksame Besucher der City begegnen überall den Spuren der wichtigsten Handwerke
und Berufe, die bei der Gründung der verschiedenen Viertel Pate gestanden haben.
Im Westen finden wir die Rechtsanwälte und Magistrate des Gerichtshofs. Im Osten
ist der Sitz der Finanzzentren, rund um den U-Bahnhof mit dem sinnigen Namen
»Bank«. Die große Märkte befinden sich im Norden und Nordosten, Smithfields
für Fleisch und das entlegenere Spitalfields für Obst und Gemüse. Ihre Tage
sind allerdings wegen der irrsinnig hohen Immobilienpreise gezählt, und sie
werden nach jahrhundertelanger Existenz Bürobauten weichen müssen. Fleet Street
im Zentrum galt über hundert Jahre lang als Hochburg der englischen Presse,
die seither aus praktischen Gründen ins Dockland verlegt wurde. Wenn die übrige
City gegen 17 Uhr ruhig wurde, ging der Betrieb in der Fleet Street erst richtig
los und entfaltete eine fieberhafte Aktivität bis spät in die Nacht hinein,
im Lärm der Rotationsmaschinen, der Lieferfahrzeuge und des Geschreis und Gelächters
der Beschäftigten.

Die alten Berufe der City überleben sich selbst in den Straßennamen, vor allem
um Cheapside herum: Honey Lane, Ironmonger Lane, Milk Street, Bread Street,
Wood Street. Doch waren die Talente hier nicht nur aufs Honigverkaufen und auf
den Einzelhandel mit Eisenwaren, Milch, Brot oder Holz beschränkt. Immerhin
kamen der Dichter John Milton und der Humanist Thomas Moore in Cheapside zur
Welt. Im nördlichsten Zipfel des Viertels, unmittelbar in der Nähe zum London
Museum, haben die Königliche Shakespeare-Company und das Londoner Symphonieorchester
ihren Sitz in dem potthäßlichen, aber modernen Barbican Centre.

Man sollte viel Muße haben beim Rundgang durch die City, am besten wochentags
zur Hauptgeschäftszeit. Dann ist alles in Bewegung, auf der Straße, aber auch
in der Luft, wo unermüdlich Kräne kreisen, denn die City weist heute noch mehr
Baustellen auf als nach dem Zweiten Weltkrieg. Unten herrscht ein emsiges Treiben,
das in den berühmten Gerichtsbezirk (Lincoln´s Inn, Gray´s Inn, Temple) schweigsam
und streng wirkt, rund um Bank ernsthaft und leistungsfähig, am Sitz der renommierten
Versicherungsgesellschaft Lloyd´s jedoch geradezu frenetisch, wenn man den mit
riesigen Aktenpaketen umhereilenden Angestellten zuschaut.

Mittags trifft sich alles wieder in den jeweiligen Pubs der verschiedenen Zünfte:
die Juristen rund um den Templebezirk, die Banker um die Bank von England, die
Journalisten und Redakteure in der Fleet Street. Um richtig an dieser angeregten
Stimmung teilzuhaben, sollten Sie im »Simpson´s« in der Canning Street mit den
Börsenmaklern zu Mittag essen oder wahlweise ins »Olde Watling« (29, Watling
Street) oder ins »Magpie and Stump« (18, Old Bailey) zu den Rechtsanwälten und
Richtern reinschauen, ins »Cheshire Cheese« im »Wine Office Court« zu den Zeitungsmachern,
ins »Black Friar« oder »George and Vulture« zu den Geschäftsleuten.

Die City hat seit jeher als außerordentlich wohlhabend gegolten. Die »Livery
Companies« (Zünfte) zeugen vom Reichtum vergangener Zeiten. Von ihren »halls«
(Versammlungshäusern) und Wappen wimmelt es hier nur so.

Einst gab es zweiundneunzig Zunfthäuser in der City. Nur dreiundzwanzig davon
überstanden das Große Feuer und dann den »Blitz«. Der frühere Einfluß der Gilden
hat heute nur noch symbolische Bedeutung. Die meisten »halls« dienen als Clubhäuser
für Wohltätigkeitsverbände. Ein Spaziergang durch die Straßen, vor allem durch
die Lombard Street, führt an den Häusern der Kurzwaren- und Kolonialwarenhändler,
Tuchmacher, Fischverkäufer, Goldschmiede, Herrenausstatter, Weinhändler und
neuerdings auch der Buchhalter vorbei. Im 19. Jahrhundert verdrängten die Finanzmärkte
den Großhandel und entwickelten sich ruck- und stoßweise in einem holperigen
Takt, dessen jüngstes und aufsehenerregendstes Phänomen der »Big Bang« war.