Deutschenbild
Schwieriger, zwiespältiger Umgang
Seltsames Verhältnis zwischen Frost und wirtschaftlicher Notwendigkeit
»Wie öffnet ein Deutscher eine Auster? Antwort: »Er donnert dreimal kräftig gegen das Gehäuse und brüllt: Aufmachen!«
Neben allen positiven Eindrücken, die der Reisende von den Niederlanden mitnehmen wird, neben zahlreichen sympathischen Begegnungen, die wir allen auch wünschen, könnte es vorkommen, dass man auch unliebsame Erfahrungen macht und Ressentiments spürt.
Die Deutsche Presseagentur meldete im September 1993, dass nach einer Untersuchung des Clingendael Instituts für internationale Beziehungen in Den Haag jeder zweite Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren das Nachbarvolk mit Abstand am unsympathischsten finde und für »kriegslüstern« halte.
»Die Abkehr von den Deutschen ist unsere nationale Spielart des Fremdenhasses«, stellt der niederländische Botschafter in Bonn, Pieter van Walsum, fest. Ihre Attraktivität bestehe darin, dass »diese Variante erlaubt ist«. Nach seinen Erfahrungen zählen kritische Äußerungen über Deutsche vielfach zum Umgangston. Ähnlich äußerst sich der Historiker van der Dunk im »Spiegel«: »Für die Niederländer ist die Abneigung gegen die Deutschen eine Art – ihre Art – des Antisemitismus.«
So fällt es nicht weiter auf, wenn der bekannte Kolumnist Rob Hoogland schreibt: »Ich hatte einmal einen Deutschlehrer, dessen größter Fehler es nach eigenem Bekunden war, den Beruf des Deutschlehrers ergriffen zu haben. Nichts war deutsch an ihm. Herr van Bemmelen war ein netter, lockerer Mensch.« Das passt in etwa zu einem Wort der niederländischen Schriftstellerin Renate Rubinstein: »Ich kann die Deutschen nicht ausstehen, bis auf die, die ich kenne.
Die einzigen Nichtrassisten Europas, Deutsche ausgenommen
Niederländer, die in Deutschland wohnen und darum bei Heimatbesuchen ein Auto mit deutschem Kennzeichen fahren, klagen über grobe Beschimpfungen, obszöne Gebärden und Schimpftiraden. »Ganz zu schweigen von den Bemerkungen, mit denen suggeriert wird, dass es doch eigentlich faschistisch sei, in einem Land wie Deutschland zu wohnen«, berichtet eine gebürtige Amsterdamerin, die in Berlin wohnt. Spätestens seit dem für die Holländer verlorenen WM-Finale von 1974 ist Deutschland auf den Sportseiten der »Erzgegner«. Und das nicht nur im Fußball. So meldete ein Sportmoderator des Fernsehens vor einiger Zeit: »Zwischendurch mal eine gute Nachricht: Das deutsche Daviscup-Team ist rausgeflogen«. Von der berüchtigten Spuckerei Frank Rijkaards gegen Rudi Völler soll hier nicht lang die Rede sein.
Über die Ursachen der antideutschen Ressentiments mag man rätseln, erhellend ist sicherlich die nachfolgende Geschichte des Schimpfwortes »Moffen« für die Nachbarn im Osten. Tatsache ist, dass selbst an weiterführenden Schulen meist nur die Nazivergangenheit behandelt wird, nicht aber die Geschichte der demokratischen Bundesrepublik. Eine Umfrage der Universität Nimwegen ergab, dass die Hälfte der unter dreißigjährigen Holländer noch nie Kontakt zu einem Deutschen gehabt hatte. Woher soll das rühren, wenn doch nicht von der vorgehenden Generation? Doch gerade diese Altersgruppe äußert sich abwertend über den Nachbarn. In den Holland gibt es mehr Chinesisch- als Deutschstudenten. Nur rund 190 Studenten studieren Deutsch, aber immerhin knapp zweitausend deutsche Niederländisch.
Der Schriftsteller Harry Mulisch meint denn auch: »Holland und Deutschland liegen zwar ganz nah zusammen, aber sie stehen Rücken an Rücken zueinander«.
Freischwebendes Deutschlandbild
Zu berücksichtigen gilt es bei der Clingendael-Untersuchung aber auch, dass junge Leute bei uns sich auch in erstaunlicher Weise – und nicht unbedingt aus Überzeugung – bei Befragungen äußern, sei es um zu provozieren, aus Unkenntnis oder schlicht aus Dummheit. Man denke an oben erwähnte Umfrage der Universität Nimwegen, die ja zeigt, dass die Hälfte der befragten Altersgruppe von Jugendlichen gar keine Deutschen kennt. Bei denen der Clingendael-Umfrage muss der Anteil logischerweise höher liegen, da sie jünger sind. »Das negative Bild ist Teil der Kultur«, sagt der Literaturwissenschaftler Bernd Müller, vormals Dozent an der Freien Universität in Amsterdam, über das Deutschenbild der Niederländer. »Hier besteht ein Deutschlandbild, das losgelöst ist von jeder historischen und persönlichen Erfahrung«, schreibt der Spiegel.
Das Ergebnis der Umfrage fand auch ein tiefes Echo in der holländischen Presse, und viele Niederländer fanden das negative Deutschenbild in dieser Eindeutigkeit schockierend. Vor allem die ältere Generation, zumindest der Teil, der noch mit Deutschen unliebsame Erfahrungen gemacht hatte, zeigte sich darüber erschrocken, dass ihr Deutschlandbild von den Jungendlichen bedenkenlos übernommen und sogar noch negativer geprägt worden war.
Ablenkung vom Mitmachen
Ministerpräsident Wim Kok im Gespräch mit der Zeit: »Vielleicht hilft das Zerrbild vom hässlichen Deutschen ja auch, von den dunklen Flecken der eigenen Geschichte abzulenken. Wenn die Deutschen allein an allem schuld waren, braucht der Holländer sich keine Gedanken über seine Fehler zu machen – z.B. als Kollaborateur«.
Bei einer Sondersitzung der Knesseth in Jerusalem hielt der Parlamentspräsident Shevah Weiss jüngst Königin Beatrix vor, dass seinerzeit mit holländischer Hilfe 110.000 von 130.000 Juden aus den Niederlanden deportiert wurden und dass der Anteil der Holländer, die freiwillig zur SS gingen, weit höher lag als in anderen Ländern, von Österreich einmal abgesehen.
Eine niederländische Zeitung hielt ihren Landsleuten einmal die krude Rechnung vor, dass etwa vier Prozent Widerständler, ebenso viele Kollaborateure und die große Mehrheit schlicht gleichgültig gewesen war.
Nach Kriegsende waren 450.000 Kollaborateure registriert, die sich im Umgang mit den Besatzern schmutzige Finger geholt hatten. Davon verurteilte man 50.000 vor Sondergerichten. Den 30.000 SS-Leuten entzog man die Staatsangehörigkeit, so dass sie wie Staatenlose im eigenen Lande lebten oder noch leben. Das KZ Westerburg wurde von holländischen Behörden errichtet; 100.000 Juden sind hindurchgegangen. Auch Anne Frank wurde höchstwahrscheinlich von einer niederländischen Nachbarin verraten.
Kolonialistisch-kalvinistische Mentalität
Außenminister Pieter Kooijmans bringt noch einen weiteren Gesichtspunkt ins Spiel.
Auf die Frage des »Spiegel«, welche Rolle die kalvinistische Tradition der Niederländer mit ihrer Neigung zur Selbstgerechtigkeit habe, meinte er: »Obwohl wir keine kalvinistische Mehrheit haben, ist hier sogar der Katholizismus kalvinistisch geprägt. Wichtiger erscheint mir, dass die Holländer eine große Vergangenheit haben, ein Weltreich waren. Das trägt zu einem Selbstbewusstsein bei, das wohl ausgeprägter ist, als in anderen Ländern.
Selbstbewusstsein? Na ja, vielleicht eher Überheblichkeit, ein Merkmal aller Kolonialvölker, Engländer, Franzosen, Spanier, Portugiesen usw., welche die Unterdrückung und Ausbeutung fremder Völker immer mit ihrer kulturellen Überlegenheit, zivilisatorischen Segnungen, die sie den armen Wilden angedeihen ließen und ihrem Gott rechtfertigten, den sie immer im Gepäck mitführten und den Eingeborenen schenkten.
Der war wichtig, denn er half mit, die Eroberten durch Selbstunterdrückung unter der Knute zu halten und somit die Militär- und Polizeiausgaben zu senken. Wer erstmal den europäisch-kolonialen Christengott in der Birne hatte, nun, der kuschte vor Furcht, das ewige Leben zu verlieren. Er wusste: Autoritäten war Gehorsam zu leisten. Als Gottgefälligem war ihm der Himmel einigermaßen sicher, während seine Unterdrücker und Peiniger doch in der Hölle braten würden. Ein feiner Trost und eine gute Finte.
A propos Fußball - nirgendwo kommt deutlicher heraus, was Sache ist:
"Fußball ist angewandter Wahnsinn. Du kannst Gefühle rauslassen, die du sonst unterdrückst. Du identifizierst dich mit elf Topathleten wie mit Kriegern. Wir wollen alle Krieger sein und das andere Team töten. Den Ball ins Tor zu schießen, ist ritualisierte Vergewaltigung, da kommen unsere archaischen Triebe durch."
Leon de Winter, niederländischer Schriftsteller.