Vom Kreuzzug bis zur Versöhnung

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Vom Kreuzzug bis zur Versöhnung

Als Folge davon, dass die Spanier so tief vom katholischen Glauben durchdrungen
waren, haben sie sich allmählich in zwei Parteien gespalten, deren eine nach
wie vor hartnäckig am Glauben der Vorfahren festhält und deren andere ihn heftig
ablehnt, wobei letzteres in diesem Land verschärftere Formen annahm als sonstwo.
Diese Kluft zwischen den »beiden Gesichtern Spaniens«, vom Dichter Antonio Machado
thematisiert, ist mitverantwortlich für die sich im heutigen Spanien abspielenden
Tragödien.

Die Kirche hat ihre Autorität über lange Zeit hinweg ungetrübt in den ländlichen
Gegenden im Norden, im Baskenland, in Navarra, in Alt-Kastilien und bis nach
Galicien erhalten können, wo es dem Klerus gelang, die Nähe zu einem dem Glaubensbekenntnis
der Vorfahren verpflichteten Bauernstand zu bewahren. Anderswo dagegen haben
sich ganze Schichten der Gesellschaft von einer Kirche abgewandt, die eifersüchtig
auf ihre Privilegien bedacht ist, manchmal auch auf anachronistische Formen
der Frömmigkeit. Das war zuerst der Fall im Bürgertum, das sich bereitwillig
kirchenfeindlich gab und dessen Aufstieg im 19. Jahrhundert in Widerstreit geriet
mit einem Klerus, welcher jeglicher Infragestellung der traditionellen, von
ihm dominierten Gesellschaft feindlich gegenüberstand. Aber die schlimmste Abtrünnigkeit
ergriff die Volksmassen. Insbesondere in Andalusien kehrten die hungrigen Tagelöhner
der Kirche der Reichen, die mit den Großgrundbesitzern gemeinsame Sache machte,
den Rücken, was dem Anarchismus, dem neuen Evangelium, zugute kam: moralisierende
Strenge, flammende Predigten, messianisches Warten auf den »Großen Abend« (an
nur einem Tag sollte die bürgerliche Gesellschaft hinweggefegt werden) - alles
an der anarchistischen Welle erinnert an das Wiederaufleben einer Kirche der
Armen, einer Kirche ohne Gott. Der neue Glauben erreicht dann die Huertas von
Valencia, die ländlichen Gebiete Aragoniens und vor allem die Fabriken Kataloniens,
auf dem Wege der Zuwanderung. Als die Revolten gegen eine die Armen erdrückende
Gesellschaft losbrechen, bekommt die Kirche, welche die Armen im Stich gelassen
hatte, die Rechnung präsentiert. So geschehen 1909 während der »Tragischen Woche
von Barcelona«, einem Aufstand anläßlich der Einschiffung von Reservisten für
den Marokko-Krieg, und später im Jahre 1936 vor und während des Bürgerkriegs:
verwüstete Kirchen, Kirchenschätze in Flammen, willkürliche Hinrichtungen von
Priestern bis hin zu jenen Exhumierungen von Nonnenleichen bei makabren Maskeraden.
Die Wut, das Heilige zu verleugnen, zeugt auf ihre grausame Weise von ihrer
Prägnanz bis hin zu den extremen Verhaltensweisen des Anarchismus.

Im übrigen führt letzterer die Ablehnung eines sich mit den Werten einer ewigen
Kirche identifizierenden Spaniens nur zu ihrem Höhepunkt. In den Regionen, die
im 19. Jahrhundert industrialisiert wurden, wie Asturien und dem Baskenland
sowie in der Madrider Welt der Angestellten und Arbeiter des Buchdruckgewerbes,
deren Zahl stark zunimmt, legen die Anhänger des Sozialismus eine weltliche
Einstellung ohne Tadel an den Tag, die allerdings jede Gewalt ablehnt. Zahlreiche
Intellektuelle lehnen sich ihrerseits gegen die Autorität einer Kirche auf,
die behauptet, das Monopol der Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Am Ende
des 19. Jahrhunderts beginnt eine Art Volksuniversität, die Institución libre
de enseñanza, eine Menge von Charakteren zu heranzuziehen, die bar jegliches
geistlichen Einflusses sind. Nicht wenige Intellektuelle, und zwar unter den
bedeutendsten, werden ihre Schuld dieser Einrichtung gegenüber eingestehen:
Dichter wie Machado, Philosophen wie Ortega y Gasset bis hin zu einem so belesenen
Politiker wie Manuel Azaña, später Präsident der Zweiten Republik. Diese Sensibilität
reicht bis zur neuen Generation hin, die in den zwanziger Jahren zutage tritt:
man denke dabei nur an Federico García Lorca, ungeduldig, die Tabus und den
erstickenden Moralismus, die von den Männern in Schwarz aufgezwungen werden,
zu durchbrechen. Oder aber an Luis Buñuel, dessen Werk die Besessenheit von
der religiösen Thematik wie ein roter Faden durchzieht, von der gotteslästerlichen
Verspottung in L´Age d´Or bis hin zu den possenhaften theologischen Kontroversen
in der Milchstraße ...

Angesichts des Aufstiegs eines sich gegen sie stellenden weltlichen Spaniens
reagiert die Kirche wie ein verletztes Raubtier, das nicht begreift, wie ihm
geschieht. Sie sucht in ihrer Vergangenheit nach einer Antwort auf die Herausforderungen
der Gegenwart und erweckt deshalb mitten im 20. Jahrhundert das Gespenst der
Reconquista wieder zum Leben. Freilich schlief dieses nur mit einem Auge, da
es so oft dazu gerufen wurde, seinen Dienst wieder aufzunehmen: man denke nur
an den Ausschließlichkeitsgeist, der die Juden verfolgt und die Inquisition
gegen das Judentum entfesselt hatte, bevor er sich gegen die Mauren richtete;
an die Unterdrückung der protestantischen Reform und die Eindämmung der türkischen
Expansion; später den Heiligen Krieg gegen das »verpestete Frankreich« während
der Revolution, abgelöst von der Agression der napoleonischen Truppen; und schließlich
den Segen, der dem anachronistischen Epos des Karlistenkriegs erteilt wird ...
Der Kampf gegen die Ungläubigen bot mit Sicherheit nur zu viele Präzendenzfälle.

Nachdem es versucht hatte, die katholischen Massen in einer konservativen Partei
zu mobilisieren, nämlich der CEDA, die 1934-35 nur knapp bei der Machtübernahme
in der Republik scheiterte, zögerte das manövrierunfähige Episkopat nicht, sich
dem Militäraufstand von 1936 anzuschließen. Schon 1937 wählte es mitten im Bürgerkrieg
sein Lager aus, als es seinen berühmten Rundbrief veröffentlichte, mit dem sich
allerdings der Erzbischof von Tarragona, Vidal y Barraquer, im Exil gestorben,
nicht solidarisch erklären sollte. In diesem Brief steht, dass angesichts »der
tiefen Zweiteilung Spaniens« in eine »geistige« und eine »materialistische Hälfte«,
»es heutzutage in Spanien keine andere Hoffnung gibt, Gerechtigkeit und Frieden
wiederherzustellen, als durch den Triumph der Nationalbewegung«. Diese Entscheidung
für den Kampf schafft die Grundlagen für eine Ideologie, die ein Viertel Jahrhundert
lang eine enge Bindung zwischen Kirche und Staat schmieden sollte, bis hin zur
Darstellung der Spanier als ein zweites auserwähltes Volk: »Spanien ist, wie
einst Israel, von der liebevollen Hand Gottes erschaffen worden«, scheut sich
Kardinal Goma, Primas von Spanien, nicht zu behaupten, wodurch er die Essenz
des »National-Katholizismus« zusammenfaßt.

Im Namen des »göttlichen Totalitarismus«, den der Kardinal-Primas forderte,
wurde die Woge des Hasses von den Hirten einer, die Liebe predigenden, Religion
moralisch unterstützt, zum Entsetzen des christlichen Schriftstellers Bernanos,
der seinen Unmut in den Großen Friedhöfen unter dem Mond herausschrie. Diese
Vereinigung trug der Kirche rund fünfundzwanzig Jahre lang wieder eine herrschende
Stellung innerhalb des Regimes Francos ein. Es ist die Zeit, in der die herausgeputzten
Prälaten die besten Plätze bei offiziellen Veranstaltungen einnehmen und sogar
in ihrer Funktion bei den vom Caudillo einberufenen Versammlungen anwesend sind.
Im Jahre 1953 räumt ein Konkordat zwischen Pius XII. und dem spanischen Staat
der Kirche einen Sonderstatus ein: Finanzierung durch den Staatshaushalt, alleinige
Anerkennung der kirchlichen Hochzeit, Verpflichtung zum Religionsunterricht
im öffentlichen Schulwesen ... Dieser beherrschende Einfluß hat Auswirkungen
auf die ersten Touristen, die damals wieder den Weg nach Spanien fanden: kraft
der moralischen, von der Kirche auferlegten Ordnung macht die Guardia Civil
Jagd auf zweiteilige Badeanzüge, und die Küster untersagen zu leicht bekleidenten
Frauen den Zutritt zu den Kathedralen.

Diese Zeit ist nun vorbei. Wer Lust verspürt, die Kathedrale von Toledo im
Minirock zu besichtigen, wird ohne weiteres Einlaß finden. Und Sie dürfen sich
nicht dazu gezwungen sehen, die kolossale Totenstadt des Valle de los Caídos
ins Programm aufzunehmen, welche die Erinnerung an diese vergangenen Jahre wachhält.
Denn inzwischen hat der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils die spanische
Kirche erfaßt, die Bemühungen einer mutigen Generation von Verfechtern der Katholischen
Aktion verstärkend. Das Episkopat, in seiner Mehrheit für den Geist der Wiederversöhnung
gewonnen, hat sich nicht gescheut, in einer feierlichen Erklärung »um Verzeihung
zu bitten« für die von den Katholiken während des Bürgerkriegs und in den nachfolgenden
Jahren begangenen Fehler. Heutzutage unterhalten seine Repräsentanten eine korrekte,
um nicht zu sagen herzliche, Beziehung zu den Gesprächspartnern aus der Regierung,
sogar wenn es sich um Sozialisten handelt ...

Es muß hinzugefügt werden, dass auch die spanische Kirche nicht von der Krise,
welche die kirchliche Institution und vielleicht den Glauben an sich heimgesuchte,
verschont blieb. Wie anderswo in Europa hatte es mit den Berufungen ein Ende.
Bestimmte Priester stürzten sich in die politische Aktion - es ist sogar vorgekommen,
dass sich einige zu Abgeordneten der Sozialisten wählen ließen! - andere haben
ihr Amt aufgegeben, um die verschiedensten Wege einzuschlagen. Einer von ihnen,
Vater García Salve, der in einem Madrider Arbeitervorort das Evangelium verkündete,
vereinigte die Arbeiterausschüsse, eine von den Kommunisten in Bewegung gesetzte
Gewerkschaft. Und ein brillanter Jesuit, gleichzeitig auch ein lebhaften Anklang
findender Prediger, Jesús Aguirre, erwirkte seine Rückkehr zum weltlichen Stand,
um ... die Herzogin von Alba heiraten zu können! Sein freisinniges Mäzenatentum
macht aus ihm eine bedeutende Person im kulturellen Leben ...

Bedeutet das alles, dass Spanien »aufgehört hat, katholisch zu sein«, wie es
Manuel Azaña 1931 voreilig behauptete? Ja und nein. Dafür, dass sich ihre Zahl
verringerte, gewann die Masse der Kirchgänger zweifelsohne an Eifer. Und selbst
die Ungläubigen haben nun, in einem endlich entspannten Klima, keine Schwierigkeiten
mehr, die Rolle des christlichen Glaubens in der Vergangenheit Spaniens anzuerkennen,
ja sogar seinen rechtmäßigen Platz in der Gegenwart ... und sind frei, die meapilas
(wörtlich: die Weihwasserbecken-Nässer) zu verspotten, die noch einer Zeit nachtrauern,
die längst Vergangenheit ist.