Märkte im Verborgenen
Märkte im Verborgenen
Im Gegensatz zu einigen Tieren, die sich zum Sterben in ein Versteck zurückziehen, verstecken sich bestimmte Kreise in Griechenland, um zu überleben. Verborgen inmitten der volkstümlichen Altstadtquartiere von Thessaloniki, Arta (Epirus), Heraklion (Kreta) und selbstverständlich Athen, von allen Seiten her bedrängt durch moderne Hochhäuser, führen sie eine friedliche Existenz, abseits der Erschütterungen des zeitgenössischen Lebens, der städtischen Rastlosigkeit. Sie haben den Anschluß an die wirtschaftliche Entwicklung des Landes verpaßt, und so klammern sich die meisten Bewohner dieser Quartiere an ihre Gebräuche, zugleich aus einem inneren Bedürfnis und Instinkt heraus. Es entstehen Mikrokosmen, als Puffer zwischen ihnen selbst und der sie umgebenden städtischen Welt.
Am Tag des laiki (Wochenmarkt), einer uralten Institution, sind die Gassen schwarz vor Menschen, herrscht ein unaufhörliches und unüberhörbares Kommen und Gehen. Die feilgehaltenen Waren wären nirgendwo sonst auffindbar. Nur hier lassen sich noch Karbidlampen und Weihrauchgefäße aufstöbern, eine ganze Palette von Kännchen für den Küchengebrauch, Salz- und Pfeffermühlen, Stößel für die skordalia (eine Art Knoblauchmayonnaise) oder Spirituskocher, unübertroffen für die Zubereitung eines griechischen Kaffees, ohne Geschmack und Aroma zu verderben. Vergeblich wird man andernorts nach lose verkauftem Mehl oder Erbsen suchen, nach Meterware bei Stoffen; keine Lebensmittelhandlung könnte mit reihenweise Säkken, Töpfen und Kübeln aufwarten, randvoll mit allen Grundzutaten der griechischen Küche.
Der laiki ist auch der einzige Ort in Griechenland, wo man noch Zeuge hartnäckiger Feilscherei werden kann - ob es sich nun um eine Legehenne, einen Zuchthasen oder die Qualität einer noch nicht angeschnittenen Wassermelone dreht.
Auf solchen Märkten, für den Griechen eine Art natürlicher Umgebung, lebt und wirkt er nicht allein fern aller Konventionen und Zwänge, die ihm vom sogenannten »modernen Leben« auferlegt werden; er ist auch vor der Anwesenheit von Fremden (und Fremdartigem) sicher, die seine innere Haltung verfälschen würden. Der Markt leistet Widerstand gegen sämtliche politischen und kulturellen Mächte, die seit Ende des 19. Jahrhunderts versuchten, Griechenland und die Griechen zu »zivilisieren« oder zu »europäisieren«, wie es heutzutage heißt.
Im Bewußtsein der aufeinanderfolgenden Regierungen beinhaltet dieser Begriff die Aufgabe aller Elemente (Verhalten, Reaktionen, Traditionen, Brauchtum, usw.) die vermuten lassen könnten, der Grieche sei ein »Orientale« oder »zurückgebliebener Mittelmeerbewohner«, ein konservatives, ja fortschrittsfeindliches Wesen.
Wer über diese hohe Stätte griechischer Authentizität, die der laiki nun einmal darstellt, flanieren möchte, sollte dies so diskret wie irgend möglich tun; ohne Fotoapparat, ohne sein Erstaunen über unerhört Scheinendes durch stimmgewaltige Ausrufe (»Da gibt´s Lammköpfe! Ist ja widerlich!«) zu untermalen. Denken Sie stets daran: hier werden Sie ein Griechenland entdecken, über das Urlaubsprospekte nie ein Wort verlieren.