Krakenhaftes Athen
Die Stadt als Krake: Athen
Zu einer Gesamteinwohnerschaft von neun Millionen kommen im verstädterten Umland
der griechischen Hauptstadt noch einmal über vier Millionen hinzu: nahezu ein
Grieche von zweien lebt im Ballungsraum Athen! Das Phänomen ist einzigartig
in der Welt.
Trotz der von den sozialistischen Regierungen ab 1981 verfolgten Dezentralisierungspolitik
und ungeachtet einer ganzen Reihe von 1976 erlassenen Gesetzen, die Investitionen
in den Grenzregionen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern, wächst
der »Moloch« Athen weiter. Er rekrutiert seine Opfer im Epirus und im südlichen
Peloponnes, streckt seine Tentakel bis Samos, Chios und Mytilene aus, wo er
alle von der Küste entfernte Dörfer plündert; er unternimmt Beutezüge über die
Inseln des Ionischen Meeres, nach Lefkada, Korfu und Ithaka. Und als ob er sich
an den Nachkommen der Minoer rächen wollte - in der Antike forderten die von
den Athenern einen jährlichen Tribut von sieben Knaben und sieben Mädchen, an
denen sich der Minotaurus labte - stößt er bei seinen Expeditionen bis Kreta
vor, wo er einige hundert Bauern jährlich mitgehen läßt.
Bis ins Unendliche dehnbar, Landstriche und Wälder verschlingend, begnügt sich
Athen nicht mehr mit dem weiten Raum zwischen Meer und Hymettos, Pentelikon
und Parnaß. Nachdem es scheußliche Hochhäuser, Militäreinrichtungen und Hotels
entlang der Straße zum Kap Sunion aus dem Boden gestampft hatte, fiel es über
den Nordosten her, verschlang die ersten Dörfer der Messoghia, wandte sich nach
Westen, schluckte Eleusis und Daphni, um daraufhin in Richtung Megara weiterzuziehen,
wo es einige Fabriken zurückließ. Führt die Stadt etwa schon eine baldige Eroberung
Korinths im Schilde, dem Einfallstor in den Peloponnes? Wird Athen die Nordgrenze
Attikas hinter sich lassen und Böotien erobern, wohin es bereits einige Industriebetriebe
als Kundschafter gesandt hat?
Städteplaner läuten unablässig die Alarmglocken: sie sehen Katastrophen und
eine todbringende Verschmutzung voraus, führen an, ein Erdbeben könne Athen
in eine apokalyptische Landschaft verwandeln und dass ein einmaliger Erdstoß
von Marathon her der Stadt das Wasser abgraben könnte. Nebenbei bemerkt beginnt
die tsimentoupolis (Zementstadt) bereits zu revoltieren: während der Griechenland
im Juli 1987 heimsuchenden Hundstage forderten Gluthitze und mangelhafte Wasserversorgung
innerhalb weniger Tage 1600 Todesopfer!