Moderner Städtebau

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Moderner Städtebau - Griechenland auf Pfählen

Wer zum ersten Mal eine griechische Stadt durchquert, könnte auf den Gedanken
verfallen, diese sei auf sumpfigem Gelände oder Treibsand errichtet. Tatsächlich
ruht eine große Zahl von modernen Wohnhäusern und größeren Gebäuden auf Betonpfählen,
tief in den Untergrund eingelassen, quadratisch und imposant, grau und düster;
wohingegen auf dem Terrassendach an allen vier Ecken eine Art Lauchbund emporragt
- hierbei handelt es sich lediglich um Eisenstränge von Beton im Wartestand.
Derlei Scheußlichkeiten verdanken wir zugleich dem schlechten Geschmack und
fehlenden Vorstellungsvermögen der griechischen Architekten (Iktinos und Kallikrates,
Erbauer des Parthenon, dürften sich im Grabe herumdrehen) und der völligen Abwesenheit
einer ernstzunehmenden Politik in den Bereichen Städtebau, Denkmalschutz und
behördliche Bauüberwachung.

Diese stiefmütterlichen Vorkehrungen besitzen indes eine hausgemachte Rechtfertigung:
macht sich ein Grieche an den Bau seiner Behausung, so denkt er dabei nicht
nur an sich, sondern auch schon an die Hochzeit seiner Tochter, selbst wenn
diese noch in der Wiege liegt. Die Eisenstränge sind also Anfänge der Wohnung
des zukünftigen Paares, während die Pfähle eine von Zufällen abhängige Umwandlung
des Erdgeschosses im Nachhinein genehmigungsfähig machen: etwa für die Werkstatt
eines Schwiegersohns, von Beruf Handwerker oder Mechaniker; oder aber man verwandelt
den freien Raum in zu vermietende Geschäftsräume, um die Einkünfte des zukünftigen
Haushalts zu erhöhen. So zeitigt die Erweiterung der griechischen Familie zwei
architektonische Auswirkungen, je nachdem, ob sie sich im ländlichen oder städtischen
Milieu abspielt. Sie verläuft »horizontal« auf dem Land, da die Kinder ihre
Häuser auf Grundstücken in einem anderen Teil der Region zu bauen pflegen (stets
jedoch unter Beibehaltung des Pfahl- und Lauchbundprinzips); und »vertikal«
in der Stadt: zu ebener Erde die Werkstatt des Schwiegersohns oder der vermietete
Laden; im ersten Stock die Eltern; im zweiten die verheiratete Tochter, der
die Etage als Aussteuer mitgegeben wurde; und im dritten werden eventuell die
künftigen Enkelkinder untergebracht.

Die Zeiten ändern sich jedoch, die Menschen werden zunehmend mobiler, die Jungen
ziehen fort zum Studieren, heiraten und lassen sich an Ort und Stelle nieder.
Während die Grundstücksspekulation in der Stadt verhindert, dass die Häuser verlassen
zurückbleiben, harren auf dem Land die Pfähle im Erdgeschoß und die Stahlträger
auf dem Dach vergeblich der Nachkommenschaft. Das Haus altert, der Gipsputz
blättert ab, das Mauerwerk beginnt zu bröckeln, der häßliche Zement kommt zum
Vorschein.

Ein weiterer Faktor architektonischer Häßlichkeit liegt darin begründet, dass
manche Häuser ... auf dem Korrespondenzwege errichtet werden. Von Australien,
Amerika oder Deutschland aus dirigiert der zu ein wenig Geld gekommene Auswanderer
die Bauarbeiten brieflich. Dabei bleiben Arbeitstempo und Geschmack dem beauftragten
Unternehmer überlassen, der nach Lust und Laune oder nach Eingang bzw. Ausbleiben
der Zahlungsanweisungen seines Kunden in der Ferne verfährt. Und die Bauaufsicht
durch die am Ort zurückgebliebenen Vettern trägt nicht immer zum Gelingen des
Vorhabens bei ...