Wunderträchtige Höfe
Wunderträchtige Höfe
»Ein Haus ohne Hof ist so wie ein Krug ohne Henkel« lautet ein griechisches Sprichwort und unterstreicht auf diese bildhafte Art und Weise die überragende Bedeutung dieses Ortes für jedes traditionelle Haus.
Traditionell, aber nicht zwangsläufig dörflich.
Läßt man die polykatikia (mehrgeschossigen Gebäude) einmal zur Seite, so verfügt fast jede Behausung über einen Hof oder einen eigens zu diesem Zweck eingerichteten Bereich. In bestimmten Athener Vierteln - in Kessariani, Nea Smyrni, Petralona und besonders in der Plaka, die sich ihr ländliches Aussehen allen Nachtlokalen und Tavernen zum Trotz bewahren konnte - erfüllt der Hof noch seine überkommene Funktion. Er erfüllt bis heute seine vielfältigen Aufgaben für die Anwohner, verlängert, ergänzt deren Wohnbereich und erhöht den Wert des Hauses. Überall Töpfe mit Basilikum (für diese Pflanze hegen die Griechen eine Vorliebe) oder gekalkte Weißblechkanister, aus denen Nelken, Rosen und Jasmin sprießen, im Sommer beschattet vom Blätterdach einer Laube oder eines Maulbeerbaums - mit einem wohlwollenden Lächeln empfängt der Hof den Fremden und hält den Hausierer zur Geduld an.
In aller Herrgottsfrühe wird er von der Hausfrau gewissenhaft ausgekehrt, sodann mit Wasser besprengt, damit er kühl bleibt; alle Pflanzen werden begossen; Staub, unter dem das Geißblatt zu ersticken droht, entfernt. Solchermassen nach der Morgentoilette herausgeputzt, Wohlgerüche verströmend, erweist die Hausfrau ihm die Ehre ihrer Anwesenheit, putzt Gemüse, näht, verliest Linsen; hier empfängt sie auch Freunde und Nachbarn, die sich zum Kaffee einstellen und ein kurzes Schwätzchen halten möchten. Gegen zwei Uhr nachmittags bietet sich der Schatten unter der Laube für den beleibten Kater aus der Lebensmittelhandlung an der Ecke an, der geräuschlos sein Siestapläzchen ansteuert; dann, gegen Abend, versammelt sich die ganze Familie um eine Flasche Ouzo.
Der Hof ist Versammlungsort für Verwandte und Freunde anläßlich einer Hochzeit oder eines Feiertags: an Ostern sitzen die Gäste um einen ausladenden Tisch und verspeisen Lamm vom Spieß; -an Epiphanias (Dreikönig) verjagt ein mit Weihwasserkessel bewehrter Pope den Teufel und böse Geister, um den Hof danach mit einem Basilikumzweig zu segnen. Am ersten des Monats, ebenso wie am Neujahrsmorgen, bestreut die Hausfrau den Hofeingang mit Zucker, damit die »Tage süß sein mögen«; dabei achtet sie darauf, dass kein Pechvogel die Schwelle überschreitet.