Das Irrationale

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Das Irrationale

Nicht selten werden religiöse Überzeugungen auf die Ignoranz und Zauberpraktiken
auf Armut oder Isolation der Bevölkerung von der »zivilisierten Welt« zurückgeführt.
Dies bedeutet, ein wenig vorschnell zu urteilen, zumindest wenn es um Griechenland
geht. Sonderbare »Ignoranten«, in der Tat: Xenophon war abergläubig, Sokrates
zutiefst religiös und voller Achtung vor den Traditionen seinen Landes. Und
dann alljene, die an den Eleusinischen Mysterien teilnahmen, an denen nun wirklich
nichts besonders Rationales war ...

Wenige Griechen werden ohne zu lügen behaupten, sie glaubten nicht an die unheilvolle
Macht der mountza-Geste (während man den Arm in Richtung auf die verwünschte
Person ausstreckt, gilt es darauf zu achten, dass alle Finger gut abgespreizt
sind und die Handfläche auf den Unglückskandidaten weist) oder an den mati (den
bösen Blick); Schutz vor letzterem bietet eine blaue Perle, die, ständig bei
sich getragen, ein Auge darstellt; oder aber man trägt hinter dem Ohrläppchen
einen kleinen Rußflecken auf. Nicht nur den bösen Blick, auch Begehrlichkeit
und Eifersucht pariert man durch dreimaliges Ausspucken auf die Erde, auf taktvolle
aber gut hörbare Art und Weise; oder man hängt eine Knoblauchzehe in den herrlichen
Zitronenbaum, auf den die Nachbarin ein Auge geworfen hat. Trifft man diese
Vorkehrungen nicht, droht ihr »böser Blick« den Baum auszutrocknen oder läßt
ihm eine Krankheit angedeihen.

Ein Grieche, welcher auf seinem Treppenabsatz oder in einer Hofecke ein winziges
Stückchen Seife entdeckt, von drei, sieben oder neun Nadeln durchbohrt, wird
darin den Beweis dafür erblicken, dass ihm jemand etwas Böses wünscht, wenn nicht
gar den Tod. Um nichts in der Welt wird er den verwunschenen Gegenstand berühren,
darüber hinwegsteigen oder ihn aus dem Weg zu räumen versuchen: als besonnener
Mensch wird er eine Person um Rat bitten, die sich in praktischen Dingen der
Magie auskennt. Sie wird ihm jene Formeln anvertrauen, die es vor Entfernen
des Gegenstandes zu sprechen gilt, und darüber hinaus ein Gegenmittel für den
Wiederholungsfall.

Beeindruckt werden Sie sicher auch von der Manie aller Taxi- und Busfahrer
sein, das Armaturenbrett ihres Fahrzeugs mit den verschiedenartigsten Gegenständen
von mehr oder minder schlechtem Geschmack zu »dekorieren«: mit Rosenkränzen
aus blauen Perlen, Ikonen, kleinen Plastikgefäßen. Dazu muß man wissen, dass
Blau Unheil abwendet, dass die Ikonen den Fahrer vor den Risiken der Straße schützen
und dass das oberhalb des Lenkrads baumelnde Fläschchen Weihwasser enthält.