Radtour
Radtour durch Amsterdam
Kleine architektonische
Rundfahrt
Da Amsterdam immer schon kulturelle Hauptstadt der Niederlande war, haben die meisten bekannten Architekten hier ihre Spuren hinterlassen. Während des Zweiten Weltkriegs blieb die Stadt von Bombardierungen weitgehend verschont, so dass noch eine ganze Reihe an Bauten aus vergangenen Zeiten zu finden ist. Die Nachkriegsarchitektur trifft man hauptsächlich in Amsterdam-Noord (z.B. den sozialen Wohnungsbau der sechziger Jahre in der Ketelstraat oder Hamerstraat) und im Bijlmer/Amsterdam Südost (Zuid-Oost) an. Interessiert man sich für moderne Bauweisen, so sollte man sich den Architekturführer zulegen, erhältlich beim Stadsboekwinkel, Waterlooplein 18, und mit Hilfe dieses Buches die Außenviertel erkunden. Beim Stadsboekwinkel gibt´s Karten und Bücher auch auf deutsch über sämtliche architektonisch wichtigen Gebäude zwischen 1920 und 1970, insbesondere solche der Amsterdamer Schule. Ferner auch alle möglichen Informationen über Amsterdam.
Diese Radtour macht hauptsächlich mit den älteren Teilen der Stadt bekannt, wo die Vorkriegsarchitektur überwiegt. Während der Tour wird man ohnehin ab und zu die Strecke nachschlagen müssen; es lohnt sich aber, diese Beschreibung erst durchzulesen und eventuell die Route auf einer Karte einzuzeichnen. Ziel ist es nicht, auf jedes einzelne Gebäude aufmerksam zu machen, sondern vielmehr auf die gesamtarchitektonisch bedeutsamen Straßen. Demnach ist es auch nicht wichtig, in welcher Straße, sondern in welchem Gebiet wir uns aufhalten. Also erst einen brauchbaren Stadtplan besorgen, bevor´s losgeht.
Wir brechen beim »Dam« auf, und zwar am Palast der Königin vorbei, dann nach links und sofort wieder nach rechts in die Raadhuisstraat, an deren rechten Seite die geisteswissenschaftliche Fakultät der Universität von Amsterdam liegt (Ecke Spuistraat). Weiter geht´s über die Raadhuisstraat bis zur Herengracht, wo wir nach rechts abbiegen. Die Herengracht war und ist die vornehmste aller Grachten, was sich eindeutig am Baustil der Grachtenhäuser ablesen läßt. Zu den Einrichtungen der Gebäude wurden viel Marmor, teure Tapeten und Teppiche verwandt. Außerdem weisen Decken und Wände vielfach reiche Verzierungen auf. Das Bartolotti-Haus (Theater-Institut), das Doppelhaus Herengracht 170/172, wurde 1616 fertiggestellt und gehörte einer Bankiersfamilie, die, wie man noch heute erkennen kann, einst einträgliche Geschäfte getätigt haben muß. Architekt war wahrscheinlich Hendrik de Keyser. Willem van den Heuvel, der sich Guillelmo Bartolotti nannte, hieß der Bauherr, der mit dem Handel von Weizen, Fellen, Kupfer, Gold und Geschützen ein großes Vermögen angehäuft hatte und als einer der reichsten Amsterdamer seiner Zeit galt. Übrigens schon gewußt, dass noch vor weniger als hundert Jahren in den Hinterhäusern dieser Gebäude Kühe gehalten wurden? Das gab´s bis in die dreißiger Jahre übrigens auch in Berlin. Beim Blick nach oben bemerkt man eine Vornüberneigung der Giebel. Das hat, wie bereits erwähnt, zwei Gründe:
Einmal, weil viele Häuser als Lagerhäuser genutzt wurden und Güter so einfacher hochzuhieven waren. Dazu dient auch der Balken mit dem Haken, an dem der Takelblock befestigt wurde; zum zweiten, damit es weniger in die Häuser hineinregnen konnte.
Am Ende der Gracht überqueren wir die Brouwersgracht und radeln bis an die Haarlemmer Houttuinen, dort links ab und sofort wieder nach rechts unter einer Art Tor durch in die Grote Bickersstraat. Dieser Teil der Stadt gehört zum Hafen und hat allerdings seine beste Zeit schon hinter sich.
Wir befinden uns nun auf der ersten der drei sogenannten westlichen Inseln, dem Bickerseiland. Die anderen beiden sind Prinseneiland und Realeneiland. Die Grote Bickersstraat fahren wir nun immer geradeaus bis zur Zoutkeetsgracht, wo´s links abgeht.
Da hier keine Busse oder Straßenbahnen verkehren, weist das ganze Gebiet einen ausgeprägt ländlichen Charakter auf, und das, obwohl es gleich neben der Altstadt liegt. Seit kurzem ziehen Betriebe und Reedereien weg; die Gebäude werden restauriert und zu Wohnhäusern umgebaut. Achten wir vor allem auf die Art und Weise, wie die Neubauten in diese Gegend integriert werden. Über die Zoutkeetsgracht verlassen wir die Insel und bewegen uns in Richtung Haarlemmerpoort über die Planciusstraat. Nun erlauben wir uns einen Schlenker zum nahegelegenen Zaanstraat-Komplex, einem Gebäude aus der Anfangsphase der Amsterdamer Schule 1918/1919. Wie vielleicht bekannt ist, liegt die Blüte der »Amsterdamse-School« zeitlich zwischen 1919 und 1925. Auf zur Zaanstraat also!
Kurz hinter der Haarlemmerpoort biegen wir rechts ab, über die Brücke, sofort wieder nach rechts, unterqueren die Bahnüberführung und biegen dann sofort wieder links ein. Noch ein Stückchen weiter und wir erblicken die Wohnungen der Zaanstraat Amsterdamer Schule in Reinkultur. In dem kleinem Postamt an der Ecke Zaanstraat / Oostzaanstraat wiederholen sich die Ornamente der Außenseite im Inneren. Noch etwas zu dieser Stilrichtung: sie hatte wesentliche Bedeutung für den sozialen Wohnungsbau, vor allem in den Außenbezirken und den Vororten der Stadt. Pläne wurden für ganze Stadtteile konzipiert. In dieser Straße ist jedoch eine Häufung charakteristischer Beispiele festzustellen. Man findet in Amsterdam auch weitere Zeugnisse der Amsterdamer Schule: Brücken, Hausnummernschilder und die blauen Girokästen (Vorsicht: es handelt sich hierbei nicht um Briefkästen!). Typisch für die Amsterdamer Schule ist die Rücksichtnahme bei der Wahl des Materials und bei der Konstruktion auf die Form des Gebäudes. Hauptbaustein ist allerdings stets der Ziegel, der in allerlei Mustern vermauert wird. Die Fassade des Hauses wird als ein Ganzes gesehen, wozu auch Fenster und Türen gehören. Funktionalität ist nicht immer das Ziel; das Türmchen an diesem Komplex (Hembrugstraat) ist ein Beleg dafür.
Wir strampeln nun unter der Bahnunterführung zurück zum Nassauplein, biegen hier rechts ab und befinden uns nun auf dem Haarlemmerweg. Dieser führt übrigens tatsächlich nach Haarlem; also aufgepaßt: das wäre für heute wohl zu weit. Rechts, am anderen Ufer, liegt der Westerpark. Ein Stück weiter erblickt man das merkwürdige Gebäude der Gasverdeelstation-West, jetzt als Kulturhaus in Gebrauch. Dieser Gebäudekomplex datiert aus dem Jahre 1885, ist eines der wenigen Beispiele für die sogenannte Neoholländische Renaissance und entstand im gleichen Jahr wie das Rijksmuseum. Sehr verwunderlich, nicht wahr?
Nach Passieren der Mühle wenden wir uns nach links, in den Bos en Lommerweg in der Bos en Lommerbuurt, einer eher langweiligen Gegend, immerhin aber mit typischen Amsterdamer Wohnkomplexen aus den dreißiger und vierziger Jahren. Als die Stadt damals schlagartig wuchs, ermutigte man die Arbeiter, ihre eigenen Mietwohnungen und Wohnungen zu bauen, um deren Qualität zu verbessern. Das Ergebnis sieht jeder selbst.
Wir radeln immer geradeaus zur Jan van Galenstraat. Dort geht´s rechts ab und dann nach links in die Vespuccistraat. Hier wieder nach rechts, und wir befinden uns erneut in einem von der Amsterdamer Schule geprägten Quartier. Dieser Bezirk stammt offenkundig aus einer späteren Periode als die Hembrugstraat und die sie umgebenden Straßen, was besonders an der Orteliusstraat deutlich wird. Die Gebäude sind etwa 1925 errichtet worden, während die »Spaarndammerbuurt« von 1918-1920 datiert; dann weiter zum Hoofdweg, dem wir bis zum Mercatorplein folgen. Dort wird die städtebauliche Harmonie auffallen, wobei die typischen Merkmale der Amsterdamer Schule besonders zur Geltung kommen: die Fassaden bilden eine natürliche Einheit, alles »paßt zueinander«. Ob es einem gefällt oder nicht, ist freilich Geschmackssache; deutlich spürbar ist jedoch die unverwechselbare Ausstrahlung. Sorgfalt und Liebe, mit denen die Stadtverwaltung diese Gebäude erhält, zeugen davon, welchen Wert sie für die Stadt und ihre Bewohner haben.
Wir folgen dem Hoofdweg bis zum Postjesweg, überqueren links die Brücke und biegen gleich nach der zweiten Brücke rechts ab in die Lootsstraat. An der Jacob van Lennepkade geht´s dann nach rechts. Für diese Gegend gilt das Gleiche wie für die Bos en Lommerbuurt: eintönig, uninteressant, aber typisch für die Stadt.
Wir radeln nun links über die Brücke und dann immer geradeaus bis zum Overtoom, den wir überqueren, bis wir durch ein Tor in den Rijtuigenhof gelangen. Diese Wohnungen sind einzigartig, handelt es sich doch um eine besondere Spielart des sozialen Wohnungbaues, die sogenannten »HAT-Einheiten«. Diese bestehen aus kleinen Wohnungen, deren Küchen etagenweise oder auch pro Haus gemeinsam genutzt werden. Davon existiert eine ganze Menge in Amsterdam. Das Besondere an ihnen ist jedoch, dass die kleinen Baugrundstücke bestens genutzt wurden. Die Bewohner haben verhältnismäßig geräumige Wohnungen, und auch Intimität wurde von den Architekten großgeschrieben. Natürlich erweitert der Vondelpark gleich vor der Tür noch die Bewegungsfreiheit der Mieter.
Auch uns zieht es nun in den Vondelpark, und zwar immer geradeaus. Richten wir unser Augenmerk auf den schönen Rosenpark, den wir durchfahren müssen, da sich auf der anderen Seite der Weg fortsetzt. Der Haken an der Sache ist, dass man hier eigentlich nicht mit dem Rad durchfahren darf, was aber normalerweise niemanden stört. Folgen wir unserem Pfad, so gelangen wir an eine kleine Gabelung, wo wir uns rechts halten, um die wunderschöne Brücke zu überqueren, bis wir schließlich den asphaltierten Weg kreuzen und den Vondelpark wieder verlassen. Wenn wir uns nicht verfahren haben, befinden wir uns jetzt auf der Emmalaan im Bezirk Oud-Zuid, wo die Betuchtern ihre Häuser gebaut hatten, als die Grachten nicht mehr genug Platz boten. Im Vergleich zu den Arbeitervierteln, die wir gerade verlassen haben, eine völlig andere Welt. In herrlicher Wohnlage reiht sich längs der prächtigen Alleen Villa an Villa. Für Amsterdamer Begriffe stehen die Häuser sehr weit auseinander, Häuser, die manchmal an solche erinnern, wie man sie häufig in Frankreich antrifft. Kurven wir ein wenig umher, etwa über die Koningslaan, die Nassaulaan, die Valeriusstraat, van Eeghenstraat, die Johannes Verhulststraat, und atmen wir die Atmosphäre dieses Viertels.
Einmal an der Ecke Valeriusstraat / Jan van Goyenkade angekommen, radeln wir in Richtung Tor zum Monument. Diese Gegend ist Nieuw Zuid, in der mit neuen Architekturformen experimentiert wurde. Natürlich begegnen wir auch hier wieder der Amsterdamer Schule, z.B. auf dem Olympiaplain, in der Titiaanstraat, der Leonardostraat und in der Gerrit van der Veenstraat. Auch Minervalaan und Minervaplein lohnen einen Besuch, da sie den Anfang der Amsterdamer »Goldküste« (De goudkust) bilden. In der Albrecht Dürerstraat und in der Anthonie van Dijckstraat finden sich einige Wohnungen, deren Architektur auf der Amsterdamer Schule aufbaut; dies mit Hilfe neuer Techniken und Normen. In Nachfolge der »Gruppe 8« betonte man die Ästhetik. Das Wohnhaus Minervalaan 54 befindet sich nicht nur an der Goldküste, sondern veranschaulicht zugleich den vorgenannten Stil: modern (1954) und stattlich; außerdem überzeugt es durch seine Schlichtheit. Le Corbusier hat also auch in Amsterdam seine Spuren hinterlassen. Schauen wir uns auch in dieser Ecke ein wenig um, bevor wir uns an der Ecke Bernard Zweerskade / Apollolaan wieder treffen und zum anderen Ufer wechseln. Auf dem Muzenplein sollten Sie sich nachdem Sie abgestieen sind! kurz nach dem Apollohotel hinten links am Wasser umschauen. Ein beeindruckendes Gebäude in fantastischer Lage.
Weiter geht´s über die Churchilllaan und links in die Waalstraat. An deren Ende der merkwürdige Bau der P.L. Takstraat. Sie erraten es schon: Amsterdamer Schule.
An der Gabelung halten wir uns rechts bis zur Lutmastraat, wo wir rechts abbiegen, die Van Woustraat kreuzen und schließlich die zweite links, wo wieder ein paar Häuserblocks der Amsterdamer Schule in Sicht kommen. In der Diamantstraat dann ein wundervolles Volksbad (Badhuis). Zu der Zeit, als die Häuser entstanden, verfügte lange nicht jede Wohnung über ein eigenes Bad oder eine Dusche, so dass öffentliche Badehäuser eingerichtet wurden. Vielleicht können wir ja einen Blick hineinwerfen.
Weiter geht´s bis zur Amstel; das gegenüberliegende Viertel heißt übrigens Weesperzijde. Wir fahren nach rechts und überqueren die Amstel bei der ersten Brücke links, die Berlagebrug. Diese wurde von dem berühmten Architekten Berlage entworen. Übrigens: die Amstel ist weder ein Kanal noch eine Gracht, sondern jener Fluß, dem die Stadt ihren Namen verdankt: »Damm an der Amstel«. Am anderen Ufer fahren wir über die Mr. Treublaan am Prins Bernhardplein rechts ab, um den Amstelbahnhof herum und über den Julianaplein nach links zur Hugo de Vrieslaan.
Wir wollen nun nach Betondorp. Was es mit diesem Viertel auf sich hat, verraten wir nachher wer das Kapitel »Zur Geschichte der Stadt« nicht übersprungen hat, ist ohnehin im Bilde aber wir müssen ja zunächst mal hingelangen. Am besten geht das, wenn wir uns immer geradeaus halten und dann rechts den Maxwellweg nehmen; diesen geradeaus, dann wieder rechts abbiegen, die erste links, dann geradeaus schnurstracks ins Herz von Betondorp hinein. Dieses Stadtviertel, Ergebnis des sozialen Wohnungsbaus und seinerzeit ein Experiment, stammt aus dem Jahre 1923. Beton war damals nämlich ein experimenteller Baustoff. 1987 wurde die ganze Gegend renoviert und endgültig auf die Denkmalliste gesetzt, weshalb sie uns jetzt erst mal erhalten bleibt. Das Weltbild, das diese Bauweise vermittelt, ist noch ganz von Optimismus geprägt. Es handelt sich denn auch um eine ganz eigentümliche Gegend mit einer kaum zu beschreibenden Atmosphäre. Wer mehr darüber erfahren will, wende sich an die erwähnte Stichting Wonen, bei der zwei Publikationen über dieses Viertel erschienen sind.
Wie Sie von hieraus Ihren Weg fortsetzen, überlasse ich Ihnen. Hauptsache, wir treffen uns am Eingang von Artis, dem Amsterdamer Zoo an der Plantage Kerklaan, wieder. Achten Sie doch auf dem Hinweg in der sogenannten Plantage oder Plantagebuurt auf die wunderschöne Umgebung und vor allem auf das Tropenmuseum in der Linnaeusstraat 2. Falls dieses geöffnet ist, unbedingt mal einen Blick hineinwerfen. Den Zoo lassen wir heute mal beiseite und überqueren die Brücke zum Entrepotdok mit seinen alten Lagerhäusern. Hier gilt das gleiche wie auf den Inseln zu Anfang unserer Fahrt. Modernere Gebäude im Hafen übernehmen immer mehr die Funktion dieser ehemaligen Lagerhallen, weswegen man letztere einer neuen Bestimmung zugeführt hat. Als Ergebnis entstand das umfangreichste Renovierungsprojekt für Wohnhäuser, das Amsterdam je erlebt hat. Also mal abgestiegen, die Seitenstraßen durchstöbert, und jeder wird rasch entdecken, weshalb Amsterdam als eine der wundervollsten Städte der Welt gilt.
Abgesehen von Wohnungen, findet man hier auch zahlreiche Kleinbetriebe und Werkstätten. Folgen wir einem der schmalen Sträßchen bis auf den Laagte Kadijk, dann links bis zu einem kleinen Platz, wieder rechts und dann zum Oosterdok mit all seinen typischen Hafenaktivitäten. Bei dem auffälligen viereckigen Gebäude rechts handelt es sich übrigens um das Schiffahrtsmuseum, zu dem auch etliche am Kai vertäute Kähne gehören. Wir überqueren hier die Straße, um auf der anderen Seite links den Radweg zum Hauptbahnhof zu benutzen. Es geht also die Prins Hendrikkade entlang in Richtung Stadtmitte. Hausnummer 108-120, ein merkwürdiges Gebäude, ist das Schiffahrtshaus von 1916, ein Vorläufer der expressionistischen Richtung der Amsterdamer Schule mit ästhetischer Formgebung für sonst monumentale Gebäude. Dieses diente ursprünglich als Sitz einiger Schiffahrtsgesellschaften, wird aber nun vom GVB, den Städtischen Verkehrsbetrieben, genutzt. Das Innenleben, so das feudale Treppenhaus, verblüfft mindestens genauso wie die Fassade.
An der Prins Hendrikkade / Gelderse Kade liegt übrigens der Schreierstoren. Die gängigste Erklärung für den Namen (schreien = weinen) ist die, dass Frauen und Kinder hier ihren in See stechenden Männern nachweinten. Richtig ist wohl, dass er von »schreilings« = rittlings rührt, weil der Turm so auf der Mauer saß. Wie auch immer: von hier brach jedenfalls Henry Hudson in der »Halve Maen« (Halbmond) auf der Suche nach dem Westweg nach Indien auf. Wo er landete läßt sich an kanadischen Landkarten ablesen.
In der Nähe, zwischen Gelderse Kade und Oude Schans, liegt ein weiterer Turm, der Montelbaanstoren, im Volksmund »Närrischer Jaap« genannt. Errichtet 1606 zum Schutz der Vorstadt mit ihren Werkstätten und Wohnungen der Schiffszimmerleute, die hier auf der städtischen Werft arbeiteten, datiert es vom Anfang des 16. Jhs. Rund hundert Jahre später erhielt der nunmehr »nutzlose« Turm bei der Eingemeindung des Viertels seine Laternenbekrönung durch den Architekten der Westerkerk, Hendrick de Keyser. Seit 1878 dient das Tor den Wasserbehörden zum Messen des Wasserstandes. Diese sorgen übrigens auch für die Durchspülung der Grachten, was einen unerträglichen Gestank im Sommer verhindern soll. In der Nähe, am Rapenburgerplein 10, stößt man auf die älteste Kneipe der Stadt, De Druif.
Am Stationsplein dann der Hauptbahnhof von Cuypers, der ja auch das Rijksmuseum entworfen hatte. Sein Baustil hatte unmittelbare Nachfolger: die Börse (Beurs) vom Berlage, die Kaufmannsbörse (Koopmansbeurs) von 1903, dann das Schiffahrtshaus von Itermey von 1916, die P.L. Takstraat und die Hembrugstraat von Kramer und De Clerk (1918-1922) sowie die neue sachliche Linie, die uns bereits in der Tolstraat auffiel, von Brinkman und Van de Flugt (1926). Sodann läßt sich der Bogen weiterspannen zu jenem neuen Baustil, wie man ihn in der Dürerstraße findet (Truien, Stam und Beese 1936).
Dem Bahnhofsplatz gegenüber das Noord en Zuid Hollands Koffiehuis, was erst seit kurzen wieder an alter Stelle steht, nachdem es jahrelang, während des U-Bahnbaus in Einzelteile zerlegt, ausgelagert war. Sorgfältig vor dem Wiederaufbau überholt, wirkt es nunmehr viel attraktiver. Vermutlich kennt es jeder bereits, da dort auch die VVV untergebracht ist.
Da wir nun schon mal hier sind, steigen wir doch runter in die U-Bahn und fahren in Richtung Gaasperplas nach Amsterdam Zuidoost, um dort den »modernen« Baustil der siebziger Jahre zu betrachten. Sollte dies für heute zuviel werden, so unternehmen wir diesen Abstecher besser ein anderes Mal. Übrigens: seinen Drahtesel darf gottlob jeder in der U-Bahn mitführen.
Für den letzten Teil unserer Radtour begeben wir uns auf den belebten Damrak, die Verbindung zwischen Hauptbahnhof und Dam. Links erhebt sich ein imposantes Backsteingebäude, die Kaufmannsbörse von Berlage, einem der bedeutendsten und umstrittensten Architekten des Landes. Einen Teil seiner Ausbildung genoß er in Italien, was sich an seinem Börsengebäude deutlich ablesen läßt: es zeigt die Umrisse eines italienischen Bergdorfes. Dieser Eindruck wird vor allem auch verstärkt durch den Turm. Er ist ein Hinweis darauf, dass Berlage von der Kirchenarchitektur und den Stadthäusern in Florenz und Siena beeinflußt wurde. Ursprünglich war dieses Gebäude als Börse vorgesehen, aber bereits bei den Entwürfen hatte Berlage einkalkuliert, dass der Bau wahrscheinlich mal eine andere Funktion bekommen würde. Erst vor kurzem bewahrheitete sich seine Vorahnung: seit 1987 dient der Bau als Ausstellungsraum, und verschiedene Räume werden an Betriebe vermietet. Ich rate jedem zu einem Besuch, da es sich hier um ein wunderschönes Beispiel für ein richtiges Gesamtkunstwerk handelt. Die Ornamente stammen von einem Bildhauer; innen sind Gedichte in die Wände eingelegt, eigens angefertigte Möbel zieren die Säle.
Fix und fertig, da wir kreuz und quer durch die Stadt gesaust sind und sicher einige Eindrücke zu verarbeiten haben? Keine Bange, es ist beinahe geschafft. Der Dam bildet den Endpunkt unserer Radtour. Einen Blick verdient noch das Industria Gebäude, Damplein 23-31, und natürlich der Königliche Palast. Von außen erweckt er zwar einen grauen und langweiligen Eindruck, innen aber befindet sich der sehenswerte Bürgersaal. Der Palast wird übrigens nur noch bei öffentlichen Empfängen genutzt. Einige Gebäude haben wir heute nicht kennengelernt, wie z.B. das Reichsmuseum und die anderen Museen am Museumplein sowie das Konzertgebäude. Diese wird ein jeder allerdings ohnehin im Laufe seines Aufenthalts in Amsterdam besuchen. Das gleiche gilt für die Grachten; auch sie sind für jeden Amsterdambesucher nicht nur Pflicht, sondern auch schlecht zu umgehen.