Glücksspiel, Sport
Glücksspiele und sportliche Ereignisse
Andere, trivialere Spiele sind in Erscheinung getreten, um das größtmögliche
Publikum mit dieser beharrlichen Hoffnung auf Glück zu überhäufen, das die Kastilier
bezeichnenderweise ilusión nennen. Das Trugbild eines Vermögens, das nicht auf
Arbeit beruht, wird von der Lotterie »la ilusión del sábado« gefördert, wenn
man einem Werbespruch Glauben schenkt. Der Kontrast ist hart zwischen dieser
Hoffnung und den herzzerreißenden Schreien der Losverkäufer - eine Beschäftigung,
die den an den Straßenecken postierten Blinden vorbehalten ist - überall dort,
wo sich die Menschenmassen vorbeiwälzen: »mañaaana«! - morgen, vielleicht, so
Gott will, der Glücksfall.
Eine analoge Motivation finden wir beim Fußballtoto, den quinielas. Aber sie
ist hier gemischt mit der Vorliebe für Spekulationen, die lange Palaver in den
Bars und Büros rechtfertigt; und sie lehnt sich an den Lokalpatriotismus an.
Denn die Chancen der Heimmannschaft im Zusammenhang mit jenen ihrer Rivalen
müssen ermittelt werden, möglichst mit dem richtigen Ergebnis. Und wenn dann
die Ehre des Siegs und das Glück des Spielers zusammentreffen, dann gibt es
kein schöneres Wunder.
Denn der Fußball, hispanisiert zu fútbol, ist eine wichtige Angelegenheit:
keine Kathedrale, keine Stierkampfarena und keine plaza mayor könnten die hundertzehn-
bis hundertzwanzigtausend Leute aufnehmen, die im Nou Camp von Barcelona oder
im Bernabeu-Stadion von Madrid Platz finden. Dort werden sämtliche, um den Verlauf
der Partie zitternden Zuschauer mit Hilfe einer Anzeigetafel über die Zwischenstände
in den dreizehn anderen, gleichzeitig stattfindenden, Spielen der Totowette
auf dem Laufenden gehalten. An Fußballabenden dar niemand hoffen, vor dem Schlußpfiff
irgendwo bedient zu werden, denn alle hängen vor dem Fernseher! Aber der Fußball
erobert nicht nur auf diese Weise die Anteilnahme von Millionen von passiven
Bürgern, sondern er kann sich auf imposante und überaus aktive Scharen von socios
stützen, zahlende Mitglieder aus einem der zahlreichen Vereine. Keine Stadt,
die dieser Bezeichnung würdig ist, ohne ihre eigene Mannschaft: die Niederlage
oder schlimmer noch der Abstieg der Heimmannschaft treibt Trauer auf die Gesichter.
Als Antwort auf solch eine Schmach füllen sich die Mauern mit drohenden Plakaten:
»Um die Ehre unser Stadt, stellt Euch«! Das Fußballpublikum hat diesem oft eine
politische Dimension verliehen. Zu Zeiten Francos wurden beispielsweise die
Heldentaten von Real Madrid gerne in den Dienst der offiziellen Propaganda gestellt,
genauso wie die hervorragenden Leistungen der Nationalelf, bei denen ein Journalist
einmal den Sieg herbeiwünschte, indem er ausrief: »Möge Spanien der Gewinner
sein, mit seiner ewig ritterlichen Art«! Auf der anderen Seite suchten unterdrückte
Autonomiebestrebungen Zuflucht in Klubs, die als Fahnenträger dienten. So waren
die Sitzungen von El Barça die einzige Versammlung, in der sich der Gebrauch
des Katalanischen ständig hielt. Genauso ist Atlético Bilbao zum Vorkämpfer
der baskischen Autonomie geworden, in einer Zeit, als von bewaffnetem Kampf
nicht die Rede sein konnte: als Rekordinhaber bei den Pokalsiegen machte dieser
Verein es sich zur Ehrensache, ausschließlich Spieler baskischen Ursprungs in
seiner Mannschaft aufzunehmen. Die Spieler, Hoffnungsträger des Volkes, brachten
den Siegespokal wie ein Weihbild zu Füßen der Jungfrau von Begoña dar.
Sportvereine behielten auch gewisse Züge bei, welche an die ehemaligen religiösen
Bruderschaften erinnern: bewahrt man bei Atlético Bilbao nicht gottesfürchtig
eine Reliquie des heiligen Mamés auf - ein echtes Knochenfragment, wie versichert
wird? Und was soll man zu der Herrlichkeit der Goldpokale sagen, die für die
Turniersieger bestimmt sind und den Schätzen der Kathedralen würdig wären! Jeder
der großen Vereine ist durch ein spezielles soziologisches Verhalten gekennzeichnet.
Die socios von Real Madrid, der Elite, haben beispielsweise keinen Umgang mit
dem populären Klub Atletico Madrid, der mit Madrilenen durchsetzt ist, die noch
nicht lange genug dort wohnen. In Barcelona sollte man besser reiner katalanischer
Herkunft sein, um eines der hunderttausend Mitglieder von Barça zu werden; Zugewanderte
und selbst deren Nachkommen ziehen es vor, die Reihen beim Konkurrenzverein
Español zu verstärken. Jedem Verein seine Arbeitsweise. Der fútbol ist eine
Miniaturausgabe der Gesellschaft, denn ihre Umwälzungen haben ihn zutiefst verändert.
Die Klubmanager, im Spanien des Movimiento vornehmlich aus den Reihen der Offiziere
stammtend, sind heutzutage Geschäftsleute, für die der Sport ein Unternehmen
wie jedes andere darstellt. Diesem Spiel hat die Professionalität mit immer
kühneren Preisangeboten ihre Gesetze aufgezwungen. Je nach ihren finanziellen
Mitteln verpflichten die rivalisierenden Vereine Söldner aus dem Ausland neben
den acht- bis zehntausend Fußballern, die vom eine Verbandslizenz besitzen.
Die reichsten unter ihnen überschritten schon seit langem die Grenzen, um sich
mit Hilfe von fantastischen Verträgen die Dienste der prestigeträchtigsten ausländischen
Spieler zu sichern: auf Kopa, Cruyff und Breitner folgten später Maradonna und
vor kürzerem Schuster und der Mexikaner Hugo Sánchez. Dadurch, dass er ohne zu
zögern Idole für seine Stadien einkaufte, beschleunigte der spanische Fußball
die Rückkehr seines Landes in die internationale Szene nach der langen Isolierung
unter Franco. Die Weltmeisterschaft von 1982, mit viel Hektik vorbereitet, enttäuschte
die Erwartungen der Massen herb, denn sie wurde durch die Mittelmäßigkeit der
früh ausgeschiedenen spanischen Mannschaft gründlich desillusioniert. Aber als
die Nationalmannschaft 1984 bis ins Finale der Europameisterschaft vorstoßen
konnte, wo sie dann Frankreich unterlag, griff sie damit knapp dem Eintritt
Spaniens in die EG voraus - wie ein Recht, das von nun an außer Frage steht.
Weitere Sportarten erregen das Interesse - und den Stolz - in einem Land, in
dem der Körper seine Rechte erkämpft hat. Sogar das als elitär geltende Golf
ruft Begeisterung hervor, wenn er auf Spieler von der Klasse eines Severiano
Ballesteros zurückgreifen kann, der als Caddie auf dem Grün von Santander anfing.
Überall im Land gibt es übrigens wundervolle Golfanlagen.
Man versteht die von den Behörden Barcelonas aufgewandte Energie, um die katalanische
Stadt Austragungsort der Olympischen Sommerspiele von 1992 werden zu lassen,
unterstützt dabei von der Regierung. Es stimmt, dass die Anwesenheit des Katalanen
Samaranch an der Spitze des IOC wie geschaffen war, um diese Wahl zu begünstigen
... Barcelona und Spanien haben es verstanden, die Chance zu nutzen, die Stadt
mit einem grandiosen Komplex von Sporteinrichtungen auszustatten, die ihr auch
nach der Heimkehr der Zuschauer aus der ganzen Welt bleiben.